Stadtentwicklung

Orte der Bildung als Motor der Stadtentwicklung

„Wissen schafft Stadt“: Internationale Bauausstellung für Heidelberg? – Interview mit Michael Braum

Der Stadtplaner und Städtebauer Prof. Dipl.-Ing. Michael Braum ist Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur und lehrt am Institut für Städtebau und Entwerfen der Fakultät für Architektur und Landschaft an der Leibniz-Universität Hannover. In Heidelberg leitet Michael Braum den wissenschaftlichen Beirat, der die Vorbereitung einer internationalen Bauausstellung (IBA) unter dem Motto „Wissen schafft Stadt“ begleitet. Am 15. Dezember wird der Gemeinderat entscheiden, ob eine IBA durchgeführt werden soll.

Michael Braum

Michael Braum
 (Foto: Budde)

Herr Professor Braum, was verbirgt sich hinter dem Wortspiel „Wissen schafft Stadt“?

Michael Braum: Mit dem programmatischen Titel „Wissen schafft Stadt“ macht Heidelberg deutlich, dass sich eine Internationale Bauausstellung dem Zukunftsthema schlechthin widmen sollte, einem Thema, das die Bildung als gesellschaftspolitische Herausforderung in Verbindung setzt mit deren Bedeutung als stadtentwicklungspolitische Ressource. Heidelberg stellt sich damit einer gesellschaftlichen Herausforderung, die den Nerv unserer Zeit trifft. Hier sind wir im Alltag noch sehr weit davon entfernt, dass sich die Erforderlichkeit einer guten Bildung tatsächlich in dafür angemessenen Stadtentwicklungsstrategien widerspiegelt und sich dies auch in der baulich-gestalterischen Qualität unserer Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen niederschlägt.

Warum gerade in Heidelberg?

Braum: Heidelberg ist aufgrund seiner herausragenden Bedeutung im Rahmen der „Wissenslandschaften“ ganz besonders dafür geeignet, als Laboratorium für diese große stadtentwicklungspolitische Herausforderung genutzt zu werden. Mit dem Thema Stadt und Wissen schlägt Heidelberg in der Debatte um die Weiterentwicklung der Europäischen Stadt ein neues Kapitel auf. Wissen ist keineswegs, wie oft behauptet, ortlos. Die Orte des Wissens sind historisch gewachsen oder planmäßig angelegt. Beides belegt Heidelberg eindrucksvoll.

Die Orte des Wissens sind die besonderen Orte in unseren Städten, und dort, wo sie es noch nicht sind, müssen sie es werden. Heidelberg hat wie keine andere Stadt in Deutschland die Chance und das Potenzial, die damit verbundenen stadtentwicklungspolitischen Strategien zu erproben. Die IBA „Wissen schafft Stadt“ wird die Potenziale der Europäischen Städtebautradition für die Wissensgesellschaft von morgen aufzeigen und in einem stadtgesellschaftlichen Prozess weiterentwickeln. Dabei darf die Konzeption einer wissensbasierten Stadtentwicklung kein Elitekonzept sein, sondern sie muss eine breit angelegte städtebauliche Gesamtstrategie umfassen.

Warum ist das so wichtig?

Braum: Wissen und Bildung werden mehr denn je zu einem kaum zu überschätzenden Ferment sozialer Integration von Alt und Jung, Arm und Reich und nicht zuletzt von Deutschen und Migranten. Auch hierfür eignet sich Heidelberg, wenn man die Migration auch in anderen als in den wissenschaftlichen Milieus zur Normalität werden lässt.

Für die Weiterentwicklung der Europäischen Stadt stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie sich die Orte der Bildung zum Motor der Stadtentwicklung entwickeln lassen und mit welchen Strategien eine Synergie von Stadt und Bildungsorten genutzt werden können. Dieser Herausforderung muss sich eine IBA Heidelberg stellen.

Welche Anforderungen gelten für das über hundert Jahre alte Format IBA?

Braum: Die IBA Heidelberg steht in einer anspruchsvollen Tradition von Bauausstellungen in Deutschland, die jede für sich die internationale Debatte zu Fragen des Städtebaus und der Stadtentwicklung maßgeblich beeinflusst haben. Bereits eine der ersten Bauausstellungen in Deutschland schrieb IBA-Geschichte. In Darmstadt wurden vor mehr als 100 Jahren neueste Tendenzen europäischer Baukultur gezeigt. Joseph Maria Olbrich entwarf mit seinen Atelier- und Ausstellungsbauten, Künstlerhäusern und Pavillons bis in das Detail der Inneneinrichtungen ein weltweit bekanntes Ensemble.

Es folgten 1927 die Weißenhofsiedlung, die unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe international Furore machte. Auch die beiden großen Internationalen Bauausstellungen in Berlin nahmen sich zentralen städtebaulichen Themen an, wie die Interbau 1957 „Die Stadt von Morgen“ und 1987 die IBA Berlin behutsame Stadterneuerung sowie die kritische Rekonstruktion der europäischen Stadt. Seit den 80er Jahren standen immer auch gesellschaftliche Herausforderungen auf der Agenda einer IBA. So auch im Ruhrgebiet bei der IBA Emscherpark 1999. Diese ausgewählten Internationalen Bauausstellungen setzen die Standards, die der Maßstab für eine Internationale Bauausstellung Heidelberg sein muss.

Welche Rolle spielen die Akteure?

Braum: Reputation und Qualität einer IBA sind eng mit dem Renommee der beteiligten Akteure verbunden. Beispiel Berlin 1957: In der Interbau bauten neben international renommierten deutschen Architekten wie Egon Eiermann, Sep Ruf und Walter Gropius, ausländische Kollegen wie Alvar Aalto, Arne Jacobsen, Le Corbusier, Pierre Vago oder van den Broek und Bakema – das internationale Who is Who der Nachkriegsmoderne. Darüber hinaus bedarf es einer breiten politischen Unterstützung. Kein geringerer als Theodor Heuss, einst Sekretär des Werkbunds und damals Bundespräsident der noch jungen Republik, nahm sich der Sache an.

Wenn wir eine IBA Heidelberg auch nicht mit der Bedeutung Westberlins im Kalten Krieg vergleichen können, so sehr braucht es doch charismatische Persönlichkeiten, die sich der IBA annehmen, auf lokaler Ebene, ebenso beim Land, und eine Unterstützung durch den Bund ist nie von Schaden.

Welches Ziel verfolgt die IBA „Wissen schafft Stadt“?

Braum: Eine IBA Heidelberg muss eine Forschungs- und Entwicklungsorganisation für die stadtentwicklungspolitischen Strategien der Wissensstadt des 21. Jahrhunderts sein. Dabei geht es nicht allein um die klassische Wissensgesellschaft, sondern darüber hinaus um die Bildung in ihrer ganzen Breite. Heidelberg muss im Rahmen der IBA zu einem international anerkannten Entwicklungslabor für eine wissensbasierte Stadtentwicklung werden.

Dabei gilt es, die räumliche und kognitive Distanz zwischen der in der Wissenschaftscommunity international renommierten Wissenschaftsstadt Heidelberg und der für den Stadtbürger international renommierten Europäischen Stadt zu überwinden und die Synergien beider Milieus für die gesamtstädtische Entwicklung nutzbar zu machen. Die IBA in Heidelberg ist gesellschaftlicher Prozess und bauliches Produkt zugleich. Dabei muss sie sich als offenes Netzwerk verstehen, das die Synergien zwischen Wissen und Stadt voranbringt.

Worin besteht das bauliche Produkt?

Braum: Die Neubautätigkeit im Wissenschaftsbau in Heidelberg hat seit mehr als zehn Jahren ein hohes Niveau erreicht. Mit der Bahnstadt werden künftig die städtebaulichen Voraussetzungen für die Entwicklung eines Wissensquartiers neuen Typs geschaffen. Hinzu kommt die einmalige Chance, ab 2015 die ehemaligen US-Liegenschaften in dieses Konzept zu integrieren. Dies wird zum Anlass genommen, das gegenwärtige Entwicklungsparadoxon – einem Bauboom der Wissensbauten und einem Engpass in der Schaffung preiswerten Wohnraums – entgegenzuwirken. (rie)

Zehn Jahre IBA

Nach einem positiven Gemeinderatsbeschluss könnte nach Michael Braum die Startphase (Präzisierung der Idee, Generierung der Akteurskulisse) bis 2013 abgeschlossen sein. Die eigentliche Projektphase (Auslobung von Wettbewerben, Realisierung von Projekten etc.) würde zwischen 2014 und 2019 stattfinden, so dass ab 2019 die Präsentationsphase beginnen würde, die 2022 ihren Abschluss fände.