Stadt & Leute

Geschichten aus dem Karzer

Eckhard Oberdörfer veröffentlichte das Buch „Der Heidelberger Karzer“ im SH-Verlag Köln

Vor fast 120 Jahren reiste der amerikanische Schriftsteller Mark Twain durch Europa und besuchte 1878 Heidelberg. Hier faszinierte ihn vor allem der damals noch als Studentengefängnis genutzte Karzer in der Augustinergasse.

Blick ins so genannte Palais Royal des Karzers. (Repro: SH-Verlag)
Blick ins so genannte Palais Royal des Karzers. (Repro: SH-Verlag)

Fast hätte Mark Twain einen „der traurigen alten Tische“ gekauft, an denen die Häftlinge mit ihren Taschenmessern herumgeschnitzt hatten. Aber: „Der Amtsschimmel ließ das nicht zu.“ Deshalb beschränkte sich der Gast aus den USA im wesentlichen auf eine Beschreibung der Karzerräume und der Inschriften und Zeichnungen an den Decken und Wänden.

Seitdem – vor allem seitdem der Karzer nur noch als Museum dient – haben unzählige Touristen aus aller Welt die historischen Räumlichkeiten in der Augustinergasse besichtigt. Nur wenige schrieben dabei ihre persönlichen Eindrücke nieder, um sie anderen Menschen mitzuteilen.

Das hat jetzt Dr. Eckhard Oberdörfer getan. Der Redakteur und Universitätshistoriker aus Greifswald, der sich selbst „einen Preußen aus dem fernen Pommern“ nennt, nutzte nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze die Gelegenheit, sich einen alten Traum zu erfüllen: Endlich Heidelberg zu sehen, das der auch im pommerschen Greifswald sehr beliebte Victor von Scheffel einst besang.

Auch Eckhard Oberdörfer war vom historische Studentenkarzer in besonderem Maße angetan. Anders als Mark Twain ließ er es aber nicht bei einigen Anekdoten rund um den Karzer bewenden, sondern verfasste ein wissenschaftlich fundiertes und dennoch gut lesbares Buch, das jetzt unter dem Titel „Der Heidelberger Karzer“ im SH-Verlag Köln erschienen ist.

In unterhaltsamer Weise behandelt der Autor die Geschichte des Karzers bis in die heutige Zeit. Er leitet sein Werk mit einer Abhandlung über die Akademische Gerichtsbarkeit ein, blättert in alten Karzerordnungen, berichtet von den Strafen, wobei er eingehend die Rolle der Pedelle beleuchtet, erheitert seine Leser mit Karzergeschichten (die von Karzerinsassen einst selbst aufgeschrieben wurden) und mit Karzerpoesie.

Karzergeschichten sind Studentengeschichten und vor allem Geschichten aus den Burschenschaften. Im Anhang zu seinem Buch stellt Eckhard Oberdörfer die Heidelberger Verbindungen samt derer Zirkel vor (wobei die Aufzählung nicht mehr auf dem allerneuesten Stand zu sein scheint) und erklärt in einem Glossar Begriffe und Sitten der Korporierten.

Das Buch „Der Heidelberger Karzer“ von Eckhard Oberdörfer (SH-Verlag Köln, ISBN 3-89498-132-6) hat 175 Seiten und 89 Abbildungen (davon 42 farbig) und ist im Buchhandel für 19,80 Euro erhältlich. (br. )