Thema der Woche

„Am 1. April 1933 ging der erste Sturm los“

Dora Kaufmann berichtete Schülerinnen und Schülern des Helmholtz-Gymnasiums von ihrem Leben

Dora Kaufmanns Leben verlief bis zur Machtergreifung der Nazis wie das eines jeden normalen Kindes. 1920 in Heidelberg als Dora Basnizki geboren, wuchs sie behütet auf und ging in die höhere Töchterschule in der Märzgasse, heute das Hölderlin-Gymnasium. Ihr Berufswunsch damals: Naturwissenschaftlerin.

Dora Kaufmann erzählt Schüler/innen des Helmholtz-Gymnasiums  von ihrem Schicksal und ihrem Glück: Sie konnte mit Eltern und Schwester noch rechtzeitig aus Deutschland fliehen. (Foto: Rothe)
Dora Kaufmann erzählt Schüler/innen des Helmholtz-Gymnasiums von ihrem Schicksal und ihrem Glück: Sie konnte mit Eltern und Schwester noch rechtzeitig aus Deutschland fliehen. (Foto: Rothe)

Mit der Machtergreifung geriet ihr Leben aus den Fugen: „Am 1. April 1933 ging der erste Sturm los“, erzählte sie. Die Nazis hatten zum Judenboykott aufgerufen, Schaufensterscheiben jüdischer Geschäftsleute wurden eingeschlagen. Ihr Vater Ludwig Basnizki, Professor an der Oberrealschule in der Kettengasse, dem Vorläufer des Helmholtz-Gymnasiums, wurde zwangspensioniert. Mitschülerinnen gingen auf einmal auf Distanz zu ihr. „Zieh doch den blauen Rock (der BDM-Mädchen) an und mach mit“, rieten ihr Wohlwollendere.

Dora Kaufmanns Glück war ein Onkel in der Schweiz. Er glaubte nicht daran, dass sie als Jüdin in Deutschland ihr Abitur machen könne und drängte darauf, dass die 15-Jährige in die Schweiz kommen solle. Dora Kaufmann willigte ein. „Ich verbrachte dort schöne dreieinhalb Jahre am Mädchengymnasium.“

Gegen Ende der Dreißiger Jahre wurde die Lage für Juden in Deutschland immer gefährlicher. Die Pogromnacht am 9. November 1938 machte ihrem Vater klar, dass die Nazis die Juden rücksichtslos bekämpften. Auch er wurde festgenommen und abtransportiert. Sein Glück: Er geriet an einen wohlwollenden Beamten, der den im 1. Weltkrieg verwundeten und ausgezeichneten Offizier Basnizki wieder nach Hause schickte. Ludwig Basnizki beschloss, nach Brasilien zu emigrieren, wo ein Neffe lebte.

Doch eine gemeinsame Flucht scheiterte. „Meine Schwester Hedwig kam Anfang 1939 mit einem Kindertransport nach England.“ Der Heidelberger Pfarrer Hermann Maas hatte diesen organisiert. Die Eltern erhielten Ende August 1939 ihr Visum für Brasilien. Einen Tag später brach der Krieg aus. Am 7. September verließen die Eltern Deutschland fluchtartig. Nur drei Tage später wäre die Emigration gescheitert: Am 10. September schlossen die Nazialle Grenzen.

Auch Dora Kaufmann halfen wieder Verwandte, durch die sie in England als Gouvernante arbeiten konnte. Dort erhielten sie und ihre Schwester endlich das Visum für Brasilien. Auf einem Frachter ging es auf die gefährliche Reise nach Südamerika: Die deutschen U-Boote torpedierten alle englischen Schiffe, die sie entdeckten. Im Februar 1940 kamen beide Töchter in Brasilien an.

Dora Kaufmann fand schnell Arbeit, denn sie beherrschte mehrere Sprachen. 1948 entschloss sie sich, in den neu gegründeten Staat Israel zu ziehen. Dort heiratete sie 1960.

„Wir wussten in Brasilien nicht, was in Europa vor sich ging, wir hatten keine Ahnung von den KZs“, erzählte Dora Kaufmann den Helmholtz-Schülern. Mehr hätten diejenigen erfahren, die nach Palästina ausgewandert waren. Wie denn junge Menschen mit dem Holocaust umgehen sollten, wurde sie gefragt. „Sie sollten sich nicht schuldig fühlen“, meinte Dora Kaufmann, „aber sie sollten darüber Bescheid wissen.“

Auch im Raphael-Gymnasium, Bunsen-Gymnasium, Thadden-Gymnasium, in der Landhausschule, im Hölderlin, im Englischen Institut und in der IGH erzählten jüdische ehemalige Heidelberger/innen über ihr Schicksal. (neu)