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Der Karikaturenstreit – ein Kampf der Kulturen?

Ihr Ausländerrat/Migrationsrat informiert

Die Bilder, die uns hier in Deutschland aus den arabischen Ländern von den Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen erreicht haben, scheinen allen Vorurteilen und Ängsten, welche im Westen gegen die sich radikalisierenden Muslime bestehen, neue Nahrung zu geben.


Zu einprägsam sind die vor Hass verzehrten Gesichter, fremd und erschreckend die Drohgebärden bei der Erstürmung der Botschaften. Gerne schließt man sich dem schnellen Urteil einiger Politiker an, in der Eskalation der Gewalt den schon lange prophezeiten Kampf der Kulturen zu sehen. Die Demonstrationen erklären sich dann beinahe von selbst aus dem mangelnden Verständnis der ‚Unkultur Islam’ für unsere abendländischen Werte wie Demokratie und Pressefreiheit. Vielleicht ist man noch bereit, einzuräumen, dass der Abdruck der Karikaturen womöglich die religiösen Gefühle der Muslime verletzt habe, doch nur, um im gleichen Atemzug noch einmal zu betonen, wie unverhältnismäßig doch die darauf folgenden Ausschreitungen gewesen seien.

Doch so einfach und bequem lässt sich die Situation nicht erklären. Die lange Vorgeschichte des Karikaturenstreits wird in solchen Erklärungsmustern schlichtweg ausgeblendet. Die Gründe für die Eskalation des Karikaturenstreits liegen nämlich auch in der fehlschlagenden Integrationspolitik eines westlichen Landes begründet: Dänemark.

Dänemark, von vielen Sommerurlaubern aus Deutschland als besonders tolerantes Land geschätzt, verfolgt in den letzten Jahren unter der Regierung des Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen eine Ausländerpolitik der ausgesprochenen Intoleranz. Die Dänen seien ein tolerantes Volk, so hieß es kürzlich bei einem Themenabend des Kultursenders Arte zum Thema Integration in Europa, allerdings nur sich selbst gegenüber. Ausländer, und zwar vor allem Muslime, müssen zunehmend gegen ein Klima der Ausgrenzung kämpfen. Das geht soweit, dass selbst mit Dänen verheiratete ausländische Frauen, die über ein eigenes Einkommen verfügen, die Sprache beherrschen und die gemeinsamen Kinder großziehen, die Auswanderung (natürlich ohne Kinder und Ehemann) nahegelegt wird.

Die Angst vor der Überfremdung der dänischen Kultur hat seit dem 11. September 2001 ungeahnte Folgen angenommen. In diesem absurden politischen und gesellschaftlichen Klima wurden die Karikaturen zuerst veröffentlicht. Die dortigen Proteste der Muslime, von solcherart Geschmacklosigkeiten abzusehen, verhallten oder wurden, z.B. in Kreisen um „Assimilation“ bemühter Muslime, gar nicht erst geäußert. Man stelle sich an dieser Stelle nur einmal die Hysterie vor, mit welcher 1979 auf Monty Pythons „The life of Brian“ reagiert wurde oder gar 1988 auf Martin Scorceses „Die letzte Versuchung Christi“, der die religiösen Gefühle der orthodoxen Christen bis zu Bombendrohungen und Kinoerstürmungen reizte. Und dabei erreichten die gebrochenen Tabus womöglich kaum die Dimension, welche der Darstellung des Propheten im Islam zukommt. Man kann auch den hypothetischen Fall eines anti-semitischen Flugblattes heranziehen: wie viele unserer deutschen Mitbürger würden es als Selbstverständlichkeit begreifen, sich dagegen zu ereifern? Mit der Religion treibt man keine Scherze: so weit scheint der gesellschaftliche Konsens doch immerhin bei uns noch zu gehen. Das ist keine Frage der Pressefreiheit, sondern des friedlichen Zusammenlebens miteinander. Doch der Islam hat in Dänemark schon lange keine Lobby mehr. Stattdessen bevorzugt man im Umgang mit den muslimischen Mitbürgern Ignoranz. Ein ob dieser Entwicklung besonders wütender dänischer Imam wandte sich daher nach fehlgeschlagenen Versuchen eine Entschuldigung der Zeitung zu erwirken an den Azhar-Gelehrten in Ägypten, der entsetzt reagierte. Die Mobilisierung der Gläubigen nahm ihren Lauf.

Der Ausländer- und Migrationsrat der Stadt Heidelberg sieht die Entwicklung des Karikaturenstreits auch als Beispiel für die katastrophalen Folgen einer mangelnden Bereitschaft der Politik eines westlichen Landes, sich für die Belange ihrer ausländischen Mitbürger zu interessieren. Was wäre passiert, hätte sich die dänische Tageszeitung gleich zu Beginn entschuldigt? Was wäre passiert, hätte – nach den ersten Reaktionen aus der arabischen Welt – der dänische Ministerpräsident eingeräumt, dass einer religiösen Minderheit übel mitgespielt worden war? Vermutlich nichts. Dabei hätte eine solche Reaktion keinesfalls in der Aufkündigung der Pressefreiheit gegipfelt, sondern wäre allein eine Demonstration politischen Anstandes gegenüber einer Minderheit gleichgekommen – von politischer Klugheit oder Weitsicht ganz zu schweigen. Stattdessen wurde stur in Kauf genommen, dass radikal eingestellte Muslime die Debatte in ein vollkommen anderes politische Klima transportierten und für ihre Zwecke instrumentalisieren konnten. Wer erst bei den Bildern der erstürmten Botschaften anfängt, sich für den Kon-flikt zu interessieren, begeht einen schweren Fehler. Wir möchten in Hinblick auf den Karikaturenstreit, dessen Eskalation wir sehr bedauern, für eine Politik plädieren, die ein Klima der Aufgeschlossenheit in unserem Land fortführt und das durchaus in Anerkennung der Tradition abendländischer Werte. In Dänemark ist der Dialog zwischen den Kulturen abgebrochen, viele sind aufgrund der Fernseh-Bilder geneigt, ihn für nahezu beendet zu erklären. Doch statt die Angst vor der Überfremdung weiter zu schüren, möchten wir uns dafür einsetzen, dass die Gemeinsamkeiten, die zwischen muslimischen Mitbürgern und anderen Deutschen bestehen, wieder in den Vordergrund treten. Vielleicht könnte dann die Existenz einer muslimischen Minderheit in unserem Land in Zukunft nicht nur als Problem und potentielle Bedrohung wahrgenommen werden, sondern auch als eine Bereicherung. Die wahre Bedrohung liegt unserer Meinung nach in der politischen Ignoranz. Nur eine Gesellschaft, die auf gegenseitiger Toleranz und Respekt beruht, ist fähig, den Bedrohungen einer Radikalisierung auf allen Seiten zu widerstehen. Daran möchten wir weiter arbeiten.

(Verantwortlich für den Inhalt: Ausländerrat/Migrationsrat der Stadt Heidelberg, Geschäftsstelle: Telefon 58-10360, E-Mail auslaenderrat@heidelberg.de.)