Kultur

„Lesen Sie Gedichte?“

Anthologie „Unerhört nah“ – 55 Autoren berichten über ihre Begegnungen mit Hilde Domin

Am 22. Februar 2006 starb die Dichterin Hilde Domin, Ehrenbürgerin der Stadt Heidelberg, Trägerin des Preises „Literatur im Exil“ und des höchsten Ordens der Dominikanischen Republik, im 97. Lebensjahr. Aus Anlass ihres 100. Geburtstages am 27. Juli 2009 ist eine Anthologie mit Erinnerungen an Hilde Domin erschienen, herausgegeben von ihrer langjährigen Mitarbeiterin Marion Tauschwitz.

„Unerhört nah“ (Umschlagtitel)
„Unerhört nah“ (Umschlagtitel)

In persönlichen Schilderungen haben 55 Autoren ein facettenreiches Bild der Lyrikerin gemalt, das am vergangenen Sonntag, dem dritten Todestag, im DAI vorgestellt wurde, musikalisch umrahmt von Rolf Verres. Der Sammelband ist „ein Kaleidoskop verschiedener Blickwinkel auf die Dichterin und Privatperson, das zeigen will, wie ‚unerhört nah’ uns die Erinnerung an Hilde Domin ist“, so Bürgermeister Dr. Joachim Gerner.

Den Auftakt der streng alphabetisch geordneten Beiträge macht Ruth Alexandridis mit einem Beitrag über Hilde Domin in Griechenland: Ein Kaffeehaus in einem kleinen Dorf bei Monemvasia, Peloponnes. In ein harmloses Gespräch mit den Alten des Dorfes platzt sie mit der Frage: „Lesen Sie Gedichte?“. Alexandridis zögert mit der Übersetzung. „Denn ich vermute, diese Alten hier lesen nicht, können es wahrscheinlich auch gar nicht. Aber Hilde drängt; also frage ich. Da kommt eine ebenso verblüffende Antwort beinahe wie im Chor: ‚Wir haben hier auch einen berühmten Dichter, den Jannis Ritsos’, und sie summen sofort eine Melodie von Mikis Theodorakis, der Texte von Ritsos vertont hat. Dann meint der Papas (Pfarrer) zu Hilde gewandt: ‚Sie schreiben wohl Gedichte, wir haben gleich gemerkt, dass Sie etwas Besonderes sind.’ Und ich sage darauf, dass Hilde eine der bedeutendsten deutschen Lyrikerinnen ist. Da erheben sich alle Männer wie auf ein geheimes Kommando und verneigen sich Hilde zugewendet. Sie ist glücklich gerührt und meint: Man sagt, die Griechen verehren ihre großen Dichter. Den Kaffee dürfen wir nicht bezahlen. Weil wir ‚Xeni’, Fremde sind und etwas Besonderes. Wir danken und in Hochstimmung fahren wir nach Hause.“

Weitere Autoren sind Michael Buselmeier, Manon Andreas-Grisebach, Martin Grzimek, Ulla Hahn, Franziskus Heereman, Jakob Köllhofer, Letizia Mancino, Romani Rose, Annette Schavan, Peter Spuhler, Frank-Walter Steinmeier, Erwin Teufel, Rolf Verres, Bernhard Vogel, Beate Weber und viele andere. Die Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner (Heidelberg) und Fritz Schramma (Köln) sind mit Grußworten vertreten.

„Unerhört nah – Erinnerungen an Hilde Domin“, herausgegeben von Marion Tauschwitz, Kurpfälzischer Verlag Dr. Hermann Lehmann, Heidelberg 2009, gebunden, 228 Seiten, 38 Abbildungen, 14,90 Euro, ISBN 978-3-924566-33-3. Zu beziehen über den Buchhandel oder direkt beim Verlag. Der Erlös des Buches kommt „Save me“ zugute, einem Netzwerk, das ankommenden Flüchtlingen ihren Start erleichtern will. (rie)