Thema der Woche
Die Einzigartigkeit des Originals!
Heidelberg feiert 100 Jahre Kurpfälzisches Museum: Interview mit Museumsdirektor Dr. Frieder Hepp
Vor 100 Jahren, am 26. Mai 1908, fanden die Städtischen Sammlungen ein dauerhaftes Domizil im barocken Palais Morass in der Heidelberger Hauptstraße 97 – die Geburtsstunde des Kurpfälzischen Museums (KM). Heute ist das Haus, das die kunst- und kulturhistorischen Sammlungen der Stadt Heidelberg beherbergt, Erlebnisort, Forschungszentrum und erste Anlaufstelle in Fragen der Stadtgeschichte. Das STADTBLATT sprach mit Museumsdirektor Dr. Frieder Hepp.
STADTBLATT: Herr Dr. Hepp, welches ist Ihr Lieblingskunstwerk im Museum?
Hepp: Mein Lieblingskunstwerk ist die Marmorskulptur „Allegorie der Gastfreundschaft“ des Berliner Bildhauers Gustav Herrmann Bläser. Die Gastfreundschaft ist dargestellt als reizende junge Damen, in antikem Gewand, die mit einladender Geste unsere zahlreichen Besucher stets freundlich im Treppenhaus des Palais Morass begrüßt.
STADTBLATT: Wie unterscheidet sich das KM 2008 vom KM 1908?
Hepp: Die Unterschiede sind beträchtlich. Während 1908 die städtischen Sammlungen auf das Palais Morass und seine beiden westlichen und östlichen Flügelbauten beschränkt waren, umschließt die Sammlung heute nahezu drei Seiten des schönen Museumsgartens bis hin zu dem 1991 in Betrieb genommenen Neubau. Während 1908 die Sammlung ausschließlich von ehrenamtlichen Helfern aus der Bürgerschaft und mit wissenschaftlicher Hilfe der Universität und der Universitätsbibliothek betreut wurde, beschäftigt das Museum heute Wissenschaftler, Restauratoren, Handwerker und Verwaltungskräfte, die sich professionell um Forschung, Erhalt, Präsentation und Vermittlung der Bestände kümmern. Gerade der letzte Punkt macht aber aus meiner Sicht den Hauptunterschied zur Zeit von vor einhundert Jahren deutlich. Während sich nämlich damals nur wenige Menschen, vornehmlich aus der Schicht des Bildungsbürgertums, für die Museen und ihre Sammlungen interessierten, sind die Museen heute mit ihren Sonderausstellungen und vielfältigen Kulturangeboten attraktive Erlebnisorte für die ganze Familie geworden.
STADTBLATT: Welche Bedeutung hat das KM heute für Heidelberg und die Region?
Hepp: Das Kurpfälzisches Museum hat sich in den letzten Jahren, wenn man zum Beispiel an die „Medici-Ausstellung“ oder die archäologischen Ausstellungen aus der Krim oder die „Pfahlbauer“ aus der Schweiz denkt, zu einem international agierenden kulturhistorischen Museum entwickelt. Es bietet in Heidelberg herausragende Ausstellungen und ist ein Ort vielfältiger kultureller Veranstaltungen. Darüber hinaus offeriert es mit seiner „Malstube“ ein breites Bildungsangebot für alle Alters-, Gesellschafts- und Bildungsschichten. Durch das von der Deutschen Forschungsgesellschaft geförderte Projekt zur wissenschaftlichen Erforschung des römischen Gräberfelds in der Berliner Straße hat sich das Museum zu einem bedeutenden Forschungszentrum etabliert und es ist das Kompetenzzentrum für Fragen der Stadtgeschichte insbesondere im schriftlosen Quellen- und Dokumentationsbereich. Der Bestand des Museums umfasst heute etwa 62.000 Objekte, darunter 2.600 Gemälde, 13. 000 Kupferstiche, 6.000 Zeichnungen und 14.000 Objekte des Kunsthandwerks mit einem Gesamtwert von rund 70 Millionen Euro. Die Zahl seiner Besucher hat im Jahre 2002 erstmals die Marke von 50.000 überschritten und bewegt sich heute kontinuierlich nach oben. Zusammen mit den übrigen Heidelberger Museen ist es ein unverzichtbarer Bestandteil in der Museumslandschaft der Metropolregion Rhein-Neckar.
STADTBLATT: Nennen Sie drei Gründe, weshalb Schüler unbedingt ins KM gehen sollten.
Hepp: Im Unterschied zur Ästhetik der Alltagskultur und der zunehmenden Virtualität unseres Daseins bietet das Museum vor allem eines: die Einzigartigkeit des Originals! Gerade für Kinder und Jugendliche ist das ein wichtiges Merkmal, denn niemand sonst fragt so oft nach der Echtheit der ausgestellten Objekte. Ein Museumsbesuch mit unseren Museumspädagoginnen, die das Sehen lehren und die Unverwechselbarkeit des originalen Kunstwerks lebendig vermitteln, ist ein Erlebnis. Das wäre der erste Grund. Der zweite ist die Freude des Entdeckers. Wo anders als bei uns im Kurpfälzischen Museum kann man zum Beispiel das unzerstörte Heidelberger Schloss mit seinem Wundergarten entdecken oder in den Stilräumen des Palais Morass hautnah erleben, wie die Menschen in früheren Zeiten gelebt haben? Drittens ist Bildung mehr als Schule. Lehrer sind gut beraten, Bildungs-angebote außerhalb des Klassenraums aufzusuchen. Hier lernen Kinder jeder sozialen Herkunft schulisches Wissen anzuwenden, sie lernen andere Berufsgruppen kennen und damit Perspektiven für die eigene Lebensentwicklung auszuloten. (eu)