Stadt & Leute

Chancen für den Einzelhandelsstandort

Joachim Hahn und Ulrich Jonas über das Erfolgsmodell Innenstadtforum – Kultur des Mitteinanders und der Kommunikation entstanden

Die Entwicklung des Einzelhandelsstandortes Heidelberg ist einen großen Schritt vorangekommen. Am 23. Juli beschloss der Gemeinderat mit überwältigender Mehrheit die Empfehlungen des Innenstadtforums Einzelhandel. Mit den Koordinatoren des Forums, dem Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik Joachim Hahn und dem Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung und Beschäftigung Ulrich Jonas, sprach Heike Dießelberg. Herr Hahn, Herr Jonas, in seiner jüngsten Sitzung hat der Gemeinderat die Empfehlungen des Innenstadtforums Einzelhandel fast einstimmig beschlossen. Im Rat sprach man von einem „epochalen Beschluss“, der ähnlich wegweisend sei wie der zum Neckarufertunnel. Wie sehen Sie den Gemeinderatsbeschluss – und den Erfolg des Forums?

Der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik, Joachim Hahn (rechts), und der Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung und Beschäftigung Ulrich Jonas (Foto: Stadt Heidelberg)
Der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik, Joachim Hahn (rechts), und der Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung und Beschäftigung Ulrich Jonas (Foto: Stadt Heidelberg)

Hahn: Mit dem sehr eindeutigen Beschluss zeigt der Gemeinderat, wie ernst er das Forum nimmt und wie sehr er dessen fachlich kompetente Arbeit würdigt. Das Forum hat differenzierte Empfehlungen zur Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels vorgelegt. Die Empfehlungen nehmen sehr sensibel auf die spezifische Situation der Heidelberger Innenstadt Bezug und berücksichtigen das Heidelberg-Typische, das besondere Flair der Stadt.

Jonas: Das Besondere am Forum ist, dass man zu sehr ausgewogenen Lösungen gekommen ist. Die Empfehlungen ermöglichen eine Entwicklung, die groß genug ist, um den Einzelhandelsstandort deutlich voranzubringen. Gleichzeitig achten sie darauf, dass die Entwicklung so angemessen, so integriert und so rücksichtsvoll wie möglich ist, damit die sensiblen, schützenswerten Strukturen der Heidelberger Innenstadt erhalten bleiben und gestärkt werden.

Wie geht es jetzt nach dem Gemeinderatsbeschluss weiter?

Jonas: Die Verwaltung arbeitet zurzeit mit Hochdruck daran, die Empfehlungen des Innenstadtforums und weitere notwendige Maßnahmen zu konkretisieren und umzusetzen. Im Herbst soll dem Gemeinderat eine umfassende Vorlage vorgelegt werden, die zu allen notwendigen Handlungsschritten Beschlussempfehlungen enthält. Hierzu gehören beispielsweise ein Wettbewerb für die Entwicklung des Einzelhandels in der östlichen Altstadt im Bereich der Theaterstraße, begleitende Maßnahmen für die Eigentümer, begleitende Maßnahmen für die Ladenbesitzer, Maßnahmen zur Einflussnahme auf die Qualität des Einzelhandelsangebotes oder ein Projektbeschluss für einen Nahversorgungsstandort in der Friedrich-Ebert-Anlage. Weitere Komponenten sind ein Konzept zur Aufwertung des öffentlichen Raumes oder ein Parkleitsystem.

Das Innenstadtforum hat eine Entwicklung im Bereich Theaterstraße deutlich priorisiert, auch bezogen auf die zeitliche Umsetzung. Jetzt ist die Verwaltung gefragt, einen zeitlichen Schutzraum für diese Entwicklung zu gewährleisten. Denn auf dem Markt dürfte der Standort Theaterstraße komplizierter zu entwickeln sein. Daneben wird es Aussagen zur perspektivischen, späteren Entwicklung im westlichen Bereich der Innenstadt rund um den Bismarckplatz geben. Wesentlicher Teil der Vorlage wird also auch ein Zeitplan sein.

Was war Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept des Innenstadtforums?

Hahn: Das erste Erfolgsrezept war, dass sich jeder mit seiner Meinung und seinen Zielen ins Forum einbringen konnte und ernst genommen wurde. Das ist natürlich auch wesentlich der großartigen Leistung der Moderatoren zu verdanken.

Die klare Strukturierung der inhaltlichen Diskussion ist das zweite Erfolgsrezept. Alle Arbeitsschritte waren so aufeinander abgestimmt, dass sie verwertbare Teilergebnisse geliefert haben.

Das dritte Erfolgsrezept schließlich: Zu Beginn des Prozesses wurden ganz intensiv die grundsätzlichen Ziele und Visionen herausgearbeitet. Hierbei zeigte sich, dass es zwischen den unterschiedlichen Beteiligten einen großen Konsens gibt. Erst am Ende des Forums ging es um die konkrete Standortfrage, die dann jedoch auf einer großen gemeinsamen Überzeugungsbasis beantwortet werden konnte.

Entscheidend für den Erfolg des Forums ist die Kultur des Miteinanders und der Kommunikation, die sich im Laufe des Prozesses entwickelt hat. Ich bin überzeugt davon, dass diese Kultur über das Forum hinaus trägt. Dies betrifft auch die Bürgerinitiative oder die Bürger für Heidelberg, mit denen die Kommunikation nicht abgebrochen ist.

Jonas: Zwei Ergänzungen: Im Prozess sind alle geäußerten Meinungen dokumentiert worden und ins Ergebnis eingeflossen, keine Meinung ist untergegangen. Durch das Forum ist es gelungen, die Kommunikation untereinander und zwischen der Verwaltung und den unterschiedlichen Gruppierungen zu intensivieren. Die Kommunikation wird sich auch außerhalb des Forums verstetigen und fortgesetzt werden. Es ist Vertrauen entstanden.

Was muss Ihrer Meinung nach sonst noch getan werden, um mehr Kaufkraft an Heidelberg zu binden?

Jonas: Neben der Umsetzung der sehr umfangreichen Empfehlungen wird es beispielsweise unsere Aufgabe sein, die Innenstadt in Richtung Fluss zu erweitern. Insofern ist die qualitative Entwicklung des Einzelhandels in der Innenstadt Teil des großen Projektes Stadt an den Fluss. Aber auch eine Erweiterung in Richtung Plöck und die Aufwertung der Nebenstraßen mit einer sympathischen, spezialisierten, individuellen Angebotsstruktur werden genauso Bausteine eines Gesamtkonzeptes sein wie etwa das Verkehrsleitsystem.

Hahn: Insgesamt geht es darum, die Innenstadt lebenswerter, interessanter und attraktiver zu machen – für die Menschen, die hier wohnen, arbeiten und einkaufen. Dazu müssen gleichermaßen der öffentliche Raum, die Angebote im Einzelhandel und die Angebote in den Bereichen Kultur und Freizeit verbessert werden. Die Stärke der Altstadt ist ihre urbane Nutzungsvielfalt. Wir stellen uns der Herausforderung, diese Vielfalt zukunftsfähig und auch ökonomisch erfolgreich zu gestalten.

Blick nach vorn: Wie wünschen Sie sich Heidelberg als Einzelhandelsstandort in zehn Jahren?

Jonas: Vorweg: Insgesamt ist unser Ziel nicht eine Frequenzsteigerung der Besucher in der Innenstadt. Ein Frequenzproblem haben wir wirklich nicht. Aber es muss uns gelingen, das Besuchsmotiv Einkaufen in die Köpfe und Herzen der Menschen zu bringen. Dann werden wir auch aus dem schleichenden „Down-trading-Prozess“ herauskommen – also aus der Situation, dass sich bei einem Ladenwechsel vorwiegend Ketten-Geschäfte, Billig-Läden oder Geschäfte mit einem einseitigen Warenangebot ansiedeln. Wir werden eine qualitativ hochwertige Nutzung schaffen, die dem 1a-Standort angemessen ist: den großen Textilanbieter, den Sportanbieter, den Elektronik-anbieter. Diese Angebote wiederum werden die Nachfrage hochwertiger Boutiquen und anderer Geschäfte steigern, die nach Ladenflächen in der Innenstadt suchen.

Meine Vision: In zehn Jahren hat Heidelberg den Aufwertungsprozess geschafft. Heidelberg ist in den Köpfen der erweiterten Region ein interessanter Einkaufsstandort geworden, in den man lieber fährt als nach Mannheim – nicht, weil wir mehr Angebote haben, sondern weil wir bei einem guten, kleinteiligen Angebot die bessere Atmosphäre bieten.

In einer zunehmend uniformer werdenden Einzelhandelslandschaft in Deutschland wird Heidelberg eine einzigartige, attraktive, funktionierende Innenstadt bieten – ohne Mall, ohne Privatisierung des öffentlichen Raumes, ohne Center-Management. Heidelberg hat die Kraft, das zu können.

Innenstadtforum

Das Innenstadtforum Einzelhandel hatte die Aufgabe, von Januar bis Juni 2008 in insgesamt vier Sitzungen konkrete Empfehlungen an den Gemeinderat zu erarbeiten, wie der innerstädtische Einzelhandel gestärkt werden kann. Teilnehmer des Forums waren Vertreter der Gemeinderatsfraktionen, der Bezirksbeiräte Altstadt und Bergheim, der Stadtteilvereine Altstadt und Bergheim, des Vereins Bürger für Heidelberg, der Initiative Lebenswerte Altstadt, der Verbände und Organisationen der Wirtschaft und des Einzelhandels, der Architektenkammer Heidelberg, des Verbandes der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer Heidelberg und Umgebung e.V. sowie des Beirats zur Gesamtanlagenschutzsatzung. Moderiert wurde das Innenstadtforum vom Team des Büros Netzwerk für Planung und Kommunikation aus Stuttgart in Kooperation mit dem Heidelberger Büro PlanImDialog.

Alle Infos zum Forum und zu den Empfehlungen unter www.heidelberg.de/Innenstadtforum.