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stadtblatt  / 23. Dezember 2020 7 JAHRESRÜCKBLICK 2020 „Wir sind in der Krise zusammengerückt“ Interview mit Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner Ein außergewöhnliches Jahr geht zu Ende. Wann wurde Ihnen bewusst, dass das Co- ronavirus auch in Heidelberg ankommt? Prof. Dr. Eckart Würzner  Wir sind gut ins neue Jahr gestartet,mit tollen Perspektiven für Heidelberg. Mitte Februar,während der Fastnachtsferi- en, zeichnete sich dann aber schnell ab,dass das Virus sich auch in Europa rasant verbreitet. Dementsprechend habe ich noch in den Ferien die ers- te Krisenrunde einberufen.Acht Tage später,am 28.Februar,gab es auch bei uns den ersten bestätigten Fall am Uniklinikum. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die ersteWelle abzufangen? Würzner  Wir haben das gemacht, was notwendig war, haben schnell und konsequent gehandelt und ha- ben über den Deutschen Städtetag Druck auf die Bundesebene gemacht, einen „Lockdown“ ernsthaft umzusetzen. In Heidelberg haben wir notwendiger- weise das Theater, Fes- tivals und andere Ver- anstaltungen untersagt, als das in anderenTeilen Deutschlands nur disku- tiert wurde. Heidelberg hat als eine der ersten Städte in Deutschland auf das Thema Masken gesetzt.Warum? Würzner  Durch meine Kontakte nach Asien war mir klar,wie wichtig Maskentragen für die Verhinderung der Corona-Ausbreitung ist. Über unsere internationalen Netzwerke und chinesischen Partner konnten wir gute Masken direkt geliefert be- kommen.Damit habenwir Kliniken, Pflegeheime und Arztpraxen ver- sorgt. Die drohten geschlossen zu werden, weil es keine ausreichen- den Schutzmaterialien gab. Zudem haben wir Unternehmen Abnahme- Mengen garantiert, die eine neue Produktionslinie für Desinfektions- mittel und Masken hier vor Ort auf- bauen wollten. Ab Mai ging es dann darum, weite Bereiche unserer Stadtgesellschaft direkt zu unterstützen.Etwamit dem Mieterlass für Clubs,Gaststätten oder soziale Einrichtungen.Vor allem aber habe ich auf eine Ermöglichungs- kultur gedrängt: Verfahrenserleich- terungen bei Baugenehmigungen, großzügige Erweiterung der Außen- gastronomie und noch mehr. Was heißt das konkret? Würzner  Angebote statt Verbote: Wenn jemand etwas machen woll- te, dann haben wir alles dafür getan, dass er das schnell machen konnte. Ein Beispiel ist die Außengastrono- mie. Die Wirte konnten dem Ord- nungsamt eine Handskizze geben, wo sie gerne weitere Tische aufstel- len wollten. Ein Wirt sagte mir, er hatte die Genehmigung schneller als die zusätzlichen Stühle.Das Kon- zept kam super an. „Es ist ein Miteinander“ Meistens ging es um Einschränkungen. Wie haben die Menschen darauf reagiert? Würzner  Ich war erstaunt,wie vie- le Menschen sehr viel Verständnis und Einsicht für die notwendigen Einschränkungen hatten. Wie haben Sie persönlich die Coronakrise erlebt? Würzner  Ich bin sehr dankbar dafür, bislang noch keinen aktiven Fall in meiner Familie erlebt zu haben. Andere Schick- sale habenmichumsomehr berührt: der einsame Kampf in den Intensivstationen oder auch die Spätfolgen,die sich bei einigen einge- stellt haben.Oder die enorme psychi- sche Belastung, die Vereinsamung von vielen. Haben Sie der Krise auch Positives abge- winnen können? Würzner  Ja, die große Hilfsbereit- schaft, gerade bei uns hier in Hei- delberg. Das ist ein tolles Signal.Wir sind in der Krise enger zusammen- gerückt, einfach menschlicher ge- worden. Man erkundigt sich, wie es dem Nachbarn geht, der Kassiererin, man bedankt sich beim Paketboten und vielen anderen. Es ist ein Mit- einander, kein Gegeneinander. Dafür sollten wir alle sehr dankbar sein, und genau das möchte ich mit mei- ner Arbeit unterstützen. Was bleibt von 2020 außer Corona? Würzner  Wir investieren weiter massiv in Schulen, in Kitas, in das Haus der Jugend oder auch in Kul- turhäuser wie den Karlstorbahnhof oder die Stadthalle.Wichtig sind mir vor allem die sozialen Projekte, etwa das Stadtteilzentrum in der Chapel in der Südstadt oder das Angebot für Obdachlose, die wir im Winter auch in Hotels einquartieren, um eine Ansteckung zu vermeiden. Wir haben im Klimaschutz einen großen Windpark und einen Solar- park in der Größe von 50 Fußballfel- dern beauftragt. Die Sportangebote haben wir erweitert mit der Groß- sporthalle, dem SNP Dome. Eine Studie der Wirtschaftswoche 2020 belegt,dass Heidelberg unter den 400 Kreisen und kreisfreien Städten über die dritthöchste Zukunftsfähig- keit in Deutschland verfügt: Spitze in der Lebensqualität, geringe Arbeitslo- sigkeit,sehr gut inBildung,Wirtschaft und Innovation. Heidelberg ist dadurch weniger krisenanfällig und damit gut für die Zukunft aufgestellt. „Studie belegt dritthöchste Zukunfts- fähigkeit bundesweit“ Wie zufrieden sind Sie mit den Fortschrit- ten auf den Konversionsflächen? Würzner  In der Bahnstadt sind vie- le Wohnungen entstanden. In der Südstadt haben wir eines der größ- ten bezahlbaren (unter 8,50 Euro) Wohnbauprojekte bundesweit mit mehr als 1.400 Wohneinheiten fast fertiggestellt. Auch viele Sozialpro- jekte entstehen hier,wie alternative Baugruppen, studentisches Wohnen oder der Andere Park. Das Hospital- gelände ist von Altlasten befreit und bereits im Entstehen. Für PHV haben wir einen zukunfts- fähigen Masterplan beschlossen, unser letzter großer Stadtteil für rund 10.000 Bewohner, den werden wir dringend brauchen, um zukunftsfähig zu bleiben. „Bis Ende des Früh- jahrs wieder etwas mehr Normalität“ Welche Erwartungen haben Sie für 2021 ? Würzner  Die Aussichten sind wirk- lich positiv.Im Impfzentrum können wir nach Weihnachten sofort mit dem Impfen beginnen. Bis Ende des Frühjahrs könnten wir dann wieder etwas mehr Normalität ermöglichen. Dann erholt sich die Wirtschaft. Es gibt wieder Arbeit und Jobs und vor allem können wir uns wieder zwi- schenmenschlich näher sein. Global bleiben die großen Herausfor- derungen, wie der Kampf gegen die Klimaveränderung mit ihren enor- men ökologischen und sozialen Fol- gen. Immer noch fehlt ein Marshall- plan für Afrika, aber auch für die Bekämpfung der Ursachen für die immer stärkeren,weltweiten Migra- tionsbewegungen.Hier gilt es,insbe- sondere international bessere Ant- worten zu finden. Die Städte werden dabei eine stärkere Rolle spielen. Ein Video-Interview mit dem Ober- bürgermeister ist zu sehen unter www.heidelberg.de Zur Wiederaufnahme des Schulbetriebs verteilte die Stadt im Mai mehr als 56.000 Masken an Heidelberger Schulen. OB Würzner übergab persönlich mit Schulleiter Uli Richard Liebler (r.) die Schutzmasken an der Julius-Springer-Schule. ( Foto Stadt HD) Rückblick 2020

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