Kultur

Sehnsucht nach dem Unbekannten

Der Schriftstellerin und Clemens-Brentano-Preisträgerin Ann Cotten im Gespräch mit Heidelberger Studierenden

Der mit 10.000 Euro dotierte Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg, der in diesem Jahr in der Sparte Lyrik vergeben wird, geht an die 1982 in Iowa/USA geborene Ann Cotten. Sie erhält den Preis für ihren Debüt-Lyrikband „Fremdwörterbuchsonette“. Mit Ann Cotten sprachen Mitglieder der Brentano-Jury 2008, die Studierenden Anika Meier, Irmela Wagner und Andree Weber.

Lyrik-„Wunderkind“: Ann Cotten (Foto: Suhrkamp Verlag)
Lyrik-„Wunderkind“: Ann Cotten (Foto: Suhrkamp Verlag)

Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, dass Sie mit Ihrem Lyrikdebüt „Fremdwörterbuchsonette“ Gewinnerin des Clemens-Brentano-Preises der Stadt Heidelberg geworden sind?

Cotten: Es war so, dass mich eine Bekannte besucht hatte und wir gerade zwei Flaschen Wein getrunken hatten und dann kam dieser Anruf. Zuerst habe ich nicht geantwortet, aber beim zweiten Mal habe ich doch abgehoben und war erst einmal ziemlich verblüfft. Ich habe gesagt, dass ich sehr gerührt bin, und habe gleichzeitig auf einen Zettel geschrieben „10.000 Euro“, und meine Freundin – eine amerikanische Dichterin – hat hysterisch zu lachen angefangen. Anschließend sind wir in die Neuköllner Galerie gegangen, in der eine Lesung von einem Freund von mir stattfand. Ich hatte eine Pelzmütze auf. Und war sehr erfreut. Die Pelzmütze habe ich verloren an dem Abend. Aber jetzt kriege ich ja 10.000 Euro. Ich fand auch toll, dass Studenten in der Jury mitgemacht haben. Ich habe das Gefühl, dass es dadurch eine interessante Mischung ist und nicht nur eine Literaturbetriebspolitik-Geschichte. Aber letztlich geht es mir um den einzelnen Leser, die einzelne Leserin, und wenn mir eine einzelne Person sagt, dass die Sachen toll sind, dass sie etwas damit anfangen kann, dann bedeutet mir das viel. Man trifft natürlich vor allem dann Leute, die von den eigenen Gedichten angetan sind, wenn man live auftritt.

Sie sind in Iowa geboren, dann mit fünf Jahren nach Wien gekommen und dort aufgewachsen. Haben Ihre amerikanischen Wurzeln und Ihre Zweisprachigkeit Einfluss gehabt auf Ihr Schreiben?

Cotten: Sicherlich. Wie alles, was man überhaupt erlebt, Einfluss hat. Vielleicht wird man ein bisschen schneller mit der Nase darauf gestoßen, dass das mit der Sprache nicht ganz so unkompliziert ist, dass es interessante Interferenzen und seltsame Phänomene gibt, wenn verschiedene Leute verschiedene Sprachen sprechen. Irgendwann kommt wahrscheinlich jeder auf diesen sprachkritischen Punkt. Es ist aber einfacher, wenn man zweisprachig hingeführt wird. Dann ist es zuerst ein konkretes und spezifisches Problem und man kommt erst nach und nach darauf, was es mit diesem existentiellen Phänomen zu tun hat, dass es vielleicht Unsprachliches gibt und dass die Sprache nicht automatisch etwas mit der Wahrheit und mit der Realität zu tun hat.

In einem Ihrer Gedichte heißt es „Alles was Sehnsucht diktiert, ist Quatsch.“ Dürfen Gedichte nicht ‚schön‘ sein und Gefühle wie Sehnsucht beim Leser wecken?

Cotten: Ich habe erst vorgestern diskutiert, was Sehnsucht überhaupt ist. Die Anderen sagten, dass es immer Sehnsucht nach etwas Bestimmtem sein muss, und ich sagte nein, ich glaube, Sehnsucht ist immer nach etwas, das man eben nicht ganz erfassen kann, nach etwas Unbekanntem, vielleicht nach der Tatsache des Unbekannten. Und das hat für mich mit Schönheit nichts zu tun. Wenn ein Gedicht schön ist, dann freue ich mich. Aber wenn es Sehnsucht erweckt, dann hat das mit Ahnungen zu tun, und dass man irgendwie hineingezogen wird dadurch, dass etwas aus dem eigenen Leben aufflimmert. Aber man hat es nicht ganz, man kommt nicht ganz dahinter, was los ist. Das ist etwas, was eher passiert, wenn etwas irgendwie nicht stimmt oder irgendwas sperrig ist.

Sie schöpfen aus einem reichen Fundus an literarischem Wissen. Tradition und auch Innovation spielen in Ihren Gedichten eine wichtige Rolle. Wen schätzen Sie als Vorbilder?

Cotten: Sehr, sehr viele. Immer wieder entdecke ich etwas und bin ganz begeistert davon. Wenn ich jetzt Melville entdecke, oder wieder entdecke, schwärme ich wochenlang von ihm. Aber ich könnte nicht sagen, dass ich ein zentrales Vorbild habe. Es gibt Leute wie Brigitta Falkner, die ich zwar nicht methodisch nachahme, aber die ich einfach riesig achte. Das wäre ein Vorbild, weil sie so konsequent und lustig und konsequent unpeinlich und einfach super ist in allem, was sie macht; auch wenn ich ganz andere Sachen mache.

Sie haben ihr Debüt im renommierten Suhrkamp Verlag veröffentlicht. In den Feuilletons liest man, die Lyrik hat in Deutschland mit Ihnen wieder ein Gesicht bekommen, und Sie genießen den Ruf, ein Wunderkind zu sein. Was denkt man, wenn man solche Lobeshymnen über sich selbst liest?

Cotten: Ich lache ein bisschen über das Feuilleton, weil es offenbar das Bedürfnis hat, die Dinge zu übertreiben. Obwohl ich durchaus auch etwas für Übertreibung übrig habe, ich das also verstehen kann; aber in dem Ausmaß ist das natürlich alles vollkommen haltlos. Es war ein Glücksfall, dass es mit Suhrkamp sofort geklappt hat. Damit habe ich nicht im Geringsten gerechnet, sonst hätte ich den Band in einem kleineren Verlag gebracht und alles wäre etwas langsamer gegangen, wäre ich vielleicht für mich selbst nicht zu so einer seltsamen Figur geworden. Es beeinflusst mich schon, dass man alles, was über mich gesagt wird, nicht besonders ernst nehmen kann. Ich nehme mich selbst immer weniger ernst, was aber auch ganz angenehm ist.

Das vollständige Interview ist in der Broschüre „Clemens- Brentano-Preis der Stadt Heidelberg 2008“, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Heidelberg, nachzulesen.

Preisverleihung und Lesung

Der Clemens-Brentano-Preis 2008 wird am Dienstag, 1. Juli, von Bürgermeister Wolfgang Erichson verliehen. Die Laudatio hält die Literaturwissenschaftlerin, -kritikerin und Autorin Dr. Daniela Strigl, die auch Jurorin des renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises ist. Am Mittwoch, 2. Juli, um 19.30 Uhr liest Ann Cotten in der Stadtbücherei, Poststraße 15, aus ihrem Lyrikband „Fremdwörterbuchsonette“. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen zum Clemens-Brentano-Preis gibt es im Internet unter www.heidelberg.de/kulturamt.