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stadtblatt Jahresrückblick 2021 2 OB-INTERVIEW „Wir wollen eine soziale Entlastung derer, die sich klimafreundlich verhalten“ Interview mit Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner Herr Oberbürgermeister, können Sie das Wort „ Corona “ überhaupt noch hören? Prof. Dr. Eckart Würzner  Ich glau- be, das kann keiner mehr hören. Es ist schon eine sehr belastende Zeit für alle. Viele Ältere, Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankun- gen haben Angst davor, aus dem Hause zu gehen.Kinder, Jugendliche und Studierende erleben die Situati- on zunehmend als bedrückend, weil ihnen so vieles nicht möglich ist, was in dieser Lebensphase wichtig ist: Treffen mit Freunden, gemein- same Erlebnisse, Partys. Viele Eltern gehen angesichts von Betreuungs- lücken auf dem Zahnfleisch. Betrie- be, auch Selbständige und Künstler, kämpfen um ihre Existenz. Corona sorgt ja in allen Altersgruppen für Zündstoff. Teilweise ist schon von ei- ner Spaltung der Gesellschaft die Rede. Nehmen Sie das in Heidelberg auch wahr? Würzner  Nein, nicht in dieser Dra- matik.Wir sind eine Wissenschafts- stadt, die Menschen vertrauen der Forschung und den Fakten. Es fin- den natürlich auch hier Diskussio- nen statt.Aber es führt nach meiner Wahrnehmun g nicht zu Graben- kämpfen oder einer Radikalisierung. Ich habe viel Kontakt zu Bürger- meistern in Leipzig, Halle, Dresden oder im Ausland. Diese erleben ganz andere Situationen. Noch mehr Menschen vom Impfen überzeu- gen Wie ist es um die Impfbereitschaft in Heidelberg bestellt? Würzner  Weit mehr als 70 Prozent sind vollständig geimpft, damit ge- hören wir zu den Städten in Baden- Württembergmit der höchsten Quo- te – aber wir sind leider noch nicht da, wo wir sein müssten. Es gibt Regionen, auch in Baden-Württem- berg, in denen 40.000 von 100.000 Menschen nicht geimpft sind! Wir müssen also noch mehr Menschen mitnehmen und überzeugen.Und in letzter Konsequenz gehört für mich auch eine Impfpflicht dazu. Nur so kommen wir aus der Pandemie und ermöglichen allenMenschenwieder ein Leben in Freiheit und Sicherheit. Gerade Jugendliche haben in diesem Jahr fehlende Angebote beklagt – und imöffent- lichen Raum kam es zu Eskalationen … Würzner  Man muss da unterschei- den: Um Pfingsten herum hatten verständlicherweise viele junge Menschen nicht nur in Heidelberg den Wunsch, endlich wieder feiern zu können. Einige haben die Situa- tion allerdings genutzt, um ihrem Frust freien Lauf zu geben. Diesen inakzeptablen Krawalltourismus haben wir entschlossen unterbun- den. Dafür war leider auch die kurz- zeitige Sperrung der Neckarwiese notwendig. Das war zwingend und hat sich auch im Nachgang als ge- nau richtig erwiesen. Parallel haben wir außerdem in kürzester Zeit auch alternative und von uns begleitete Treffpunkte ermöglicht. Viele Projekte gemein- sam mit und für Jugendliche Sie haben dann eine Arbeitsgruppe “Jun- ges Heidelberg” gegründe t – mit welchen Ergebnissen? Würzner  Wir haben mit dem „Fei- erbad“ eine neue Veranstaltungs- location ermöglicht, bei dem die Jugendlichen enormviel selbst orga- nisierten.Ich freuemich,dasswir im Gemeinderat jetzt die Zustimmung für eine „Winter-Edition“ sowie die Option einer Sommer-Edition be- kommen haben. Wir werden außer- dem weiter an neuen Beteiligungs- formaten für die Jugend arbeiten und da einen engen Draht halten. Heisst das, das das in der Vergangenheit nicht so war? Würzner  Wir machen seit Jahren viele Projekte für Jugendliche und gemeinsam mit Jugendlichen, ob in unseren Jugendhäusern, dem Stadt- jugendring oder den vielen Jugend- angeboten im Kultur- und Sportbe- reich. Auch der Jugendgemeinderat ist sehr aktiv. Dennoch müssen die jungen Menschen ihre Themen noch besser platzieren können.Viele Clubs haben beispielsweise schon vor Co- rona ihre Jugendangebote massiv re- duziert. Gerade für die 14- bis 18-Jäh- rigen ist einiges weggebrochen. Die Pandemie hat diesen Mangel dann auf die Spitze getrieben. Als Stadt müssen wir so etwas künftig schnel- ler wahrnehmen und gegensteuern. Ein Thema, das auch in einer Pandemie in Heidelberg nicht verschwindet, ist der Verkehr. Sie haben eine Initiative für ei- nen kostenlosen Nahverkehr gestartet – warum? Würzner  Weil der ÖPNV attrakti- ver werden muss. Nicht nur durch bessere Angebote – was wir ja seit Jahren stetig machen –, sondern auch durch einen geänderten Preis. Wir wollen eine soziale Entlastung gerade derer, die sich klimafreund- lich verhalten. Unter 21 und über 60 Jahre – für diese Gruppen sollte der ÖPNV kostenlos sein, um dieses Transportmittel stärker positiv zu verankern. In diesem Jahr hatten wir mit dem Haushalt eine klare Beschlussvorlage und Finanzen für einen kostenlosen Wochenend-Ta- rif im Advent für alle eingebracht. Das hatte der Gemeinderat auch mit dem Klimaschutzaktionsplan be- reits beschlossen.Dass es dann doch gescheitert ist, ist sehr bedauerlich. Heidelberg ist eine wachsende Stadt und der Wohnraum begehrt – wie schafft die Stadt ein ausreichendes Wohnungsan- gebot? Würzner  Wir haben den Woh- nungsbau massiv nach vorne ge- bracht. Wir sind die Stadt in Baden- Württemberg, neben Heilbronn,mit dem höchsten Wohnungszuwachs in den letzten zehn Jahren. Unse- re städtische Wohnungsbaugesell- schaft GGH spielt dabei eine zentra- le Rolle. Sie hält fast 15 Prozent der Mietwohnungen in Heidelberg. In anderen Uni-Städten wie Freiburg oder Tübingen ist der Anteil der kommunalen Wohnungen nur halb so hoch.Die Durchschnittsmiete der GGH beträgt 6,82 Euro. Und wir sor- gen weiter für preiswerten Wohn- raum, unter anderem auf den ehe- maligen US-Flächen in der Südstadt, in Rohrbach und auf PHV. Sind dann die Grenzen des Wachstums erreicht? Würzner  Aus meiner Sicht haben wir das Siedlungsgebiet mit der NachnutzungvonPHVdannweitest- gehend erschlossen: ImZentrumein urbaner Stadtraum. Darum liegt ein großer Grüngürtel mit Erholungs- flächen, Wald und Landwirtschaft. Diesen Grüngürtel sollten wir nicht antasten. Deshalb entwickeln wir ja seit Jahren mit der Bahnstadt und der Konversion große Flächen, die bereits besiedelt waren. Heidelberg Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner im Jahresinterview 2021/22 ( Foto Rothe)

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