Kultur
Dialog mit der arabischen Welt
Ein Gespräch mit Stefan Weidner, Preisträger des Clemens Brentano Preises 2006 – Preisverleihung am 22. Mai
Für seinen Essayband „Mohammedanische Versuchungen“ erhält Stefan Weidner am 22. Mai den mit 10.000 Euro dotierten Clemens Brentano Förderpreis für Literatur der Stadt Heidelberg. Der 1967 geborene Schriftsteller lebt heute in Köln und arbeitet als Autor, Literaturkritiker und Übersetzer. Seit 2001 ist er Chefredakteur der Zeitschrift „Fikrun wa Fann/Art and Thought“, die vom Goethe-Institut herausgegeben wird. Mit Stefan Weidner sprachen Mitglieder der Brentano-Jury 2006, die Studierenden Carolin Eichenlaub, Cornelius Amberger und Martin Odermatt. Ein Auszug.
STADTBLATT: Herr Weidner, der Gegenstand Ihres erzählten Essays ist zur Zeit auch ein hochbrisantes weltpolitisches Thema. Wo verlaufen die Grenzen zwischen Kultur und Politik beim Thema Islam?
Stefan Weidner: Es gibt keine strengen Grenzen, alles Kulturelle bekommt schnell eine politische Dimension im gegenwärtigen Zusammenhang. Viele Auseinandersetzungen entzünden sich an explizit kulturellen Fragen. Der Karikaturenstreit ist das beste Beispiel für ein primär kulturelles Thema, das im interkulturellen Prozess eine politische Dimension annimmt. Was meine eigene Arbeit angeht – ich komme von der Literaturseite her und die Fragen, die mich ursächlich beschäftigen, sind kultureller Art. Ich bedaure, dass das Kulturelle immer im Windschatten des Politischen steht, weil dadurch das unbefangene Sprechen über diese Themen verloren geht.
STADTBLATT: Sie sind Experte für moderne arabische Dichtung. Sind Sie in Ihrem eigenen Schreiben von dieser Literatur inspiriert oder beeinflusst?
Weidner: Oberflächlich gar nicht. Ich wollte immer selber schreiben, hatte aber nur ein vages Gefühl davon, was ich sagen kann und wo ich hin will. Die Brücke zwischen Resignieren und Selber-Schreiben war das Übersetzen moderner arabischer Lyrik, deren Schönheit mich faszinierte. Dies stellt für mich eine Annäherung dar, nicht nur an die arabische Kultur, sondern auch an die Kreativität selbst. In der Beschäftigung mit der arabischen Literatur, diesem Raum des ganz anderen, habe ich die Scheu vor dem eigenen Schreiben verloren.
STADTBLATT: Sie bemühen sich beruflich um einen Dialog mit der arabischen Welt. Wo verorten Sie sich persönlich zwischen den Kulturen?
Weidner: Meine Arbeit mit der Zeitschrift des Goethe-Instituts, „Fikrun wa Fann“, besteht darin, mitteleuropäische Kultur bekannt zu machen, um eine Wissensgrundlage für ein Gespräch mit der islamischen Welt zu schaffen, Gespräche zu initiieren über Kunst, Literatur, Philosophie, essayistisches Denken, Film, politische und soziologische Fragen. Das ist der klare Auftrag der Zeitschrift. Mich persönlich sehe ich als Abendländer, Westler, Deutschen, aber mich reizt das Rollenspiel, indem man die eigene Weltanschauung nicht absolut setzt, sondern immer wieder auch in die Haut des anderen schlüpft. In kulturellen Auseinandersetzungen gibt es Fragen, bei denen kann ich einfach keine persönliche Position einnehmen, Dinge die ich nicht entscheiden könnte. Deswegen möchte ich möglichst viele Positionen zum Sprechen bringen, das gibt mir eine gewisse Freiheit.
STADTBLATT: Was hat die islamische Welt dem Westen voraus?
Weidner: Ein ganz großes Thema ist der soziale Zusammenhalt, mit einer positiven und einer problematischen Seite: Die Individuen sind wirtschaftlich und sozial relativ abhängig von ihrer (Groß-)Familie. Es steht zum Beispiel nicht zur Debatte, wie es um die Sicherheit der Renten steht, weil die Renten ohnedies sehr gering sind. So ist dann die Familie für einander da, das ist in vieler Hinsicht ein Vorteil, nicht nur ökonomisch, auch psychologisch. Die Leute sind sozial eingebunden. Andererseits hemmt es die individuelle Entwicklung und persönliche Freiheit. Wäre es nun möglich, den Zusammenhalt zu bewahren und gleichzeitig individuelle Freiheit und Kreativität zu ermöglichen, so könnte die islamische Welt eher mit dem Westen zusammenwachsen oder umgekehrt – das ist die Aufgabe, die beiden Kulturen bevorsteht. Der Westen hat ethische und moralische Werte, aber tatsächlich ist das, was wirksam ist, doch das, was sich aufrechnen lässt in Heller und Pfennig. Die Araber sind zwar nicht weniger materialistisch, aber es gibt einen Wertediskurs jenseits des bloß Materiellen, der allerdings stark religiös begründet ist. Wir orientieren uns an einer Zeitperspektive von 30 Jahren, also seit 68. Kulturtechniken, um mit Armut umzugehen, gibt es nicht, weil sie in diesem Spektrum nicht vorkommen. In der islamischen Welt ist es dagegen möglich, arm zu sein und trotzdem Würde zu haben. Aber nennen Sie mir die Kulturtechnik im Westen, die dem entsprechen würde? Allenfalls das Dasein des armen Poeten wäre eine solche Seinsmöglichkeit, und manchmal denke ich, ich steuere zielbewusst darauf zu.
Das vollständige Interview ist in der Broschüre "Clemens Brentano Preis der Stadt Heidelberg 2006", herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Heidelberg, nachzulesen.
Preisverleihung und Lesung
Der Clemens Brentano Preis 2006 wird am Montag, 22. Mai, um 20 Uhr von Oberbürgermeisterin Beate Weber im Spiegelsaal des Prinz Carl, Kornmarkt 1, verliehen. Die Laudatio hält der Autor und Journalist Dr. Helmut Böttiger. Am Dienstag, 23. Mai, um 19.30 Uhr liest Stefan Weidner in der Stadtbücherei, Poststraße 15, aus seinem Band „Mohammedanische Versuchungen“. Der Eintritt ist frei.