Kultur

Nicht zurückkehren? Niemals!

Klaus Müller alias Paul Gompitz über den „Spaziergang von Rostock nach Syrakus“

Klaus Müller ist Paul Gompitz. Und ist es doch nicht. Der 65-jährige Rostocker floh 1988 mit einer Segeljolle aus der DDR, um nach Italien zu reisen. Nachdem er sich seinen Lebenstraum erfüllt hatte, kehrte er zurück nach Rostock. Er wurde zur lebenden Vorlage für Paul Gompitz, der Hauptfigur der Erzählung „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“. Ein STADTBLATT-Gespräch.

Porträt von Klaus Müller


STADTBLATT
Friedrich Christian Delius hat von Ihrer Flucht-Geschichte 1992 in der Ostseezeitung auf Rügen gelesen. Wann haben Sie sich getroffen?


Klaus Müller:
Delius hat ein Jahr später angerufen. Wir haben uns in meiner Wohnung in Rostock getroffen und ich habe ihm meine Geschichte erzählt. Aus den Tonaufnahmen und Aufzeichnungen entstand ein 55-minütiges Feature mit dem Titel „Ohne Italien geht’s nicht in die Kiste“. Bis auf den Bayerischen Rundfunk hat’s auch jede deutsche Radioanstalt in den letzten zwölf Jahren gesendet. Und weil es so erfolgreich war, hat Delius da-
raus 1995 ein Buch gemacht.


STADTBLATT
Worin unterscheiden sich Paul Gompitz und Klaus Müller?


Müller:
Im Namen und in den persönlichen Beziehungen. Ich wollte meine Lebensgefährtin aus der Geschichte ganz rauslassen, aber Delius meinte: ‚Im Westen muss eine Beziehungskiste dabei sein, sonst verkauft sich’s nicht.’ Alles andere in der Erzählung ist authentisch, wenn auch verkürzt.


STADTBLATT
Haben Sie während Ihrer Italien-Reise einen Moment daran gezweifelt, in die DDR zurückzukehren?


Müller:
Niemals. Der Westen stellte sich ja im Fernsehen nun wahrheitsgemäßer dar als der Osten. Wir wussten über den Westen relativ gut Bescheid. Und mir war klar, dass ich in dieser kommerzabhängigen Gesellschaft mit 47 kein Leben aufbauen kann. Zudem war ich im Osten ein wohlhabender Mann, hatte dort Freunde, eine fürstliche Altbauwohnung, handelte mit Antiquitäten und hatte durch meine Tätigkeit in der Gastronomie viel Bargeld. Mir ging es richtig gut. Ich war in Gefahr, in die Bürgerfalle zu tappen.


STADTBLATT
Waren Sie seit Ihrer legendären Reise noch mal in Italien?


Müller:
Ich bin kein Mensch, der mit seiner Gaffsucht anderen Leuten die Refugien zertrampelt. Aber wenn ich zum 200. Jahrestag des Besuches Seumes nach Rom eingeladen werde, dann fahr’ ich hin. So geschehen im März 2002. Da war ich nochmal dort.


STADTBLATT
Heute haben Sie die Freiheit, überall hin zu reisen? Ist dies das Ende der Sehnsucht?


Müller:
Es gibt viele Orte auf der Welt, an denen ich gewesen bin: in den Niederlanden, im südlichen England. Ich bin nach Chile auf der Magellan-Straße gereist. Eines aber muss noch unbedingt sein: Ich werde im Herbst auf den Spuren des Felix Krull von Eltville über Paris nach Lissabon fahren und von dort mit dem Schiff nach Norditalien. Die Ausfahrt aus der Tejo-Mündung, die will ich mir noch gönnen.

Klaus Müller berichtet von seiner persönlichen Flucht-Geschichte am Montag, 20. März, um 19.30 Uhr in der Stadtbücherei, Poststraße 15. Der Eintritt ist frei. Friedrich Christian Delius liest am Mittwoch, 15. März, um 19.30 Uhr in der Print Media Academy. Weitere Veranstaltungsinfos zum Projekt „Ein Buch im Dreieck“ unter www.1buchimdreieck.de (eu)