Kultur
Opposition als Prinzip
Zum 70. Geburtstag: Ein Gespräch mit dem Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier
Er ist Dichter, Stadtführer, Oppositioneller aus Prinzip. Michael Buselmeier hat sich nicht nur in der Region einen Namen gemacht. Am 25. Oktober wird er siebzig: Zeit für Rück- und Ausblicke.
STADTBLATT: Herr Buselmeier, jetzt, wo es auf die 70 zugeht: Vertragen sich der Romantiker und der Revoluzzer in Ihnen?
Buselmeier: Ich war eigentlich immer in Opposition, schon als Kind und Jugendlicher. Dieses „gegen die Mehrheit zu sein“ war schon immer in mir, hat mit ‘68 wenig zu tun, ist erst ‘68 politisch geworden. Die einzige Form, in der man heute noch Opposition treiben könnte, wäre vermutlich die rechtsradikale Option, in der Linken ist doch sogar Frau Merkel schon angekommen. In meiner Jugend waren fast alle rechtskonservativ, da konnte man gar nicht mehr anders als links werden. Heute sind alle so linksliberal gestrickt, vor allem die Medien. Political correctness herrscht, man darf überhaupt nichts Abweichendes mehr sagen. Die Romantiker haben stets die Vergangenheit gegen die Moderne aktiviert. Wenn wir das heute versuchten, würden alle lachen. Der Fortschritt ist dermaßen rapide und brutal – ich würde mich schon gern auf eine romantische Position zurückbeziehen. Doch die Tradition hat heute überhaupt keine Chance, die romantische Geste wäre vergeblich.
STADTBLATT: Romantiker kann man also nicht mehr sein?
Buselmeier: Wenn man sich aus allem herauszieht, könnte man das schon sein. Der romantische Impuls wäre aktivierbar, aber politisch wäre das nicht möglich: Zurück in die Vergangenheit, um die Gegenwart national zu politisieren. Man darf ja kein Deutscher mehr sein. Provozierend könnte man sagen: wir müssen unsere nationalen Traditionen bewahren, sagen wir mal angesichts des Islamismus.
STADTBLATT: Sie waren ja ‘68 „mittendrin“; die heutige Studentenschaft geht nicht mehr auf die Straße. Warum ist dieser rebellische Geist erlahmt?
Buselmeier: Ich interessiere mich für die jungen Leute nicht besonders. Meine Kinder gingen auch nicht auf die Straße, warum sollten die auch. Denen geht es ja prächtig. Wir waren doch eine Generation, die vom Nachkrieg geschlagen war, sind frei von rebellischen Ideologien aufgewachsen. Auf einmal entdeckten wir, dass es Marx und Adorno gab. Wir glaubten, es sei die Weltrevolution ausgebrochen, über Lappalien wie die Studiengebühren hätten wir uns damals nicht erregt. Aber ohne dieses „Wir wollen alles“ geht gar nichts. Die Energie der 68er war erstaunlich total: wir waren so radikal, dass wir alles verbrannt hätten. Es ist uns zum Glück nicht gelungen. Die heutigen Leute können schön konsumieren, es hungert niemand wirklich in diesem Land, es gibt auch keinen geistigen Hunger mehr.
STADTBLATT: Sollte es den geistigen Hunger nicht ausgerechnet in dieser Zeit geben?
Buselmeier: Ich stelle nicht fest, dass die jungen Leute geistig aufgewühlt sind. Oder lesen die irgendwelche besonderen Bücher? Manchmal wünsche ich mir, dass meine Kinder poetische Menschen geworden wären, Literaten, doch sie sind sehr pragmatisch auf die Gegenwart bezogen. Alles das, was ich nicht bin, sind meine Kinder geworden. Und ich werde 70, da geht keine Gefahr mehr von mir aus.
STADTBLATT: Was sollen die Leute von Ihnen in Erinnerung halten?
Buselmeier: Den Dichter natürlich. Sie sollen denken: „Da geht unser poetischer Stadtführer.“ Oder aber: „Was für ein guter Opa er doch ist.“ Als ich Vater war, war ich der einzige Vater auf dem Spielplatz. Nur Mütter, die mich schrecklich fanden mit meinen langen Haaren, aber sie dachten auch: Mit denne Kinner, des macht der Herr Buselmeier gut. Jetzt bin ich dort der einzige Opa und jetzt denken sie: Mit denne Enkelkinner, des machter aa gut.
Zum Siebzigsten
Die Stadt Heidelberg ehrt Michael Buselmeier am Dienstag, 18. November, mit einem Empfang im Großen Rathaussaal. Zu seinem 70. Geburtstag veröffentlicht das Kulturamt den dritten Band der Reihe „Erlebte Geschichte - erzählt“ im Heidelberger Verlag Das Wunderhorn. (wei)