Thema der Woche

Ausgabe Nr. 52 · 24. Dezember 2003



Bahnstadt: "Sie wird stärker in unser Bewusstsein rücken": OB Beate Weber und Erster Bürgermeister Prof. Dr. Raban von der Malsburg (r.) bei der Besichtigung des Bahnstadt-Geländes. (Foto: Dießelberg)




Europäisches Jahr der Menschen mit Behinderungen:
"Es hat Menschen mit Behinderungen enorm geholfen, selbstbewusster ihre Interessen zu vertreten": OB Weber mit Gesprächspartnern beim Städtenetzwerktreffen "Bürgerschaftliches Engagement und Barrierefreiheit" am 22. Oktober. (Foto: Neudert)
"Keine radikalen Einschnitte"
STADTBLATT-Gespräch mit Oberbürgermeisterin Beate Weber zum Jahreswechsel


Schon traditionell ist das STADTBLATT-Gespräch mit Oberbürgermeisterin Beate Weber zum Jahreswechsel. Ein Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr und der Ausblick auf 2004 stehen im Mittelpunkt ihrer Ausführungen.

STADTBLATT: Der Haushalt 2004 wurde gerade mit großer Mehrheit verabschiedet. Kann die Stadt mit dem neuen Sparetat ihren Verpflichtungen nachkommen?

Beate Weber: Das Streichen von 22,5 Millionen Euro aus einem Haushalt kann nicht unbemerkt von allen vonstatten gehen. Verwaltung und Gemeinderat haben es dennoch geschafft, die soziale Stabilität zu erhalten, Investitionen für wichtige Projekte zu sichern und die kontinuierliche finanzielle Unterstützung von Organisationen, Vereinen und Initiativen in den Bereichen Jugend, Senioren, Umwelt, Kultur nicht anzutasten. Es gibt zwar Anpassungen an die veränderte Finanzsituation, aber keine radikalen, existenzbedrohenden Einschnitte.

Was mich besonders freut: Trotz der baldigen Kommunalwahlen im Juni 2004 hat sich der Gemeinderat auf einen gemeinsamen Leitantrag zum Haushalt geeinigt, um die Investitionskraft und finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt zu sichern. Er hat damit eindrucksvoll belegt, dass es in der Ausrichtung der Politik grundsätzliche Gemeinsamkeiten gibt. Das hilft einer Stadt ganz besonders in schwierigen Zeiten.

STADTBLATT: Reicht die jetzige finanzielle Ausstattung der Kommunen für die Zukunft aus?

Weber: Der Deutsche Städtetag veröffentlichte vor kurzem die Mitteilung, dass bundesweit das kommunale Defizit in den ersten neun Monaten 2003 eine Höhe von 8,7 Milliarden Euro erreicht hat. Diese Zahl sagt eigentlich alles. Die Beschlüsse im Vermittlungsausschuss des Bundestags zur Senkung der Gewerbesteuerumlage haben uns nur geringfügig Luft verschafft, zumal, nachdem wir wissen, dass das hälftige Vorziehen der Steuerreform die Entlastung bei der Gewerbesteuer weitgehend aufzehrt. Auch langfristig werden die aktuellen Beschlüsse unser Problem nicht lösen, das darin besteht, dass die Kommunen immer mehr Leistungen übernehmen müssen, aber nicht mit den notwenigen Mitteln ausgestattet werden. Städte und Gemeinden haben nur dann eine Chance, eine stabile Gesellschaft und gute Rahmenbedingungen für Private, Unternehmen und Wissenschaft zu sichern, wenn die Einnahmen verstetigt und die Schulden abgebaut werden können. Wir brauchen also weiterhin eine Gemeindefinanzreform, um auf Dauer unsere Aufgaben erfüllen zu können.

STADTBLATT: Müssen die Städte nicht auch selbst etwas für die strukturelle Verbesserung ihrer Finanzsituation beitragen?

Weber: Das tun wir ja schon seit Jahren. Gemeinderat und Verwaltung haben sich in der Vergangenheit immer wieder Einsparziele vorgegeben. So haben wir beispielsweise in den vergangenen zehn Jahren 415 Stellen eingespart, das entspricht etwa 20 Millionen Euro Personalkosten im Jahr. Im Juli haben wir weit gehende strukturelle Verbesserungen vorgelegt, um Kosten zu verringern. Und auch die Auslagerung städtischer Aufgaben vorgeschlagen, wenn die Vorteile überwiegen. Das wird jetzt umgesetzt: Anfang des Jahres 2004 übergeben wir die städtischen Bäder an die Stadtwerke Heidelberg, weil unsere internen Überprüfungen ergeben haben, dass dort die technischen und organisatorischen Voraussetzungen besser vorhanden sind, um die Frei- und Hallenbäder effizient und damit möglichst kostengünstig zu führen. Das sichert ihre Existenz auch in Zeiten knapper Kassen. Eine Krisensituation wie jetzt kann also durchaus positive Seiten haben und kreative Kräfte frei setzen, die zukunftsfähige Entwicklungen anstoßen.

STADTBLATT: 2003 war das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Hat es etwas gebracht?

Weber: Davon bin ich überzeugt. Bei den Veranstaltungen in Heidelberg hatte ich den Eindruck, dass den Menschen mit Behinderungen schon allein die Aufwertung durch dieses Europäische Jahr enorm geholfen hat, selbstbewusster ihre Interessen zu vertreten. Es ist ja heute noch nicht überall selbstverständlich, dass Behinderte als gleichberechtigte Menschen anerkannt sind. Da muss noch ein Umdenken stattfinden.

Dass wir alle noch lernen müssen, unverkrampfter miteinander umzugehen, hat die Veranstaltung rund um den EU-Kampagnenbus auf dem Kornmarkt und das Städtenetzwerktreffen am 22. Oktober deutlich gemacht. Wir konnten dort viele Aktivitäten von Behinderten kennen lernen, die sehr engagiert ihre Interessen in das Gemeinwesen einbringen. Leider haben nicht so viele Menschen, wie ich mir das gewünscht hätte, sich über die Aktivitäten auf dem Kornmarkt informiert. Das zeigt, dass wir auch in Zukunft daran arbeiten müssen, die Barrieren in den Köpfen der Menschen zu beseitigen.

STADTBLATT: Am 13. Juni 2004 sind Gemeinderatswahlen. Welche Erwartungen verknüpfen Sie damit?

Weber: Wir haben schon jetzt eine Stimmenverteilung im Gemeinderat, die bei Entscheidungen von jeder Fraktion und jedem Mitglied Kompromissbereitschaft einfordert. Insofern bin ich sehr gelassen, was den Ausgang der Wahl angeht. Auch nach dem 13. Juni gilt, dass die Gemeinderätinnen und -räte dem Wohl der Stadt verpflichtet sind und daher werden sie immer bereit sein, lösungsorientiert an die anstehenden Aufgaben heran zu gehen.

Sorge bereitet mir, dass die Beteiligung an der Wahl zu wünschen übrig lassen könnte. Bei der letzten Kommunalwahl 1999 gingen nur knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. 1994 waren es noch fast 67 Prozent. Viele scheinen nicht wahrzunehmen, dass der Gemeinderat das Gremium ist, das mit seinen Entscheidungen ganz unmittelbar ihr Lebensumfeld beeinflusst. Wir, die Stadtverwaltung, und der Gemeinderat müssen deutlich machen, dass nur derjenige die Zukunft der Stadt aktiv mitgestaltet, der wählen geht. Ich hoffe, dass es Stadtverwaltung und Gemeinderat im Vorfeld der Wahlen gelingt, ihr Engagement zum Wohle der Stadt deutlich zu machen, damit möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von der Notwendigkeit der Stimmabgabe überzeugt werden. Am gleichen Tag findet auch die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Deren Bedeutung muss nach den vielen wegweisenden Entscheidungen inzwischen von den Wählerinnen und Wählern auch erkannt werden.

STADTBLATT: Im Kulturbereich gibt es 2004 personelle Veränderungen. Welche Erwartungen haben Sie an den neuen Theater- und Orchesterchef bzw. neue Chefin?

Weber: Ich bin da ganz offen. Entscheidend ist für mich nicht, ob jemand mit großen Erfahrungen kommt oder eine Junge oder ein Junger mit frischem Enthusiasmus. Wichtig ist, dass die Neuen ein Konzept vorlegen können, das auf die Heidelberger Situation zugeschnitten ist und kreativ das Entwicklungspotenzial bei Theater und Orchester aufzeigt. Im übrigen entscheide ich nicht allein in dieser Frage. Mir liegt aber sehr viel daran, dass es einen breiten Konsens im Gemeinderat gibt, der dem neuen Theaterchef und dem neuen Generalmusikdirektor einen reibungslosen und möglichst fulminanten Start ermöglicht.

STADTBLATT: Wie geht es weiter mit den Planungen im Bahnhofsbereich?

Weber: Die Bahnstadt wird im Jahr 2004 stärker in unser Bewusstsein rücken, die ersten Teilbebauungspläne werden umgesetzt. Ich habe schon in meiner Haushaltsrede erklärt, dass wir die Bürgerinnen und Bürger jetzt in den Entscheidungsprozess einbinden werden, wie der neue Stadtteil aussehen soll. Ein solches Jahrhundertprojekt kann nicht ohne ihre Beteiligung angegangen werden.

Auch das Konferenzzentrum am Hauptbahnhof wird im nächsten Jahr konkreter. Ende 2004 ist der Baubeginn dort vorgesehen, wo das Postgebäude steht. Es ist für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Heidelberg unbedingt nötig! Die städtebauliche Oberleitung soll beim berühmten italienischen Architekten Professor Augusto Romano Burelli liegen. Mit Bahnstadt und Konferenzzentrum erhält Heidelbergs Mitte ein neues, moderneres und einer Großstadt angemessenes Aussehen. Schade, dass wir wegen der schlechten Finanzlage den Mittermaier-Tunnel zurückstellen mussten.

STADTBLATT: Wie sehen Sie die regionalen Entwicklungschancen?

Weber: Der S-Bahn-Start führt die Region ein weiteres Stück zusammen. Endlich haben wir, wie andere schon längst, ein öffentliches Verkehrssystem, das der Größe und Bedeutung der Region entspricht. Die Gründung des Vereins Umweltkompenzzentrum Heidelberg-Rhein-Neckar im April 2004 führt zu einer weiteren Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik im Umweltbereich. Wir müssen aber noch mehr Kooperationen auf allen Gebieten erreichen, eine neue Aufteilung von Aufgaben und Finanzierungen, allerdings ohne die Autonomie der Einzelnen zu untergraben. Nur wenn das Rhein-Neckar-Dreieck enger zusammen rückt und verstärkt mit einer Stimme spricht, wird es im Wettbewerb der Regionen deutschland-, europa- und weltweit wahrgenommen.

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Stand: 23. Dezember 2003