Kinder und Kultur

Ausgabe Nr. 49 · 3. Dezember 2003



Die "Hexenkopf-Landschaft" ist eines der meistpublizierten Bilder der Sammlung Prinzhorn
Überwältigende Bilder
Das Museum Sammlung Prinzhorn präsentiert das Gesamtwerk August Natterers


Die halluzinatorischen Zeichnungen von August Natterer gehören zu den berühmtesten Werken der Sammlung Prinzhorn. Sie inspirierten zahlreiche bildende Künstler. Das Museum zeigt jetzt erstmals eine umfassende Werkschau, bereichert um Leihgaben aus dem Familiennachlass, unter dem Titel "Weltachse mit Haase".

August Natterer (1864-1933) war ein hochambitionierter Elektrotechniker und ausbildender Meister mit eigenem "Electrotechnischen Installations-Geschäft & mechanischer Werkstätte". Vor allem die Universität in Würzburg belieferte er mit Apparaturen, selbst für Professor Röntgen soll er gearbeitet haben. 1902 spart die Universität ihre Aufträge durch einen angestellten "billigeren" Schlosser ein. Natterers Geschäft war bald "ruiniert". Versessen stürzt er sich in Erfindungen und bemüht sich erfolglos um eine Stelle als Vorarbeiter an einer Fachschule.

1907 führt die Krise zum psychotischen Zusammenbruch mit Einweisung in die Psychiatrie. Überwältigende halluzinatorische Bilder stürzen auf ihn herein: Schlösser, Schlachtenszenen und die "welterschaffende Hexe". Damit gehen quälende körperliche Sensationen einher. In einem lebensbedrohlich empfundenen Prozess verwandeln sich Körpergefühl und Identität. Fürchterliche Ängste treiben ihn um.

Ab Oktober 1907 ist Natterer in Heilanstalten untergebracht. Die Offenbarungen der halluzinierten Bilder werden zum Überlebensprogramm. Natterer agiert als Prophet, Erlöser und "Kaiser Août I". Er konstruiert einen "Familienroman", der in direkter Abstammung auf Napoleon zurückgeht.

Erst vier Jahre nach dem halluzinatorischen Erlebnis beginnt Natterer 1911 die überirdischen Bilder auf Papier festzuhalten, die er als "Geheime Staatsacten über das Weltgericht" hütet. Immer wieder zeichnet er die Frau als Verkörperung des Bösen: Die Hexe, die Großmutter des Teufels als Welterschafferin, in ihrem Gefolge das Krokodil und der deutsche Adler. Daneben entstehen pedantische Kanonenentwürfe des "Weltuniversitätsmechanikers" und Blumenstücke. In den Anstalten beschäftigt sich Natterer auch mit Reparaturarbeiten an Klavieren und Uhren. Er stirbt 1933 mit neunundsechzig Jahren überraschend an Herzversagen.

Die Ausstellung "Weltachse mit Haase" ist im Museum Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, bis zum 28. März dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 11 bis 20 Uhr zu sehen. Öffentliche Führungen werden jeden Mittwoch um 18 Uhr und jeden Sonntag um 14 Uhr angeboten. (doh)

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Streifzug durch die Geschichte
Heidelberger Geschichtsverein präsentiert Jahrbuch 2003/2004


Zu seinem 10-jährigen Bestehen hat der Heidelberger Geschichtsverein dem "Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 2003/2004" ein neues Erscheinungsbild gegeben. Der leuchtend grüne Einband mit zahlreichen Fotografien lädt ein zu einem Streifzug durch die Stadtgeschichte.

Da archäologische Untersuchungen in Heidelberg immer wieder neue Funde und Erkenntnisse zu Tage fördern, wurde der Stadtarchäologie in allen bisher erschienenen Bänden ein besonderer Platz eingeräumt. So beginnt auch das Jahrbuch Nummer acht mit einem Beitrag über aktuelle Ergebnisse der archäologischen Spurensuche auf der Molkenkur. Diesem Schwerpunkt sind auch Berichte über das 1953 aufgefundene Mithrasheiligtum in Neuenheim, die mögliche Lage des legendären "Mons Piri" (eines römischen Heerlagers) beim Bierhelder Hof und über die Frühgeschichte Schlierbachs gewidmet.

Auch andere Epochen kommen nicht zu kurz. Die Arbeit über die Geschichte der katholischen Kirchenmusik in Heidelberg beginnt mit der Darstellung der Musikpflege bei den Jesuiten. Der Beitrag über die jüdische Gemeinde in Rohrbach erschließt systematisch die Quellen seit dem 17. Jahrhundert und der Bericht über Georg Philipp Pfisterer gewährt Einblick in die Ortsgeschichte Kirchheims.

Vom 20. Jahrhundert handeln die Familiengeschichte der jüdischen Unternehmerfamilie Hochherr, die Darstellung der Bau- und Nutzungsgeschichte der Villa Krehl in der Bergstraße, eine Fotodokumentation über den Bau des Königsstuhltunnels und ein Aufsatz über das Antiquariat Carlebach. Rezensionen von aktuellen Publikationen zur Stadtgeschichte runden das Jahrbuch ab.

Das 288 Seiten umfassende "Jahrbuch zur Geschichte der Stadt" im handlichen Taschenbuchformat ist im Kurpfälzischen Verlag Dr. Hermann Lehmann erschienen und im Buchhandel für 18 Euro erhältlich. (doh)

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  Ossip Mandelstam - Ein Porträt
Joseph Brodsky, Literatur-Nobelpreisträger von 1987, bezeichnete Mandelstam als "Russlands größten Dichter des 20. Jahrhunderts" und als "modernen Orpheus". Der 1938 wegen eines Anti-Stalin-Gedichtes in einem Zwangslager bei Wladiwostok umgekommene Dichter gilt als Opfer totalitärer Macht und als Märtyrer der Poesie. Der stolze, scharfzüngige, sinnliche, lebensfrohe und witzige Mandelstam wird aus diesem Mythos meist ausgeblendet. Ralf Dutli zeichnet in seiner neuen, international ersten Mandelstam-Biographie "Miene Zeit, Mein Tier" ein Gesamtbild des russisch-jüdischen Dichters. Am Mittwoch, 10. Dezember, um 20 Uhr stellt er im Deutsch-Amerikanischen Institut, Sofienstraße 12, die Biographie vor und liest Gedichte und Prosa von Ossip Mandelstam. Der Herausgeber und Übersetzer der Werke Mandelstams ist Essayist ("Europas zarte Hände") und Lyriker ("Notizbuch der Grabsprüche") und lebt seit 1994 in Heidelberg. Kartenreservierungen unter Telefon 6073-0.

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  Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



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Stand: 2. Dezember 2003