Kultur

Ausgabe Nr. 47 · 22. November 2000



Wolfgang Maria Bauer (Foto: Rothe)

"Können Herzen kotzen?"

Oberspielleiter Wolfgang Maria Bauer über "Die Räuber", die Jugend und das Theater


Mit Intendant Günther Beelitz kam Wolfgang Maria Bauer als Oberspielleiter des Schauspiels an das Theater der Stadt. Der Schauspieler, Regisseur und Autor wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er wirkte an Film- und Fernsehproduktionen mit und spielte zuletzt am Burgtheater in Wien. In Heidelberg startete er mit einer Inszenierung von Friedrich Schillers "Die Räuber". STADTBLATT-Redakteurin Beate Reck-Dohmen sprach mit dem Schauspiel-Chef:

STADTBLATT: Ihre Inszenierung von "Die Räuber" überrascht mit einem gewaltigen Bühnenbild. Wie ist die Idee entstanden?

Bauer: Bühnenbilder entstehen im Dialog mit den Bühnenbildnern. Natürlich versuchen wir zunächst das Stück zu "verstehen", was bei Schiller nicht ganz leicht ist und fragen uns: Was wollen wir? Was interessiert uns daran? Was können wir heute damit erzählen? Und im Laufe dieses Prozederes ergibt sich eine Art Übereinkunft von Meinungen. - Kein Kompromiss, sondern die Schnittmenge.

STADTBLATT: Was hat Sie an diesem Stück interessiert?

Bauer: Unter anderem waren es die zwei Facetten eines Mohr'schen Sohnes (plakativ gesprochen: der Schöne und der Böse). Und es war eine ganz einfache Frage: Gibt es "Räuber" heute? Die Antwort könnte lauten: nein, denn die Jugend, so wie ich sie beobachte, ist völlig unpolitisch. Sie manifestiert sich, wenn überhaupt, in einer einzigen Bewegung - seltsam genug - in der Love-Parade. Das war der klare Ausgangspunkt: Sie definieren sich über Klamotten, über Musik, über Drogen. Das zu erzählen, fand ich spannend. Auch das Un-Heldische, dass die gar nicht in die Wälder wollen. Hier war es gar nicht einfach, diese Models, die ich am Anfang zeige, in die Wälder zu schicken, in Mördermaschinen zu verwandeln, in Teile, die nichts mehr mit Individualismus zu tun haben. Das mit wenigen Bildern zu erzählen war ein Reiz. Mich hat fasziniert, wie aus Models Werkzeuge beispielsweise eines Göbbels werden könnten...

STADTBLATT: Sie kommen ohne Umbau aus.

Bauer: Ich benutze gerne Simultanszenen und eine Art filmische Schnitt-Technik. Ich brauche nicht die drei Orte Leipzig, Schloss und Wälder. Umbauten zerhämmern einem leicht die Stücke.

STADTBLATT: Was, glauben Sie, kann Theater den Menschen heute geben?

Bauer: Vielleicht "Eine Stunde Glück", so heißt das Stück, das ich gerade vorbereite. Nein, ich denke, das einzige, was wir sein können, ist eine Projektionsfläche mit vielen Fragen, spannenden Fragen. Aber wir können keine Antworten geben. Das ist, glaube ich, nicht unsere Aufgabe.

STADTBLATT: Worum geht es in "Eine Stunde Glück"?

Bauer: Das ist ein Stück von Sybille Berg aus Zürich, eine Auftragsarbeit. Erzählt wird die Geschichte von, tja, da fängt die Schwierigkeit schon an: Eine TV-Show mit versauten Leben? Eine Farce über Bösartigkeiten? Ein endlos romantischer Gigantenkampf? Oder: Können Herzen kotzen? Das wird eine Uraufführung.

STADTBLATT: Nach welchen Kriterien wählen Sie Stücke aus?

Bauer: Hauptsache, ich bin nicht restlos begeistert. Wenn ich auf Anhieb von einem Stück völlig begeistert bin, dann wird es schlimm. Denn setze ich mich in diese Autorenbadewanne und bin nicht mehr kritisch genug. In dieser Hinsicht passt "Eine Stunde Glück" bestens. Ich habe große Vorbehalte.

STADTBLATT: Wollen Sie provozieren?

Bauer: Nein. Bloß nicht. Bitte nicht. Provozieren geht nicht mehr und ist stinklangweilig. Ich will Arbeit herzeigen. Ich will nicht laut sein. Obwohl, provokant bist du heute ja fast schon, wenn du still und poetisch bist.

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Poetisches Heidelberg

Auf den Spuren der Dichter und Denker durch die Stadt


Wo Clemens Brentano und Achim von Arnim an der Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" arbeiteten, wo Anna Seghers während ihrer Studienzeit in Heidelberg wohnte oder Goethe für Marianne von Willemer ein Ginkgoblatt brach, ist einem soeben erschienen historischen Stadtplan zu entnehmen. Unter dem Titel "Poetisches Heidelberg" stellt der Jena Verlag eine Topographie des Geistes vor, die in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt entstand.

Mit dem historischen Stadtplan von 1927 können sich Einheimische und Besucher auf Spurensuche begeben und ehemalige Wohn- und Wirkungsstätten von bedeutenden Persönlichkeiten entdecken. Kurzporträts, Zitate und Angaben zu hier entstandenen Werken machen den "Dichter und Denker Stadtplan" zu einem spannenden Wegweiser.

Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart versammelt der Stadtplan Dichter und Gelehrte und ruft ihre Heidelberger Zeit in Erinnerung. Darunter beispielsweise Hannah Arendt, die von 1926 bis 1928 ihre letzten Studienjahre in Heidelberg verbrachte. Oder Karl Jaspers, der zunächst von 1901 bis 1902 in Heidelberg studierte, von 1906 bis 1948 hier lehrte und dessen Lebenswerk größtenteils in Heidelberg entstand.

Auch der Soziologe Karl Mannheim, der von 1921 bis 1930 in Heidelberg studierte und lehrte, bevor er 1930 nach England emigrierte, findet ebenso Erwähnung wie sein Assistent Norbert Elias, der später zu einem der bedeutendsten Soziologen der Neuzeit werden sollte. Von A wie Arendt bis Z wie Zuckmayer werden die Verbindungen von 62 Dichtern und Denkern mit der Stadt Heidelberg aufgezeigt. Briefwechsel, Freundschaften, wichtige Begegnungen, wissenschaftliche und literarische Zirkel werden genannt und so Bezüge hergestellt, die so manches "Aha-Erlebnis" ermöglichen.

"Poetisches Heidelberg" ist zum Preis von 19,80 Mark und als Poster, im Format 70 x 100, für 25 Mark, im Buchhandel erhältlich. (doh)

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Stand: 21. November 2000