Thema der Woche

Ausgabe Nr. 43 · 27. Oktober 1999

Kunst und Kultur im Aufbruch von 1815-1853
Biedermeier in Heidelberg

Die große Biedermeier-Ausstellung im Heidelberger Schloss, Ottheinrichsbau, ist eröffnet


Welch kulturelle und künstlerische Blüte Heidelberg in der spannungsvollen Zeit von 1815 bis 1853 erlebte, will die Biedermeier-Ausstellung auf dem Heidelberger Schloss einer breiten Öffentlichkeit vermitteln. Im Auftrag des Kulturamtes der Stadt Heidelberg präsentieren die Ausstellungsmacher Dr. Susanne Himmelheber und Dr. Carl-Ludwig Fuchs ein breit angelegtes Porträt Heidelbergs zur Zeit des Biedermeier. Die erste Ausstellung in Heidelberg, die sich umfassend mit dieser Zeit beschäftigt, ist noch bis zum 8. Dezember zu sehen.

Das Biedermeier war eine der bedeutendsten Epochen in der Geschichte Heidelbergs. Die 1803 vom badischen Großherzog reformierte Universität hatte sich etabliert und zog zahlreiche Studenten an. Berühmte Professoren waren mit ihren Familien nach Heidelberg gekommen und eine neue bürgerliche Gesellschaft begann das kulturelle Leben der Stadt zu prägen. Erziehungsinstitute auch für Mädchen wurden gegründet, ein eigenes Stadttheater errichtet, am Marstall baute der berühmte Architekt Weinbrenner ein Hospital und im Zentrum der Stadt entstand das Gebäude der Museumsgesellschaft als kultureller Mittelpunkt.

Etliche Künstler zogen damals nach Heidelberg, etwa der Universitätszeichenmeister Jacob Roux, die Restauratoren der Sammlung Boiserée, Joseph Wintergeist, Christian Xeller und Christian Philipp Koester oder freie Künstler wie Georg Wilhelm Issel und Georg Philipp Schmitt.

In der Ausstellung sind berühmte Landschaftsgemälde, Schloss- und Heidelbergansichten von Malern wie Georg August Wallis, Ernst Fries und Jakob Roux ebenso zu sehen wie bedeutende Kinderporträts der Heidelberger Malerfamilie Schmitt. Sitzgruppen mit original Biedermeiermöbeln und Gebrauchsgegenständen veranschaulichen bürgerliche Wohnkultur. Für zahlreiche Kunstwerke war aus konservatorischen Gründen die Einrichtung eines verdunkelten Raumes notwendig. Im Graphischen Kabinett sind Aquarelle, Feder- und Bleistiftzeichnungen zu sehen, die nur sehr selten im Original gezeigt werden: Skizzenbücher von Fries, Verhas, Daniel Fohr, Aquarelle von Lucas, Pastelle von Sophie Reinhard, um nur einige zu nennen.

Dass die Epoche des Biedermeier so gar nicht "bieder" war, will die Ausstellung zeigen. "Die Revolution von 1848 ist eigentlich nur zu verstehen, wenn man die Zeit des Biedermeier kennt", erklärt Kulturamtsleiter Hans-Martin Mumm. Entzündet von den Ideen der französischen Revolution, habe sich in Heidelberg ebenso wie im gesamten Südwesten Deutschlands ein neues bürgerliches Selbstverständnis entwickelt. Die Gedanken der Aufklärung konnten auch durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 (Vorzensur von Druckerzeugnissen, Verbot der Burschenschaften und Demagogenverfolgung) nicht mehr eingedämmt werden. Liberales Gedankengut schlug sich in Malerei, Literatur, Kleidung ebenso wie in der Entwicklung einer bürgerlicher Wohnkultur nieder.

Die Maler wurden realistischer und beinahe sachlich in ihrer Darstellungsweise. Sie verließen erstmals ihre Ateliers oder Malstuben und arbeiteten unter freiem Himmel. In Malerei und Dichtung kamen neue Themen auf. Zahlreiche Kinderporträts entstanden, nicht mehr ausschließlich von adeligen, sondern auch von bürgerlichen Kindern und zeugen vom aufkeimenden bürgerlichen Selbstbewusstsein. Für das Ausstellungsplakat wurde eine Zeichnung von Georg Philipp Schmitt gewählt, ein Porträt seines Sohnes Guido. Die Kinderporträts der Malerfamilie Schmitt gehören zu den schönsten des Biedermeiers.

In Zusammenarbeit mit Studierenden des Kunsthistorischen Seminars der Universität Heidelberg konnten zahllose, bislang unbekannte Kunstwerke aus dem deutschsprachigen Raum zusammengetragen werden. Kunstwerke, die in Heidelberg entstanden sind und sich thematisch mit der Stadt beschäftigen. Der große Reiz dieses Unternehmens besteht in der Fülle von Leihgaben aus bedeutenden Museen wie der Nationalgalerie Berlin, der Neuen Pinakothek München und der Zentralbibliothek Zürich. Etliche unbekannte Werke von privaten Leihgebern konnten aufgespürt werden. Mit dieser Ausstellung ist es gelungen, das Spektrum künstlerischer und kultureller Arbeit in Heidelberg zur Zeit des Biedermeier an seinem Entstehungsort zu versammeln.

Die Ausstellung bildet den Abschluss vieler Heidelberger Veranstaltungen zur Erinnerung an die Revolution von 1848/49. Sie zeigt einen Querschnitt durch die Kultur des Vormärz, der widersprüchlichen und spannenden Zeit des Biedermeier.

Ein Almanach zur Ausstellung wird für 24 Mark angeboten. (doh)
 
 

Biedermeier

  Dass die Bezeichnung "Biedermeier" in Heidelberg entstand, ist kaum bekannt. Einer der Schöpfer des Begriffs war der Heidelberger Medizinprofessor Adolf Kussmaul. Gemeinsam mit seinem Freund Ludwig Eichrodt veröffentlichte er unter dem Spitznamen "Biedermeier" Gedichte eines badischen Schulmeisters. Die etwas hölzerne Reimform und unfreiwillige Komik dieser Gedichte prägte den Begriff zunächst als abfällige Bezeichnung für den Inbegriff des gutmütigen Spießbürgers, der schließlich zum kunstgeschichtlichen Stilbegriff einer ganzen Epoche avancierte.

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Stand: 26. Oktober 1999