Thema der Woche

Ausgabe Nr. 38 · 19. September 2001



50 jüdische ehemalige Bürgerinnen und Bürger Heidelbergs trugen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. (Foto: Pfeifer)

Geste der Versöhnung

Jüdische ehemalige Bürgerinnen und Bürger waren eine Woche Gäste der Stadt Heidelberg


Das Goldene Buch der Stadt Heidelberg hat eine neue wichtige Eintragung: 50 Unterschriften ehemaliger Heidelberger Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Begleiterinnen und Begleitern in der vergangenen Woche - vom 10. bis 16. September - Gäste der Stadt Heidelberg waren. Oberbürgermeisterin Beate Weber hatte sie erneut eingeladen, nach dem das erste Treffen der jüdischen Ehemaligen in Heidelberg aus Anlass der 800-Jahr-Feier im Jahre 1996 eine starke positive Resonanz hatte.

Insgesamt waren 56 der Eingeladenen nach Heidelberg gekommen. Neben den 50 ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern auch sechs Partnerinnen oder Partner verhinderter oder verstorbener Ehemaliger. 21 Gäste reisten aus Israel an, 27 aus den USA, zwei aus Brasilien, jeweils drei aus Frankreich und Deutschland. Sie brachten Partner, Kinder und andere Begleitpersonen mit, so dass sich insgesamt 115 Personen an dem Besuchsprogramm beteiligen.

Das hatte unter anderem eine Stadtrundfahrt und einen Theaterbesuch zum Inhalt, die Enthüllung einer Gedenktafel an den Lehrer Hermann Durlacher, eine Fahrt auf dem Neckar, und einen Besuch des jüdischen Friedhofs, einen Ausflug in die Pfalz sowie eine gemeinsame Sabbatfeier mit der Jüdischen Gemeinde Heidelberg.

Es sollte erneut ein fröhliches Wiedersehen der jüdischen Gäste untereinander und mit der ehemaligen Heimatstadt werden. Dann aber überschatteten die schrecklichen Terroranschläge in New York und Washington das Treffen und verbreiteten Bestürzung und Trauer. Am stärksten verständlicherweise bei den Besuchern aus den USA, kaum weniger bei jenen aus Israel, den übrigen Gästen und den Gastgebern.

Oberbürgermeisterin Beate Weber begrüßte die jüdischen Gäste bei einem Empfang im Spiegelsaal und gedachte dabei auch jener, die am diesjährigen Treffen nicht teilnehmen konnten. Unter anderem Benno Lustmann, der (Jahrgang 1906) bislang immer einer Ältesten bei den Treffen jüdischer ehemaliger Heidelberger/innen war, diesmal aber gemeinsam mit seiner Frau - wie auch verschiedene andere bereits Angemeldete - seine Zusage aus gesundheitlichen Gründen zurücknehmen musste. Älteste Teilnehmerin war somit Liesel Lewin, geb. Kassewitz (Jahrgang 1909), jüngste Dwora Rosenblatt, geb. Bornstein (Jahrgang 1937).

Der Besuch in Heidelberg setze die Bereitschaft voraus, sich erinnern zu wollen an das, was vor mehr als einem halben Jahrhundert geschehen ist, sagte Beate Weber: "Dieser Bereitschaft und dieser Geste der Versöhnung gilt mein aufrichtiger Dank."

Die öffentliche Meinung in Deutschland sei keineswegs immer freundlich gegenüber jüdischen Gästen und Mitbewohnern eingestellt, wies die Oberbürgermeisterin auf eine Aussage von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, hin: Antisemitismus und Rassismus werden heruntergespielt oder gar salonfähig gemacht.

"In Heidelberg sind wir in der glücklichen Lage, kein Hort rechtsextremer Strömungen zu sein," betonte die Oberbürgermeisterin. Das gehe sicherlich auf die Internationalität der Stadt zurück. Aber auch Heidelberger Jugendliche überzeugten mit beeindruckenden Aktionen.

Hinzu kommen eine Reihe von der Stadt oder mit ihrer Unterstützung durchgeführte Aktionen. Zum Beispiel:

  • Gedenktag am 27. Januar, Tag der Befreiung von Auschwitz, der den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet ist.
  • Gedenkstunde am 22. Oktober zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden nach Gurs.
  • Gedenkstunde am 9. November zur Erinnerung an die Pogromnacht 1938
  • Umgestaltung des Synagogenplatzes in der Altstadt, der am 9. November übergeben wird.
  • Auf dem Bergfriedhof wird das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus neu gestaltet.
  • Die Stadt-Heidelberg-Stiftung fördert eine Ausstellung "Juden an der Universität Heidelberg", die im Frühjahr 2002 in Jerusalem eröffnet und dann auch in Heidelberg gezeigt werden soll.

In diesem Zusammenhang dankte die Oberbürgermeisterin auch dem "Förderkreis Begegnung" mit Konrad Müller, Dr. Norbert Giovannini und Dr. Frank Moraw für deren großes Engagement. Sie verglich die jüdischen Gäste mit "Brückenbauern zwischen den Zeiten, zwischen den Generationen, zwischen Nationen, zwischen Leid und Freud".


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Oberbürgermeisterin Beate Weber enthüllte die Erinnerungstafel (Foto: Pfeifer)





Unter den Zuschauern waren einige, die den engagierten Lehrer noch kannten. (Foto: Pfeifer)

Engagierter Lehrer jüdischer Kinder

Gedenkstunde und Erinnerungstafel an der Landhausschule für Hermann Durlacher


An der Landhausschule in der Weststadt erinnert seit vergangener Woche eine Gedenktafel an den Lehrer Hermann Durlacher, der von 1935 bis 1938 an dieser Schule die jüdischen Kinder aus Heidelberg unterrichtete. Oberbürgermeisterin Beate Weber enthüllte die Gedenktafel am 13. September im Anschluss an eine Gedenkfeier gemeinsam mit den in Heidelberg weilenden jüdischen ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern.

Einige von ihnen - wie Dr. Henri Brunswic, der sich noch gut an seinen früheren Lehrer erinnert - waren selbst einmal Schülerinnen oder Schüler Hermann Durlachers. Nach dem in der voll besetzten Turnhalle der Landhausschule ein Chor der Grundschule die Teilnehmer/innen der Gedenkfeier begrüßt hatte, und Rektor Udo Gärtner die jüdischen Gäste fragte, wer denn als Schülerin oder Schüler einst an dieser Stelle gestanden habe, erhoben sich fast ein Dutzend Hände.

Zur heutigen Situation an der Landhausschule berichtete Gärtner, dass etwa 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler ausländische Eltern haben, die völlig unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften angehörten. Im friedlichen Miteinander zu leben, sei ein besonderes Anliegen der Schule.

Sehr eingehend zeichnete anschließend der Lehrer und Historiker Dr. Norbert Giovannini ein Porträt Hermann Durlachers - unterbrochen durch ein mehrminütiges stilles Gedenken an die Opfer der Terroranschläge in den USA.

Hermann Durlacher stammte als Kind jüdischer Eltern aus Münzesheim bei Bretten. Er besuchte das Lehrerseminar in Heidelberg und war seit 1912 Lehrer des Landes Baden. Mehr als vier Jahre Soldat im ersten Weltkrieg machten ihn später zum Vorsitzenden des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Heidelberg. Ab 1920 unterrichtete Durlacher an der Volksschule in der Plöck, der späteren Friedrich-Ebert-Schule. 1923 heiratete er Marta, geb. Fischer. Der Ehe entstammten zwei Söhne.

Seit 1870 wurden in Heidelberg auf Grund eines Bürgerentscheids die Grundschulkinder aller Konfessionen in gemeinsamen Volksschulen unterrichtet. 65 Jahr später hoben die Nationalsozialisten - hier in der Person des damaligen Stadtoberschulrats und NSDAP-Kreisleiters Seiler - die Gemeinsamkeit wieder auf. 1935 wurden alle jüdischen Kinder der Stadt in zwei Gruppen (Klassen eins bis drei und vier bis acht) in der Pestalozzi-Grundschule zusammengefasst, die damals in dem Gebäude der heutigen Landhausschule untergebracht war.

Mit dem Unterricht der jüdischen Kinder wurde Hermann Durlacher beauftragt. Ihn unterstützten jüdische Lehrkräfte höherer Schulen und brachten den Kindern auch Englisch und Hebräisch bei.

Die jüdische Klasse bestand bis zum Pogrom am 9./10. November 1938. In jener Nacht zerstörte die SA nicht nur die Einrichtungen der jüdischen Gemeinde und das Eigentum jüdischer Bürger, sondern demolierten auch das jüdische Klassenzimmer. Dem damaligen Rektor der Pestalozzischule reichte das als Vorwand, von nun an den jüdischen Kindern den Zugang zur Schule zu verwehren.

Hermann Durlacher wurde ins Konzentrationslager Dachau gebracht und dort bis Januar 1939 eingesperrt. Nach seiner Rückkehr setzte er den Unterricht in Räumen der jüdischen Gemeinde fort, bis er - zusammen mit einer Frau - am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Südfrankreich deportiert wurde. Von dort wurde er 1942 nach Auschwitz verschleppt und ermordet.

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Stand: 18. September 2001