Thema der Woche

Ausgabe Nr. 36 · 4. September 2002

Local Action moves the World

In Johannesburg tagte parallel zum UN-Umweltgipfel der Internationaler Rat für lokale Umweltinitiativen (ICLEI)


Lokales Handeln verändert die Welt - unter diesem Motto trafen sich in der vergangenen Woche (27. bis 30. August) über 600 Bürgermeister/innen und Mitglieder von kommunalen Vertretungen aus allen Teilen der Erde im Rahmen des UN-Weltgipfels über nachhaltige Entwicklung in Johannesburg/Südafrika.

Es ging bei dieser "Local Government Session" nicht nur darum, dass die Städte Bilanz zogen ("Was haben wir gemacht seit Rio 92?"). Die Kommunen sollten auch bestärkt werden, da sie ganz entscheidend sind für das Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung auf dieser Welt.

Oberbürgermeisterin Beate Weber war in zweifacher "Mission" in Johannesburg: zum einen war sie Mitglied der offiziellen deutschen Delegation, die beratend am UN-Weltgipfel teilnahm; zum anderen war sie Mitglied des Executiv Committee von ICLEI (Internationaler Rat für lokale Umweltinitiativen).

ICLEI hatte nämlich (parallel zum UN-Weltgipfel) über 600 Bürgermeister/innen und kommunale Vertreter/innen aus allen Mitgliedsstädten weltweit eingeladen, um deutlich zu machen, dass die Städte seit dem Erdgipfel von Rio (1992) wichtige Partnerinnen der globalen Akteure geworden sind und dass sie mit ihren Lokalen Agenden sehr viel für eine nachhaltige Entwicklung bewirkt haben.

Es ist schon ein großartiger Erfolg: Über 6.400 Städte und Gemeinden haben sich in den vergangenen 10 Jahren eine "Lokale Agenda" gegeben. Es sind also in erster Linie die Kommunen gewesen, die gehandelt haben, während die nationalen Regierungen sich eher zögerlich verhielten.

Eine neue Dynamik
ICLEI wollte deshalb einen neuen Erfahrungsaustausch ermöglichen und neue Partner gewinnen vor allem in den Ländern, wo die Kommunen bisher noch nicht stark genug waren. Denn gerade der Austausch von erfolgreichen Erfahrungen durch Vorträge, Diskussionen und Ausstellungen von "Best Practices" gibt der nachhaltigen Entwicklung eine neue Dynamik. Wenn man sieht, dass in Japan, in Ägypten, in Brasilien, in Kenia, in den USA oder in Australien auf kommunaler Ebene Nachahmenswertes und Kreatives geschieht, erhält das eigene Tun (auch in Heidelberg) die globale Bedeutung, die es verdient.

So berichteten OB Tatsuo Yoda aus Kobe/Japan und OB Suneil Kumar Adhikari aus Kathmandu/Nepal über die Erfahrungen ihrer Städte mit den Auswirkungen der letzten Erdbeben und über die künftigen Maßnahmen. Und die serbische Ministerin Andjelika Mihajlov legte dar, wie ihr Land mit den Folgen der Bombenangriffe fertig zu werden versucht.

Keine Zeit zum Ausruhen
Natürlich ist die Bilanz der letzten Jahre (Rio+10) nicht Anlass zum Ausruhen. Die Ziele von Rio haben nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Doch es sind neue Herausforderungen hinzu getreten, aus bekannten Risiken sind akute Gefahren erwachsen. Der globale Klimawandel ist spürbare Realität (die Wetterkatastrophen in Europa und China, die Jahrhundertflut in Ostdeutschland), die weltweite Armut hat sich ausgebreitet (fast die Hälfte der Menschheit lebt von weniger als zwei Euro/Tag) und über 1,5 Mrd. Menschen haben kein sauberes Wasser. Auch auf der kommunalen Ebene müssen überall auf der Erde folgende Themen verstärkt bearbeitet werden: Klimaschutz, Wasserqualität, Abfallmanagement, Landnutzung, Artenvielfalt, Gender Mainstreaming und Nachhaltiges Wirtschaften.

Und wenn über die Hälfte der Menschheit inzwischen in Städten lebt (Tendenz steigend), dann sind gerade die Städte gefordert, eine nachhaltige Entwicklung aktiv zu betreiben. Ein internationales Institut in London hat errechnet, dass London eine rund 100fach größere Fläche zur Verfügung stehen müss-te, um ihre Nachhaltigkeit zu gewährleisten! Das bedeutet, dass auch Heidelberg eine erhebliche Fläche im Umland benötigt, um die tagtägliche wirtschaftliche und soziale Aktivität ihrer Bewohner aufrecht zu erhalten und deren Abfälle zu entsorgen.

Heidelberg vorbildlich
Da Heidelberg in seinen Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung in den vergangenen Jahren als besonders vorbildlich angesehen wird, war OB Beate Weber gebeten, insbesondere zu zwei Themen während der "Local Government Session" zu referieren. Es ging dabei einmal um das Thema "ÖkoBudget", d.h. um eine neue Form des Umweltmanagements. In Analogie zum üblichen Finanzhaushaltsplan soll mit einem sog. "Naturhaushaltsplan" der Umweltverbrauch transparent gemacht und auf der Grundlage von Umweltqualitätszielen gesteuert werden. Es ging zum anderen um das Thema "Lokale Agenda Heidelberg", also darum, wie erfolgreich bei uns die nachhaltige Entwicklung durch die Ziele des Stadtentwicklungsplanes Heidelberg 2010 und die Arbeit des Agenda-Büros vorangebracht wurde.

Nachdrückliche Appelle
Die Erwartungen der Oberbürgermeisterin an den Umweltgipfel in Johannesburg wurden nicht enttäuscht: Die "Local Government Session" schloss mit nachdrücklichen Appellen an den Weltgipfel. Aus der Verabschiedung der Lokalen Agenda 21 durch den Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen gemeinsam mit drei Organen der Vereinten Nationen und einer von afrikanischen Bürgermeistern formulierten Erklärung ist der untenstehende "Aufruf von Johannesburg" (Johannesburg Call) entstanden. Er wurde am vergangenen Freitag von allen Kommunalvertreter/innen verabschiedet und den Gipfelteilnehmern im UN-Konferenzzentrum vorgelegt.
   

 

"Wenn wir nichts unternehmen, um unsere momentanen, unüberlegten Entwicklungsmodelle zu ändern, setzen wir die langfristige Sicherheit der Erde und ihrer Bewohner aufs Spiel."
(Nitin Desai, Generalsekretär des UN-Weltgipfels)

"Eine globale Gesellschaft, die auf Armut für viele und Reichtum für wenige basiert, die gekennzeichnet ist durch Inseln des Wohlstandes, umgeben von einem Meer von Armut, eine solche Gesellschaft ist nicht nachhaltig."
(Thabo Mbeki, Präsident der Republik Südafrika)
   
 

Aufruf von Johannesburg (Johannesburg Call)

 

"Wir, die Leiter und Vertreter von Kommunalverwaltungen weltweit, sind in Johannesburg, Südafrika, im August 2002 zusammen getreten und verpflichten uns der nachhaltigen Entwicklung unseres Planeten und der Bevölkerung.

Seit 1992 haben Kommunalverwaltungen wichtige Fortschritte auf dem Weg zur Umsetzung der Ziele und Bestrebungen des Unweltgipfels von Rio erzielt. Heute geloben wir, diese lokalen Bemühungen zur Umsetzung der Bestrebungen, Ziele und Aufgaben des Weltgipfels in Johannesburg sowie der vorhandenen internationalen Protokolle und Erklärungen, die Bestandteil der Agenda 21, der Jahrtausenderklärung und der Habitat Agenda sind, zu verstärken. Als Schnittstelle zwischen Regierung und Bevölkerung sind wir der Schaffung einer gerechteren und verantwortungsbewussteren Welt verpflichtet.

Wir wissen, dass lokale Maßnahmen allein den Planeten nicht retten werden. Wir appellieren daher an unsere Länderregierungen, die Vertreter internationaler Stellen und der Vereinten Nationen, unsere Kompetenzen und Fähigkeiten bei der Lancierung eines Angriffs gegen Armut und Unterentwicklung auf vorderster Linie zu stärken. Angesichts unserer Schlüsselrolle in diesem weltweiten Kampf fordern wie diese nationalen und internationalen Stellen ebenfalls auf, sich nach besten Kräften um eine Stärkung der Institutionen der organisierten Kommunalverwaltungen zu bemühen. Für Afrika bedeutet dies, dass wir alle internationalen Institutionen, einschließlich der Vereinten Nationen auffordern, durch die Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (NEPAD) zur Förderung der Kommunalverwaltungen auf diesem Kontinent beizutragen.

Wir appellieren an die Länderregierungen, die Kommunalverwaltungen als lebenswichtigen Bereich der Regierung anzuerkennen.

Wir fordern eine neue Form der globalen Solidarität, bei der alle gleichgesinnten Einzelpersonen, Organisationen und Regierungsebenen sich zusammen schließen, um eine neue Zukunft aufzubauen.

Wir sind zutiefst besorgt über die Wirkung der Globalisierung auf lokaler Ebene, insbesondere in den Entwicklungsländern und den Ländern mit Wirtschaften im Übergangsstadium. Wir haben aus erster Hand die verheerenden Auswirkungen verschiedener Aspekte unseres internationalen Systems auf Kommunen und unsere lokalen Standorte erfahren.

Wir fordern daher eine grundlegende Umstrukturierung der internationalen Beziehungen, um zu einer gerechteren Weltordnung zu gelangen. Wir sind der Überzeugung, dass die derzeitige Struktur der Weltwirtschaft die Fähigkeit der Kommunalverwaltungen einschränkt, unser Entwicklungsmandat zu erfüllen. Unzureichender Zugang zu internationalen Märkten, ein ungerechtes Welthandelssystem, unhaltbare Schulden, rückläufige Entwicklungshilfe und die digitale Spaltung behindern unser Bemühen, unseren Verwaltungsaufgaben mit Autorität und Menschlichkeit nachzukommen.

Wir appellieren an die Staaten der Welt und die internationalen Vertretungsorganisationen, die sich im Jahre 2002 in Johannesburg versammelt haben, der Stimme der internationalen Kommunalverwaltungen Beachtung zu schenken.

Mit dem Schritt ins neue Jahrtausend verpflichten wir uns:

  • die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäranlagen zu halbieren;
  • aktive Schritte zur Beseitigung von Problemen der öffentlichen Gesundheitsversorgung gemäß der WTO/TRIPS-Vereinbarung zu ergreifen;
  • den Zugang zu einer erschwinglichen modernen Energieversorgung zu verbessern;
  • den Marktzugang für Waren aus den Entwicklungsländern zu stärken;
  • vor dem Hintergrund eines gerechten und zugänglichen Urheberrechts, auf Partnerschaften bei Technologie und Wissen hinzuarbeiten;
  • für Alle einen gerechten Zugang zu einer guten Ausbildung auf allen Ebenen sicherzustellen.

Wir verpflichten uns, diese Zielsetzungen bis zum Jahre 2015 zu erreichen.

Wir, die Kommunalverwaltungen weltweit, anerkennen, dass unsere Welt nicht gleich oder gerecht ist. Wenn internationale Konferenzen wie diese sich wirklich auf das Leben der Menschen auswirken sollen, müssen wir, die Vertreter der Bevölkerung, beherzt und unmissverständlich zu Änderungen Stellung beziehen. Wir anerkennen, dass ohne politisches Engagement nichts erreicht werden kann. Wir widmen daher unser unermüdliches Engagement der Beseitigung der Armut, der Herstellung des Gleichgewichts zwischen den Entwicklungsländern und der industrialisierten Welt sowie der grundlegenden Umgestaltung unserer Welt. Wir verpflichten uns auch zur Entwicklung realistischer Aktionspläne und deren Umsetzung durch die Programme der Lokalen Agenda 21. Wir appellieren an alle Regierungsoberhäupter, die sich in der kommenden Woche in Johannesburg treffen, dies ebenso zu tun.

Jetzt ist es Zeit zu handeln. Nutzen wir diese Gelegenheit; vielleicht ist es die letzte."

(Aus dem Englischen übersetzt von Rita Käbe-Kocadereli)


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Stand: 3. September 2002