Thema der Woche

Ausgabe Nr. 34 · 23. August 2000



Von vielen als besonders gelungen empfunden: die Gartenstadt Seseke-Aue in Kamen. (Foto: Vierneisel)









Gemeinderatsmitglieder und städtische Mitarbeiter/innen besuchten die IBA Emscher Park. (Foto: Vierneisel)

Emscher Park als Ideengeber

Exkursion mit vielen Anregungen für Wieblingen-Schollengewann - Gemeinderäte berichten


Im Juli fand eine Fachexkursion zur "Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park" statt. Mitglieder des Gemeinderats fuhren mit Vertretern städtischer Ämter ins Ruhrgebiet, um sich - im Hinblick auf anstehende Entscheidungen zum Baugebiet Schollengewann - zwei Tage lang über aktuelle Trends in Architektur und Wohnungsbau zu informieren.

Veranstaltet wurde die Exkursion vom Wohnbund Frankfurt im Rahmen der Teilnahme der Stadt Heidelberg am Bundesprogramm "Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" (ExWoSt). Die 1989 auf zehn Jahre angesetzte IBA Emscher Park ist keine Ausstellung im herkömmlichen Sinne, denn ihre gebauten Ergebnisse haben auch darüber hinaus Bestand. Als "Zukunftsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen" für die Emscher-Region will die IBA mit neuen Ideen und Projekten Impulse setzen.

Die Besucher/innen konnten vor Ort zahlreiche Einblicke und Eindrücke gewinnen, die sie für das STADTBLATT zu Papier gebracht haben. Wir dokumentieren nachstehend die Beiträge - aus Platzgründen teilweise in gekürzter Form.
 

Bei aller Sparsamkeit nicht zu einfach bauen

Die Siedlungen zeichneten sich durch eine gut gelöste Verkehrsberuhigung aus, da die Parkplätze sämtlich außerhalb der Siedlungen angelegt waren, dabei allerdings über kurze Fußwege alle Wohnungen zu erreichen waren. Probleme ergaben sich jedoch bei der Anfahrt zur Be- und Entladung, da die Straßen innerhalb der Siedlung keinerlei Kurzzeitparkflächen aufwiesen oder Überholung der stehenden PKWs zuließen. Das anfallende Regenwasser wurde komplett einer Oberflächenwasserversickerung zugeführt. Gelöst wurde dies über kleine Bachläufe zu Wiesen oder Tümpeln.

Die Bauten wurden allerdings fast ausschließlich nach einfachsten Standards ausgerichtet: keine Unterkellerung; Installationen sehr spärlich (z. B. eine Steckdose pro Zimmer); Bodenbelag schon in relativ neuen Objekten mit Abnutzungserscheinungen; teilweise unterdimensionierte Dachkonstruktion; nicht verglaste Treppenhäuser. Weiterhin zeigte sich durch die Konzentration einzelner ethnischer Gruppen die Gefahr einer Gettoisierung - ein ungewünschter, integrationshindernder Aspekt.

Für Heidelberger Vorhaben lassen sich daraus folgende Schlüsse ziehen:
- Das Konzept der Regenwassernutzung scheint auch für uns in Heidelberg ein interessanter Anstoß zu sein.
- Die Lösung der Parkflächen außerhalb der Bebauung kann, ein wenig optimiert, auch interessante neue städtebauliche Möglichkeiten eröffnen.
- Eine stark konzentrierte Sozialbebauung ist für ein Neubaugebiet, wie derzeit z. B. das Schollengewann, nicht ratsam.
- Die Bauausführung sollte bei aller Sparsamkeit nicht zu einfach erfolgen, da man mit den geringen Baukosten erhebliche Folgekosten für Reparaturen und laufende Instandhaltungsarbeiten in Kauf nimmt. Das Kostenproblem wird damit höchstens verlagert.

Klaus Weirich (CDU)
 
 

Intensive Beteiligung der Bewohner

  Das hohe Qualitätsniveau war bei allen Siedlungen unverkennbar, egal ob es der persönlichen Vorstellung entsprach, und das bei Quadratmeter-Preisen von circa 1.600-2.200 Mark. Dazu muss man aber wissen, dass alle besichtigten Siedlungen auf dem Gelände von Industriebrachen (ehemaligen Zechen) realisiert wurden, das das Land Nordrhein-Westfalen aus einem Grundstücks- und Strukturfonds zu einem Quadratmeter-Preis von circa 30 Mark zur Verfügung stellte.

Zu beobachten war auch, dass oft eine kleinteilige Struktur gewählt wurde und das Siedlungsgebiet nicht als Ganzes, sondern nach Bedarf bebaut wurde und die Infrastruktur (Nahversorgung) fast immer von bestehenden Stadtteilen mitübernommen werden konnte.

Die Mischung von Eigenheimen, Mietkauf, Mietwohnungen und sozialem Wohnungsbau, ohne wesentliche Qualitätsunterschiede, ist nach Aussage der IBA eine der wichtigsten Voraussetzungen, noch wichtiger sei jedoch eine intensive Beteiligung der künftigen Bewohner schon bei der Planung und Erarbeitung von Strukturen, zum Beispiel: Wo parken wir unsere Autos? Welchen Stellenwert hat die Umwelt? - bis hin zu persönlichen Wünschen. Das Gelingen dieser Moderation ist entscheidend für die spätere Akzeptanz des Wohnungsumfeldes und die Wohnqualität des neuen Wohngebietes Schollengewann.

Hermann Gundel (FWV)
   
 

Hohe Qualität zu günstigem Preis

  Was lässt sich vom Emscher Park auf das Schollengewann übertragen?
- kleinteilige Lösungen mit traditioneller Einteilung in öffentlichen, privaten und Gemeinschaftsraum (580 Wohneinheiten wie beim Schollengewann geplant, sind offenbar zu viel!);
- hohes Qualitätsniveau bei günstigen Preisen;
- intensive Architektenwettbewerbe und die Zusicherung, den 1. Preis auch wirklich zu realisieren;
- Erarbeitung von Zielen (zum Beispiel autofreie Zonen) zusammen mit den zukünftigen Bewohnern;
- bei kleinen Wohnungen wurde von den Bewohnern auf den kleinen eigenen Schrebergarten besonderer Wert gelegt;
- Wasser als Planungselement (vielleicht kann man Neckarwasser zum Schollengewann leiten);
- Suche nach "Betriebsnudeln" unter den zukünftigen BewohnerInnen, um soziale Netze aufzubauen.
Einhellig wurde von allen Fraktionen das Modell "Wohnen im Garten" aus Dortmund und "Gartenstadt Seseke-Aue" in Kamen als die gelungensten empfunden.

Dr. Karin Werner-Jensen (SPD)
   
 

Kostengünstiger Bau mit Holz

  Im Ganzen war es eine Freude zu sehen, wie im nördlichen Ruhrgebiet auf dem Gelände aufgegebener Gruben, Kokereien und Stahlwerke moderne Wohnsiedlungen entstanden sind. Im einzelnen war für mich besonders bemerkenswert, dass

- in mehreren Siedlungen mit Holz gebaut wurde. Da ich selber in einem Holzhaus wohne (erbaut 1949), weiß ich, dass dies kostengünstig ist und durch gute Isolierung Heizkosten spart, also auch der Umwelt hilft.
- manche Siedlungen fast autofrei waren. Dafür gab es reichlich bemessene Parkplätze am Rande.
- Plätze oder Innenräume für gemeinschaftliches Zusammenkommen vorgesehen waren.
- die Vertreter der IBA die Erfahrung gemacht haben, dass man die Probleme am besten bereits im Planungsstadium mit den künftigen Bewohnern bespricht.
- für ein gemeinschaftliches Leben in den Siedlungen Bewohner gesucht und dann begleitet werden müssen, die sich darum kümmern. Von selber kommt da nichts in Gang.
Beeindruckend war auch der Umbau eines Straßenreparaturwerkes zu einem multikulturellen Zentrum (siehe unser Problem Jugendhalle!).

Dr. Hannelis Schulte (LL/PDS)
   

Ein Plätzchen für die "Selbstbausiedlung" reservieren

Die Reise zu einigen ausgewählten Siedlungs- und Bauprojekten der IBA war hochinteressant! Ich war gespannt auf die Besichtigung eines dem Schollengewann vergleichbaren Viertels insbesondere wegen der geplanten Baudichte und des Geschosswohnungsbaus. Seseke-Aue war ein solches: Als Renaissance der Gartenstadt-Idee. ist sie - wie die meisten "Wohlfühl-Quartiere" - im Inneren autofrei organisiert. Dies war von den Bewohner so gewollt, weil so das Wohnen wesentlich angenehmer ist.

Durch natürlich gestaltete Grünflächen mit reizvollen Wasserläufen, gespeist mit Regenwasser aus der Dachentwässerung; durch Mietergärten in Wohnungsnähe und durch abwechslungsreiche Spielangebote für Kinder wurde dieses Viertel zu einer begehrten Wohnadresse. Das war überzeugend!

Fazit für mich: die vorgesehene Dichte und die gemischte Bauform ist akzeptabel und bewohnerfreundlich. Schönheit allein reicht nicht - auf den Wohnungsgrundriss kommt es an. Und auf das abwechslungsreich gestaltete Umfeld in ökologischer Verträglichkeit. Extrem niedrige Baukosten, Niedrigenergiestandard und eine gute Architektur müssen kein Widerspruch sein. Sozial- und Eigentumswohnung müssen sich nicht unterscheiden. Architektenwettbewerbe und Bürgerbeteiligung schon im Planungsstadium sind positive Vorgehensweisen. Mitgenommen habe ich noch die gebaute Idee der "Selbstbausiedlung", für die Heidelberg ein Plätzchen reservieren sollte!

Irmtraud Spinnler (GAL)

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Stand: 22. August 2000