Kultur

Ausgabe Nr. 33 · 16. August 2000



Michael Buselmeier: "Ich will keine Veränderungen in meinem Umfeld." (Foto: Rothe)

Dichter, Denker, Gassenprediger

Pfalzpreis 2000 für Michael Buselmeier


Michael Buselmeier erhält den mit 10.000 Mark dotierten Pfalzpreis für sein literarisches Werk, in dessen Mittelpunkt seine Heimatstadt und die Pfalz stehen. Der 61-jährige Dichter und Publizist zählt zu den bedeutendsten deutschen Lyrikern seit Ende der 60er Jahre und macht darüber hinaus mit literarischen und kulturgeschichtlichen Stadtführungen von sich reden. STADTBLATT-Mitarbeiterin Beate Reck-Dohmen sprach mit dem Preisträger.

STADTBLATT: Herr Buselmeier, würden Sie sich als Heimatschriftsteller bezeichnen?

Buselmeier: Das ist eine der allerschwierigsten Fragen. Traditionellerweise wollen die Schriftsteller, besonders meiner Generation, alle fortschrittlich sein. Die Heimat war ja besonders durch den Faschismus despektierlich geworden. Da wollte niemand mehr Heimatschriftsteller sein, außer den Leuten, die in den 50er Jahren Heimatfilme und Heimatromane gemacht haben, die übrigens ganz rührend sind, wenn man sie sich heute anguckt. Ich würde mich schon als Heimatschriftsteller bezeichnen, früher hätte ich gesagt "kritischer Heimatschriftsteller", weil ich die Risse, das Negative und das Traurige, Zusammenbrüche, scheiternde Lebensgeschichten, die Zerstörung der Landschaft und der Stadt beschrieben habe. Aber ich würde jetzt mit dem Älterwerden nicht mal mehr "kritischer" sagen, sondern einfach Heimatschriftsteller oder Regionalist.

STADTBLATT: Am Telefon sagten Sie mir gleich, Sie seien "stockkonservativ". Was meinen Sie damit?

Buselmeier:
Schon mein erster Gedichtband 1978 hieß "Nichts soll sich ändern". Damals war ich noch eine linksradikale Protestfigur. Die Szene hat damals gedacht, ich hätte das ironisch gemeint. Nein, ich hab' das schon damals ernst gemeint. Ich will keine Veränderungen in meinem Umfeld. Es soll alles gleich bleiben, die Sachen an derselben Stelle. Ich gehe immer dieselben Wege. Ich mag auch nicht in Ferien fahren und wenn, dann immer an dieselben Orte. Das ist sicher auch ein konservativer Zug.

STADTBLATT: Was wollen Sie bewahren?

Buselmeier: Die Kindheit, alle Menschen, die früher da waren. Man geht in sein Haus wie im Märchen, macht die Tür zu, und da sitzen sie alle um den Tisch herum und sind zu Hause. Und der Dichter guckt von außen durchs Fenster, ganz neidisch auf diese scheinbare Harmonie, diese Gemeinschaft, und gehört nicht dazu.
  "Wir müssen die Geschichte verteidigen."
  STADTBLATT: Sind Sie der Dichter, der nicht dazugehört?

Buselmeier: Ein Künstler gehört nie dazu. Das habe ich schon früh gelernt. Aber ich wollte immer dazu gehören. Ich hatte keinen Vater. Meine Mutter arbeitete. Ich wollte eigentlich immer eine Familie haben.

STADTBLATT: In der Reihe "Erlebte Geschichte - erzählt" sagten Sie einmal, Sie hätten nie von Heidelberg lassen können. Was bindet Sie an die Stadt?

Buselmeier: Es ist bestimmt nicht das Schloss oder die Alte Brücke, oder was ich in den literarischen Stadtführungen zelebriere, auch nicht die Universität und die Schönheit der Stadt, die zugegebenermaßen enorm ist. Sondern, ich war sehr eng an meine Mutter geknüpft, bin immer bei meiner Mutter gewesen und hätte sie nie verlassen können. Sie starb sehr früh, 1970. Bis sie starb, bin ich immer bei ihr geblieben, konnte nicht mal woanders studieren. Ich denke, dass die Identifikation mit meiner Mutter mich hier gehalten hat. - Ich war in dieser Stadt hier immer der letzte Mensch. Weil ich unehelich war, weil sich niemand um mich kümmerte, weil ich ein Gassenjunge war und furchtbar schlecht in der Schule. Ich hatte nur Konflikte, galt als absoluter Nichtsnutz, Versager. Irgendwann hat sich das umgekehrt. Eigentlich bin ich immer rebellisch gewesen.

STADTBLATT:
Zurück zu "Erlebte Geschichte - erzählt", Sie haben den Ruf eines streitbaren und kritikfreudigen Schriftstellers. Manche Zuhörer hätten sich mehr Biss in Ihrem Gespräch mit Ex-OB Reinhold Zundel gewünscht.

Buselmeier: Ich wollte das Gespräch mit Zundel führen wie alle Gespräche vorher, dem Gast mit Achtung gegenübertreten. Keine andere Behandlung für Zundel. Der Unterschied waren die Räumlichkeiten - dafür konnte ich nichts. Im Interesse eines funktionierenden Gesprächs über ein bis zwei Stunden brauche ich eine Atmosphäre, die einigermaßen befreit ist von unterschwelligen Aggressionen. Das Wichtigste aber war, und das habe ich gleich zu Anfang gesagt, ich kann die linksradikalen Positionen der 70er Jahre, die wir gegen Zundel aufgebaut haben, heute nicht mehr aufrecht erhalten. Keiner unter den Zuhörern kann das. Ich wollte Zundel die Gelegenheit geben, sein Leben zu erzählen, und habe überhaupt keine Lust, Recht zu haben. Stellen Sie sich das mal vor, die Veranstaltung fand auf der Bühne des Theaters statt, ich war mal Schauspieler, und ich sollte stellvertretend für all die, die ihre schäbigen Kompromisse gemacht haben - was ich ihnen gar nicht vorwerfe - sollte ich noch mal den Radikalen der 70er Jahre mimen. Nein. Ich spiele keine 70er Jahre mehr.
  "Ich spiele keine 70er Jahre mehr."
  STADTBLATT: Seit April '88 machen Sie kulturgeschichtliche Stadtführungen. Gibt es für Sie immer noch etwas zu entdecken in dieser Stadt?

Buselmeier: Ja, das ist das Merkwürdige. Ich entdecke immer neue Sachen, die Stadt ist unerschöpflich. Stadtgeschichte, Frühgeschichte, Familiengeschichten, Adelsgeschichten, Hausgeschichten, Madonnengeschichten, Wappengeschichten, nicht bloß Literaturgeschichte. Ich hab' das nach allen Seiten kulturgeschichtlich ausgeweitet und das ist auch mein Kulturbegriff - entgegen diesem heutigen multikulturellen Supermarkt - ich sage: Wir müssen die Geschichte verteidigen.

STADTBLATT:
Die Geschichte der Stadt ist Ihr Zuhause?

Buselmeier: Es ist ja eigentlich eine Verlustgeschichte. Die Menschen sind weg, über die ich rede, die Häuser sind zum großen Teil zerstört, die Ideen sind auch nicht mehr richtig gegenwärtig, es gibt keine Tiere und keine Handwerksbetriebe mehr in der Stadt, die Geruch- und Geräuschkulisse hat sich geändert. Im Grunde ist es eine einzige Verlustgeschichte, aber die macht einen doch glücklich.

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Stand: 15. August 2000