Stadt und Leute

Ausgabe Nr. 26 · 27. Juni 2001



Eine Gestaltungssatzung soll die städtebaulichen Besonderheiten des Ortskerns von Handschuhsheim sichern. (Foto: Pfeifer)

Eine Gestaltungssatzung ist keine Käseglocke

Informationsveranstaltung in Handschuhsheim: Schutz des Ortskerns hat viele Befürworter


Braucht Handschuhsheim für den Schutz seines historischen Ortskerns eine Gestaltungssatzung? Rund 200 interessierte Bewohner/innen des Stadtteils diskutierten am Donnerstag vergangener Woche (21. Juni) während einer Informationsveranstaltung im Carl-Rottmann-Saal diese Frage und beantworteten sie schließlich bei einer - unverbindlichen - Probeabstimmung mit einem fast einhelligen Ja.

Somit konnte Erster Bürgermeister Prof. Dr. Raban von der Malsburg das von ihm gewünschte "positive Signal" für die weiteren Beratungen des Bauausschusses und des Gemeinderates mit ins Rathaus nehmen. Erleichtert, wie er bekannte. Denn eigentlich habe er wegen der von vielen Bürger/innen geäußerten Sorge, eine Gestaltungssatzung würde eine "Käseglocke" über ihren Geltungsbereich stülpen, mit größerem Widerspruch gerechnet.

Diese Sorge nannte der Erste Bürgermeister unberechtigt, weil sich eine Gestaltungssatzung an die Landesbauordnung anlehnt. Wo die Landesbauordnung Bauvorhaben ohne baurechtliche Genehmigung gestattet, sei das auch im Rahmen der Gestaltungssatzung erlaubt. Im Gegensatz zur Erhaltungssatzung: Diese wird durch das Baugesetzbuch des Bundes definiert und schreibt für jede bauliche Veränderung in ihrem Geltungsbereich die behördliche Genehmigung vor.

Noch gibt es in Heidelberg keinerlei Erfahrungen mit dem Instrument der Gestaltungssatzung. Die Stadtverwaltung hatte deshalb einen Experten hinzu gezogen: den Flörsheimer Architekten Herbert Weyell, dessen Büro bereits eine Gestaltungssatzung für die bayrische Stadt Zellingen ausgearbeitet hat. An diesem Beispiel erläuterte Weyell die Auswirkungen einer solchen Satzung:

Das Bild einer Stadt werde geprägt von ihren Häusern, den beim Bau verwendeten Materialien, den meist vom Klima bestimmten Dachformen und von der Statik. "Schon kleine Veränderungen können das Stadtbild stören oder zerstören", sagte der Architekt. "Eine Stadt so zu gestalten, dass man sich darin wohlfühlt", sei hingegen nicht schwer, wenn man auf Dachformen, Fassaden, Baumaterial und vor allem auf die Werbeanlagen achte.

Dabei sei die Gestaltungssatzung eine wertvolle Hilfe: Sie gebe Bauherren und Architekten Planungssicherheit, verhindere "Wildwuchs" und "Beeinträchtigungen durch Nachbarn". Vor allem in einem Punkt war sich Weyell sicher: "Eine Gestaltungssatzung bringt wirtschaftliche Vorteile für das Handwerk, den Handel, die Gastronomie und alle Bewohner."

Das Besondere von Handschuhsheim, den Ortskern und seine Geschichte hat Architekt Bernd Nowoczyn (Heidelberg) untersucht. Seiner Meinung nach sollte der Geltungsbereich der Gestaltungssatzung sich an den Gegebenheiten aus den Jahren 1875 bis 1907 orientieren, als Handschuhsheim sich "vom Dorf zum Stadtteil" entwickelte, wobei der Ortskern das "Dorf in der Stadt" blieb.

Zu erhalten und zu gestalten sei die bauliche Vielfalt bei sehr hoher Dichte, die engen, geschwungenen, kleinteilig bebauten Straßen und die weiten Plätze, die Gemeinschaftshöfe, die oft von mehreren Anwesen umgeben sind. "Die Gestaltungssatzung soll Lust am Bauen des Dorfes wecken", meinte Nowoczyn. Und: "In der Nachbarschaft historischer Gebäude zu bauen, heißt in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen."

Angesichts der Tatsache, dass beim Bezirksbeirat Handschuhsheim die Gestaltungssatzung schon seit einigen Jahren im Gespräch ist und die jetzige Diskussion durch "verschiedene problematische Bauanfragen in letzter Zeit" (so Erster Bürgermeister von der Malsburg) ausgelöst wurde, hielten einige der Zuhörer den geplanten Geltungsbereich der Gestaltungssatzung für möglicherweise nicht groß genug.

"Die Abgrenzung ist diskussionsfähig", versicherte der Erste Bürgermeister. Auch der Vorschlag, am "runden Tisch im ständigen Dialog" zwischen den Betroffenen und den Experten und Expertinnen des Stadtplanungsamtes und Baurechtsamtes zu bleiben, fand die Zustimmung des Baudezernenten. Der sagte zu, den fertigen Satzungstext den Bürger/innen erneut vorzulegen und riet abschließend: "Abwarten, ob sich die Gestaltungssatzung bewährt. Wenn nötig, kann der Gemeinderat sie ergänzen - oder auch wieder abschaffen." (br.)

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Professor Dr. Wolfgang Huber nahm von Oberbürgermeisterin Beate Weber das Bundesverdienstkreuz am Bande entgegen. (Foto: Kresin)

Medizin als Sozialpolitik

Professor Dr. Wolfgang Huber erhielt das Bundesverdienstkreuz am Bande


Professor Dr. Wolfgang Huber, Mediziner und langjähriges Mitglied des Heidelberger Gemeinderats, hat das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten. Oberbürgermeisterin Beate Weber überreichte ihm die Auszeichnung im Beisein zahlreicher Gäste während einer Feierstunde im Großen Rathaussaal.

Für Professor Huber standen soziale Gerechtigkeit und soziales Engagement, Gesundheitsvorsorge und Arbeitsplatzsicherung immer an vorderster Stelle, würdigte die Oberbürgermeisterin die Verdienste des Geehrten, der 28 Jahre lang - von 1971 bis 1999 - als Mitglied der SPD-Fraktion dem Gemeinderat der Stadt Heidelberg angehörte: "Er wollte den Menschen helfen." Der Antrag an den Bundespräsidenten, Professor Huber mit dem Bundesverdienstkreuz zu ehren, war von der Arbeiterwohlfahrt ausgegangen, erklärte Beate Weber und betonte, den Antrag sehr gerne unterstützt zu haben.

Dem Sozialpolitiker Huber war unter anderem die Altenarbeit besonderes Anliegen. Die Oberbürgermeisterin nannte es auch ein Verdienst Hubers, dass es inzwischen in fast allen Heidelberger Stadtteilen Seniorenzentren gibt, die den Menschen Gelegenheit geben, bei sinnvoller Beschäftigung alt zu werden. Darüber hinaus war Professor Huber Gründungsmitglied der Akademie für Ältere, in deren Vorstand er 15 Jahre lang mitwirkte.

Siebzehn Jahre war der sozialdemokratische Stadtrat auch Mitglied im Aufsichtsrat der Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz, von 1986 bis 1999 als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Sein Hauptanliegen war, jene Personengruppen mit Wohnraum zu versorgen, die auf Grund ihrer finanziellen, familiären oder gesundheitlichen Situation nur schwer Zugang zum Wohnungsmarkt finden.

Seit 1973 engagiert sich Dr. Wolfgang Huber in der Arbeiterwohlfahrt. Auch hier liegt einer seiner Betätigungsschwerpunkte bei der Seniorenarbeit. Außerdem trägt er die Arbeit des AWO- Kreisverbandes, dessen Schatzmeister seit mehr als zehn Jahren ist, auch als Funktionär entscheidend mit.

In seinen Dankesworten ging Professor Dr. Huber vor allem auch auf seine medizinische Arbeit ein. Vorbeugende Medizin in der Kommune lag im stets am Herzen: Untersuchungen von Luft- und Wärmebelastungen, Veränderungen des Kleinklimas, Schadstoffbelastungen in Gebäuden, Asbestsanierung, chlororganische Substanzen in Kindergärten, öffentlichen Gebäuden und Böden sowie die Zusammenhänge zwischen Medizin und Ökologie.

Seine Untersuchungen versteht er als Teil der Sozialpolitik: "Heidelberg ist eine so schöne Stadt - die Menschen sollen die Möglichkeit haben, diese Stadt zu genießen." (br.)

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Der Rohbau steht: der Anbau der Jugendherberge soll bis Ostern fertig sein. (Foto: Rothe)

Raum für 283 junge Gäste

Richtfest des Jugendherbergs-Neubaus - Künftig Vierbettzimmer mit Bad


Auch Jugendherbergen müssen sich steigenden Komfortwünschen anpassen. Anstelle von Achtbettzimmern mit Waschräumen, die nur über den Gang zu erreichen sind, wird es im Neubau, für den jetzt Richtfest gefeiert wurde, Vierbettzimmer mit integriertem Bad geben.

Die Heidelberger Jugendherberge ist mit 60.000 Übernachtungen im letzten Jahr eine der beliebtesten in Deutschland. "Wir haben einen hohen Anteil junger Erwachsener und ausländischer Gäste" so Frieder Kiefer vom Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Jugendherbergswerks. Die Übernachtungsstätte verfügt über 400 Schlafplätze in 77 Zimmern, davon sind aber nur dreißig mit fließendem Wasser ausgestattet. Auch besteht ein Mangel an Tagungs- und Gruppenräumen.

Rund achtzehn Millionen Mark sind für die Modernisierung der Jugendherberge insgesamt erforderlich, zwölf Millionen kostet der erste Bauabschnitt, der im Rohbau fertig ist und zu Ostern bezogen werden soll. Hier entstehen auf rund 5.000 Quadratmetern Schlafräume mit insgesamt 283 Betten, ein geräumiges Foyer und Besprechungsräume, wie Architekt Ernst Kuhlmann erläuterte. Die Zimmer im Erdgeschoss sind behindertengerecht.

Die Stadt unterstützt das Jugendherbergswerk bei dieser finanziellen Kraftanstrengung. "Wir haben ein städtisches Grundstück mit Erbbaurecht, aber ohne Erbbauzins zur Verfügung gestellt, denn wir haben ein Interesse daran, dass es der Jugendherberge gut geht", sagte Oberbürgermeisterin Beate Weber in ihrem Grußwort.

Die Stadt engagiert sich bei der Modernisierung der Jugendherberge mit einem Zuschuss von einer Million Mark und einem zinslosen Darlehen von rund 1,5 Millionen Mark. "Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch der zweite Teil des Neubaus in meiner Amtszeit in Angriff genommen würde", betonte die Oberbürgermeisterin, die sich für die "Erhaltung des Systems Jugendherberge" als eine der preisgünstigsten Arten des Reisens aussprach.

Den Richtspruch hielt Zimmermann Damm, für das leibliche Wohl sorgte Herbergsmutter Gertrud Merkel mit ihrem Team. Musikalisch umrahmt wurde das Fest von der Orchestervereinigung Handschuhsheim. Für eine Überraschung sorgte die Mundharmonika-Gruppe der Grund- und Hauptschule Ellwangen mit einer spontanen Musikeinlage. (rie)

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Das zehnte Seniorenzentrum

... eröffnet im Sommer 2002 in Rohrbach im Gemeindezentrum Baden-Badener Straße


Vom Sommer 2002 an sollen die Rohrbacher Seniorinnen und Senioren eine eigene Anlaufstelle haben. Dann wird in den Räumen des Gemeindezentrums in der Baden-Badener Straße das zehnte und letzte Seniorenzentrum in Heidelberg eröffnet.

Oberbürgermeisterin Beate Weber: "Ich freue mich, dass nach jahrelangen Verhandlungen nun eine endgültige Lösung gefunden werden konnte. Wenn das Seniorenzentrum Rohrbach im Sommer 2002 seine Tore öffnet, haben wir unser ehrgeiziges Ziel erreicht, in fast allen Heidelberger Stadtteilen Anlaufstellen für ältere Menschen einzurichten, die es ihnen ermöglichen, auch im Alter aktiv zu bleiben. Der überregionale Erfolg dieses Modells hat uns auf diesem Weg bestärkt."

Bevor das Seniorenzentrum Rohrbach in Betrieb gehen wird, steht noch der Umbau der Räume in der Baden-Badener Straße an. Betreiber des Seniorenzentrums soll das Diakonische Werk Heidelberg werden. Investitionskosten und laufende Finanzierung übernimmt die Stadt Heidelberg.

Betreutes Wohnen im Seniorenzentrum wird mit der jetzt gefundenen "kleinen Lösung" leider nicht möglich sein. Oberbürgermeisterin Beate Weber: "Nachdem die Pflege Schönau sich im März 2001 trotz unserer erfolgreichen Bemühungen um eine Bebauungsplanänderung überraschend aus dem ursprünglich geplanten Neubau mit Seniorenwohnungen zurückgezogen hatte und die Realisierung des Seniorenzentrums nicht noch länger aufgeschoben werden sollte, war es uns wichtig, den Rohrbachern nicht noch weitere Wartezeiten zuzumuten.

Deshalb wird jetzt die ursprünglich favorisierte 'kleine Lösung' - der Umbau des Gemeindezentrums in der Baden-Badener Straße - in die Tat umgesetzt. Ein stadtteilbezogenes Informations-, Unterhaltungs- und Sportprogramm von Senioren für Senioren und jede Menge weitere Serviceangebote für ältere Menschen sollen nun endlich auch in Rohrbach realisiert werden."
   
 

Stichwort: Seniorenzentren

  Das Modell der Seniorenzentren entstand 1988 aus dem Altenstrukturkonzept der Stadt Heidelberg. Im Februar 1990 wurde das erste Seniorenzentrum in der Weststadt eingerichtet. Es folgten Seniorenzentren in der Altstadt, in Bergheim, Handschuhsheim, Kirchheim, im Pfaffengrund, in Wieblingen, Ziegelhausen und Neuenheim. Träger der einzelnen Zentren sind - mit Ausnahme des Seniorenzentrums Weststadt - unterschiedliche Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Finanziert werden die Einrichtungen von der Stadt Heidelberg, die sich das Angebot für Ältere etwas kosten lässt: neben den Investitionskosten zahlt die Stadt jährlich durchschnittlich 200.000 Mark pro Seniorenzentrum. Zentraler Auftrag der Anlaufstellen für ältere Menschen im Stadtteil ist die Förderung der Selbstständigkeit.

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Kultur und Reisen verbinden

Europäische Tourismus-Städte arbeiten seit zehn Jahren erfolgreich zusammen


Seit zehn Jahren gibt es den Europäischen Städteverband für Tourismus. Zu ihrer Konferenz im Jubiläumsjahr trafen sich die Verkehrsdirektoren aus rund 80 europäischen Städten im Heidelberger Marriott-Hotel, um über gemeinsame Marketing-Strategien und die Möglichkeiten der Informationstechnologie für den Tourismus zu diskutieren.

Damit kehrte der Europäische Städteverband für Tourismus an seinen Gründungsort zurück. In Heidelberg war der Verband im Juni 1991 aus der Taufe gehoben worden. Erster Präsident war seinerzeit der Hauptgeschäftsführer des Verkehrsvereins Heidelberg, Nils Kroesen. Derzeit ist Jean-Michel Lafond (Dijon/Frankreich) Präsident und Tor Sanneruf (Oslo/Norwegen) Vizepräsident.

Dem Verband gehören heute insgesamt 85 Städte in 27 Ländern Europas an, davon 14 aus Deutschland. Aufgenommen werden Städte mit mindestens 100.000 Einwohnern, die sich durch Kongresseinrichtungen, Flughafennähe, historische Stadtkerne und interessante Kulturgeschichte auszeichnen.

Ziele der Zusammenarbeit sind unter anderem

  • Erfahrungsaustausch,
  • wirkungsvolle Interessenvertretung gegenüber der Europäischen Union und auf dem internationalen Tourismusmarkt,
  • Förderung des Städtetourismus durch gemeinsame Promotions-, Informations- und Buchungsprogramme.

Ein Beispiel für die Zusammenarbeit ist die 1992 gestartete Initiative "Art Cities in Europe". Deren Zweck: Verbesserte Imagewerbung für die beteiligten Kulturstädte, verstärkte Zusammenarbeit zwischen kulturellen Einrichtungen und Reiseveranstaltern, Erleichterungen bei Vertrieb und Buchung von Kulturreisen von Übersee nach Europa.

Auch die im vergangenen Jahr in Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Geographischen Institut der Universität begonnene Gästebefragung geht auf eine Initiative des Europäischen Städteverbandes für Tourismus zurück. In dessen Auftrag erforscht die Wirtschaftsuniversität Wien die Entwicklungen im europäischen Städtetourismus, der im Jahr 2000 einen Zuwachs von 7,3 Prozent verzeichnete.

Mehr als 30 Prozent des europäischen Incoming-Tourismus entfällt derzeit auf die Städte. Der Verband der europäischen Tourismusstädte ist die einzige Organisation, die solche Entwicklungen regelmäßig statistisch erfasst, auswertet und daraus gemeinsame Projekte für die Zukunft entwickelt.

Dabei hilft die europaeinheitliche Gästebefragung. Sie ermöglicht Erkenntnisse darüber, woher die Gäste ihre Informationen über die besuchte Stadt haben, wie sich die Nachfrage verändert, welche Unternehmungen die Besucher planen und wofür sie Geld ausgeben, wieviel Besucher bei Verwandten und Bekannten übernachten, wo die Stärken und Schwächen des jeweiligen Städteangebotes liegen.

Ein weiteres Produkt der Verbandsarbeit ist das Handbuch europäischer City Cards. Millionen von Gästen nutzen inzwischen die Vorteile der von den Städten angebotenen Kombitickets oder City Cards. Die Broschüre ermöglicht deren Leistungsvergleich auf einen Blick.

"Zusammenarbeit heißt, die Ressourcen gemeinsam nutzen", kommentierte Heidelbergs Verkehrsdirektor Kroesen die Aktivitäten des Verbandes in einer Pressekonferenz anlässlich der Jubiläumskonferenz. Und: "Der Erfahrungsaustausch bringt uns voran!" (br.)


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Montpellier-Antigone: rechts Bauten im klassizistischen Stil, links der schnörkellose Glaspalast des Olympia-Schwimmbades. In beiden Fällen heißt der Architekt Ricardo Bofill. (Foto: Rieck)

Von La Paillade bis Port Marianne

Architektonische Zeitreise durch Montpellier mit Martin Andersch


Auf eine Express-Reise durch ein Jahrtausend Architektur in Montpellier - von der Gründung 985 bis zu den aktuellen Planungen zur Stadterweiterung - nahm Martin Andersch seine Zuhörer/innen im voll besetzten Montpellier-Haus mit: ein Schnellkurs in Stadtentwicklung, Städtebau und Architektur am Beispiel von Heidelbergs Partnerstadt im Midi, die sich in den letzten drei Jahrzehnten dramatisch entwickelt hat: von Platz 25 unter den Städten Frankreichs auf Platz 8.

Andersch, freier Architekt in Montpellier, ist für viele Heidelberger kein Unbekannter. Als kompetenter "Stadtführer" hatte er vor zwei Jahren hiesige Architekten und Stadtplaner bei ihrem Besuch in Montpellier begleitet. Als deutscher Honorarkonsul unterhält er ein Büro im "Haus der internationalen Beziehungen", wo er deutschen Touristen bei größeren und kleineren Problemen beisteht.

Von den Bauresten der Antike bis zu den erst im Computer existierenden Plänen für neue Stadtteile, vom mittelalterlichen Stadtkern über Hausmanns - in Montpellier nicht vollendeten - gewaltsamen Durchbruch zu realisierten oder am Widerstand der Bürger gescheiterten Tiefgaragen, vor allem aber entlang der im Vorjahr eröffneten Straßenbahntrasse von La Paillade im Nordwesten über Antigone nach Port Marianne im Südosten führte Anderschs architektonische Zeitreise.

Die erste Linie der "irrsinnig erfolgreichen" Straßenbahn, der noch weitere zwei folgen sollen, verläuft entlang einer äußerst dynamischen städtebaulichen Entwicklungsachse. Startpunkt ist La Paillade, eine in den siebziger Jahren für Rückkehrer aus Algerien errichtete "Luxus-Plattenbausiedlung", mit den für solche Trabantenstädte charakteristischen Problemen, gegen die nur ein harter Schnitt half: "Die letzten Sozialbauhochhäuser werden noch abgerissen - alles mit Lift lässt sich nicht halten", so Andersch.

Bei den kleineren Gebäuden setzte man auf Individualisierung, um die Identifikation der Bewohner mit ihrem Haus zu ermöglichen. Im Rahmen eines Architektenwettbewerbs ließ die Stadt für jeden Eingang ein individuelles Treppenhaus entwerfen. Der Gewinner durfte diese kreative Aufgabe ausführen, aber zeichnete auch für die Sanierung der dazu gehörigen Wohnungen verantwortlich.

Während Besucher Montpelliers sich selten nach La Paillade verirren, kennen die meisten das architektonische Aushängeschild Antigone, im klassizistischen Stil erbaut nach Plänen des Spaniers Ricardo Bofill. Neben Sozial- und Eigentumswohnungen finden sich hier die neue Stadtbibliothek und das Olympia-Schwimmbad. Das 300 Millionen Mark teure Kongresszentrum mit Oper "Corum" von Claude Vasconi am Rande des mittelalterlichen Zentrums ist nicht nur architektonisch interessant, sondern steht für das in Montpellier sehr erfolgreiche Konzept der Belebung der Innenstadt - auch und gerade im Sommer, wenn die Bewohner französischer Städte das Weite suchen.

Mit dem neuen Stadtteil Port Marianne, der unter anderen von Rob Krier und Claude Vasconi geplant wurde, kommt Montpellier dem Meer näher. Hier im Südosten liegt heute der andere Endpunkt der Straßenbahn. Vom Mittelmeer trennen Montpellier jetzt nur noch die A 9 "Languedocienne" und die Bahnlinie nach Spanien. Den Sprung hinüber ans Meer, wo heute schon der Flughafen liegt, werden die Montpellieraner auch noch bewältigen, glaubt Andersch. (rie)

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  Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



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Stand: 26. Juni 2001