Kultur

Ausgabe Nr. 24 · 12. Juni 2002



Christa Dericum (Foto: Ortner)

Spurensuche in der Geschichte

Ein Stadtblatt-Gespräch mit der Schriftstellerin Christa Dericum anlässlich ihres 70. Geburtstags


Christa Dericum wurde in Rheinberg am Niederrhein geboren und studierte in Heidelberg Geschichte, Kunstgeschichte und Soziologie. Sie arbeitete als Verlagslektorin und Rundfunkredakteurin, schreibt für Zeitungen und Zeitschriften und ist seit 1968 freie Autorin. Seit 1998 lebt sie wieder in Heidelberg.

STADTBLATT: Sie haben von 1952 bis 1958 in Heidelberg studiert, was war das für eine Zeit?

Christa Dericum: Es hat mich im Studium nie woanders hingezogen, weil hier der alte Alfred Weber war, der Soziologe. Das war ein ungeheuer demokratischer, rebellischer Mann. Dann gab es den Hans von Eckardt, der Publizistik machte. Er hatte in seinen Seminaren viele Kriegsheimkehrer und fragte: Was ist Ihnen heute wichtig? Gibt es irgendetwas, worüber wir heute reden müssen? Man sprach dann über die Wiederbewaffnung, das große Thema in den 50er Jahren. Die Teilnehmer waren nicht fertig mit dem, was sie im Krieg erlebt hatten. Dann war mir auch der Archäologe Roland Hampe wichtig, bei ihm lernte man, das Gesehene in Sprache umzusetzen, man ging quasi in eine Schule des Sehens. Das hat mir sehr viel Freude gemacht. Dann waren da der Musikwissenschaftler Professor Thrasybolos Georgiades und der Philosoph Hans Georg Gadamer. Da ging man hin. Es war eine Aufbruchstimmung.

STADTBLATT: Wie kamen Sie zum Schreiben?

Dericum: Ich habe früh damit angefangen und mir als Thema für meine Dissertation Burgundische Geschichtsschreibung ausgesucht. Da ich wenig Geld hatte, schrieb ich aufs Geratewohl ein Hörspiel über Burgund und schickte es an den Süddeutschen Rundfunk. Daraufhin wurde ich eingeladen, in der Redaktion mitzuarbeiten. Eine Zeit lang war ich Lektorin bei Piper in München. Dann ging ich nach Hamburg, weil ich mich als freie Autorin versuchen wollte und beim Journal 3 des NDR mitarbeiten konnte, einer kulturhistorisch literarischen Sendung. Ich war die Jüngste da, jeden Freitag traf man sich, dort sprachen Siegfried Lenz, Rudolf Walter Leonhardt und Marcel Reich-Ranicki. Das war für mich eine aufregende und anregende Zeit. Leonhardt hat mich gebeten, für die ZEIT zu schreiben, was ich bis jetzt getan habe, vor allem Rezensionen. Ich merkte damals aber, dass ich noch zu jung und zu unerfahren war, um als freie Autorin zu leben. Dann gab es ein Gespräch mit Harry Pross, der damals Chef-Redakteur bei Radio Bremen war. Ich bekam eine Redaktionsstelle für Sendungen mit dem Titel "Beiträge zur Zeitgeschichte", historische Hintergrundarbeit zu aktuellen Ereignissen, das war für mich wie zugeschnitten. Das hab ich sehr gern gemacht.

STADTBLATT: Was hat Sie bewogen, nach Heidelberg zurückzukehren?

Dericum: Philipp Wambolt und ich lebten zuerst im Odenwald in einem schönen Bauernhaus; das war mir aber zu weit weg von allem, ich brauche die Stadt. Wir fanden beide, er hatte ja auch hier studiert, dass Heidelberg die Stadt für uns ist. Also kamen wir 1998 hierher zurück, nach 36 Jahren.

STADTBLATT: Sie schreiben Geschichtsliteratur, Biografien, Reiseliteratur, Essays und Hörspiele. Sie sind nicht nur in den unterschiedlichsten Genres zu Hause, sondern widmen sich auch vielfältigen Themen. Wie geht das zusammen?

Dericum: Ich habe als Hintergrund immer historische Themen, weil mich interessiert, wie das, was wir jetzt haben, entstanden ist, auch die Konflikte in der Welt. Allerdings ist es mir sehr wichtig, es so zu beschreiben, dass es meine Sprache bekommt, natürlich auch meine Interpretation. Ricarda Huch war mein großes Vorbild, schon als Schülerin, ich wollte so schreiben wie sie. Sie sitzt auch zwischen Geschichte und Literatur oder Fiktion. Ich bewege mich gerne in diesem Zwischenbereich.

STADTBLATT: Wir kamen Sie zur Spurensuche auf Berliner Friedhöfen?

Dericum: Ich gehe gerne auf Friedhöfe. In Berlin hat mich das fasziniert, vor allem der Dorotheenstädtische Friedhof, wo Dichter wie Bert Brecht, Heinrich Mann und Heiner Müller liegen, neben den klassizistischen Bildhauern Schadow und Schinkel, dem Arzt Hufeland oder aber dem Eisenbahnkönig Borsig. Ich hatte die Idee, dass man die Geschichte Berlins sozusagen aus den Gräbern holen kann. Das Buch erscheint im September im Nicolai-Verlag.

STADTBLATT: Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Dericum: Ich hatte ein Stipendium in der wunderbaren Villa Decius in Krakow. Und dieses Krakow hat mich sehr fasziniert, wir sind jeden Tag in der Stadt spazieren gegangen, um die Gesichter zu sehen. Das alte Judenviertel ist nicht zerstört, war aber leer, jetzt gibt es wieder Einwanderer aus Amerika und anderswo, Überlebende des Holocaust, auch Nachkommen. Es wird eine Geschichte, die sich zwischen Krakow und Heidelberg abspielt, über jemanden, der in Heidelberg lebt und die Welt dort entdeckt...

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Stand: 11. Juni 2002