Stadt und Leute

Ausgabe Nr. 22 · 2. Juni 1999

Claude Cheysson (Foto: Rothe)

Der ehemalige französische Außenminister Claude Cheysson sprach im Großen Rathaussaal

"Wir hatten ähnliche Leiden"

Er hat den Anfang der Bundesrepublik sehr nah miterlebt: Claude Cheysson, ehemaliger französischer Außenminister und Europa-Parlamentarier begann seine politische Karriere als Verbindungsoffizer beim Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz verabschiedete. Seine Verkündung am 23. Mai 1949 war die Geburt der Bundesrepublik Deutschland.

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Bundesrepublik sprach Claude Cheysson am 21. Mai im Großen Rathaussaal über den "23. Mai 1949: gestern Krieg, morgen Europa". Oberbürgermeisterin Beate Weber und Jérôme Bloch, Direktor des Institut Français, begrüßten den Gast.

Er wolle seine Erinnerungen wiedergeben und daraus Schlussfolgerungen ziehen, sagte der fast Achzigjährige, der nach dem Besuch der französischen Eliteverwaltungshochschule ENA in Bonn beim Parlamentarischen Rat seinen ersten Einsatz hatte. "Paris war damals nicht so fortschrittlich wie Washington und London", erinnert sich Cheysson an die Zurückhaltung der Franzosen, was die Souveränität einer neuen deutschen Regierung anging.

Es sei leicht gewesen, in Bonn mit den Deutschen in Verbindung zu treten. "Wir hatten ähnliche Erfahrungen, ähnliche Leiden, wir waren alle Sieger und Besiegte zugleich... und waren Erben einer schlimmen Vergangenheit. Diese gemeinsamen Erfahrungen haben den Dialog erleichtert", erklärte Cheysson.

Der französische Offizier organisierte damals Treffen zwischen Konrad Adenauer und Robert Schumann. Adenauer habe dabei festgestellt, dass es so leicht sei, miteinander zu sprechen, und führte das darauf zurück, dass beide Politiker aus dem Rheinland stammten... Überzeugt ist Cheysson, dass "die deutsch-französischen Beziehungen von ganz besonderer Natur sein müssen".

Diese Besonderheit belegt Cheysson mit der engen Beziehung, die höchste deutsche und französische Politiker zueinander aufbauten: Adenauer und De Gaulle, Schmidt und d'Estaing, Kohl und Mitterand: "Diese Männer verdeutlichen die Intensität der deutsch-französischen Beziehungen." Auch er habe als Außenminister zwischen 1981 bis 1984 mindestens einmal täglich mit Genscher gesprochen und sein Nachfolger Roland Dumas habe diese Regelung beibehalten.

Trotz der engen französisch-deutschen Beziehungen kam es immer wieder zu Divergenzen zwischen den Partnern. So habe die französische Sicherheits- und Nuklearpolitik den Deutschen Sorgen bereitet, während die Franzosen die deutsche Ostpolitik misstrauisch beobachteten. Generell äußerte Cheysson Skepsis gegenüber einer Erweiterung der Europäischen Union vor allem nach Osten, die zu einem Verlust des Einflusses der ursprünglichen Länder der Gemeinschaft führen würde. "Erweiterung kann nicht alles sein", warnte er. Er sprach sich mehr für das "Zwiebelmodell" Europa aus: Deren Kern und Motor seien die deutsch-französischen Beziehungen und außen herum legten sich die anderen Länder: "Es gibt mehrere Europas", sagte Cheysson, der sich zwar für eine Harmonisierung, aber eindeutig gegen ein Uniformisierung der Europäischen Union aussprach. (neu)
   

 

Drei Fragen, Herr Minister...

STADTBLATT: Herr Minister, was kann man im Zusammenleben von Franzosen und Deutschen noch verbessern?

Cheysson: Da kann ich Ihnen nur eine etwas sentimentale Antwort geben. Ich würde mich freuen, wenn der derzeitige Bundeskanzler und der französische Staatspräsident die Beziehung zueinander hätten, die schon drei Mal bestand zwischen der politischen Spitze beider Länder. Es ist auch wichtig, dass wir uns überlegen, welche Probleme es zwischen den Partnern gibt. Darüber hinaus müssen wir Franzosen akzeptieren, dass die Deutschen eine andere Sicht der Dinge haben können und umgekehrt.

STADTBLATT:Können Sie aus Ihrer Sicht Gründe sagen, warum die Heidelbergerinnen und Heidelberger zur Europawahl gehen sollen?

Cheysson: Die Deutschen sind schon seit Beginn des Aufbaus von Europa dabei und sie haben daraus sehr viel Nutzen gezogen, haben aber auch sehr viel für Europa investiert. Ich wüsste keinen Grund, warum die Heidelberger nicht zur Wahl gehen sollten.

STADTBLATT:Sie sind gerade in Heidelberg angekommen. Haben Sie schon etwas von der Stadt gesehen?

Cheysson: Leider nicht, mein Flugzeug hatte Verspätung. Aber es gibt ein besonderes Klima, eine besondere Atmosphäre in Heidelberg, an die ich mich aus früheren Zeiten erinnere. Das habe ich wieder gefunden.
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Ideen für das Sommerloch

Neues vhs-Programm

Wer kennt das nicht: Im Frühjahr ist das Kulturprogramm übervoll und man weiß kaum, wo man zuerst hingehen soll. Und dann kommt die große Sommerpause und es ist nichts mehr los.

Gar nichts mehr? Soeben ist das Sommerprogramm der Volkshoch-
schule erschienen - mit wunderbaren Ideen zum Füllen des Sommerlochs. Wie wäre es mit einigen Grundkenntnissen in Spanisch, Griechisch, Italienisch oder Japanisch für den Urlaub? Oder mit dem Aufpolieren und Ausbauen vorhandener Kenntnisse in Englisch oder Französisch? Jugendliche lassen sich vielleicht gern zu naturwissenschaftlich-technischen Spielereien verführen oder vom Zoodirektor durch den Tiergarten führen. Kinder sind neugierig auf die Geheimnisse der Tiefburg, freuen sich auf Erlebnisse am Bärenbach oder kochen gern.

Und viele Erwachsene haben im Sommer endlich Zeit für ein Mal-Wochenende, für einen Tanz- oder Trommelworkshop, für spezielle Kochideen, für einen Kurs zum Stressabbau oder Fitnessaufbau. Außerdem ist es gar nicht wahr, dass die kleinen grauen Zellen in der wärmeren Zeit nicht so effizient arbeiten. Man kann das getrost ausprobieren im EDV-Kurs, den man immer schon mal machen wollte, oder in der Diskussion über Arbeitsmarktpolitik.

Das neue Programmheft Sommer '99 der Volkshochschule Heidelberg gibt es wie immer in den Buchhandlungen, den Bürgerämtern und natürlich in der vhs in der Bergheimer Straße 76. Oder man kann es im Internet unter www.vhs-hd.de finden und sich auch gleich online für den gewünschten Kurs anmelden.
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Qualitative Expertenbefragung zum Wirtschaftsstandort Heidelberg

Grundsätzlich attraktiv

Das EXWoSt-Forschungsvorhaben "Städte der Zukunft ó Strategien einer nachhaltigen Entwicklung" des Bundesbauministeriums, an dem die Stadt Heidelberg teilnimmt, beinhaltet auch eine qualitative Befragung von Experten aus dem Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften. Sie sollen sich zur Standort- und Beschäftigungssicherung in Heidelberg unter dem Blickwinkel einer nachhaltigen Entwicklung äußern.

Die rund einstündigen Interviews führten die Psychologen Wolfgang Plöger und Michael Kummle vom sozialwissenschaftlichen Institut sinus zwischen Dezember 1998 und März 1999 mit 40 Entscheidern aus Unternehmen und Verbänden in Heidelberg. Sie fragten zu Beginn des Gesprächs nach dem Image des Wirtschaftsstandorts Heidelberg. Der Tenor war eindeutig: "Heidelberg wird grundsätzlich als sehr attraktiver Standort mit einer positiven Zukunft beschrieben", berichteten die beiden dem Stadtentwicklungsausschuss in seiner Sitzung am 11. Mai.

Als Standortstärken gaben die Befragten die zentrale geografische Lage, die gute Verkehrsanbindung und die Wissenschafts- und Forschungskompetenz in der Stadt an. Entscheidend seien aber auch eine attraktive Stadt, schöne Landschaft und eine hohe Lebens- und Freizeitqualität. Als Standortschwächen wurden angegeben: eine restriktive Verkehrspolitik, unzureichende Gewerbeflächen, hohe Lebenshaltungkosten und Angebotsschwächen im Einzelhandel. Die Aktivitäten der Wirtschaftsförderung wurden überwiegend gelobt, Schwächen wurden vor allem dort moniert, wo die Verwaltung aufgrund von Bundes- und Landesgesetzen im Bau- und Ordnungsrecht restriktiv vorgehen muss.

Als positiv bis sehr positiv schätzten die Befragten die Perspektiven des Wirtschaftsstandorts Heidelberg ein. Verbesserungsmöglichkeiten sahen die Entscheider bei der Bereitstellung von Gewerbeflächen und der Verkehrssituation, gewünscht wurde der Bau eines Kongresszentrums und die Optimierung des Stadtmarketings. Von der Stadtverwaltung erwarten die Führungskräfte unter anderem Flexibilität und unbürokratisches Verhalten, erkennbares Interesse an ansässigen Unternehmen und intensivere Beratung. Die Kontakte mit der Stadt werden als durchaus positiv wahrgenommen. Auch dass die Stadt über Branchentreffs, runde Tische und über die HWE von sich aus das Gespräch sucht, wurde generell begrüßt.

Die Untersuchung ergab auch, dass Nachhaltigkeit in der Unternehmenspolitik überwiegend nur dann eine Rolle spielt, wenn kosten eingespart werden können. Ökologische und soziale Ziele in Unternehmen werden nur dann berücksichtigt werden, wenn sie einen Beitrag zum Unternehmensgewinn leisten. Der Begriff "Lokale Agenda" war der Mehrheit bekannt, lediglich fünf konnten inhaltlich damit was anfangen. Fazit der beiden Interviewer: "Das (in dem Begriff Nachhaltigkeit) postulierte Gleichgewicht ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte lässt sich in den unternehmerischen Zielsetzungen sowie in der Unternehmenspraxis nicht finden." Die Gewinnorientierung dominiert, die anderen Ziele werden nur teilweise oder zufällig erreicht. Um die Dreidimensionalität der Nachhaltigkeit zu erreichen, muss also noch viel getan werden.

Damit die Lokale Agenda und das Prinzip der Nachhaltigkeit bei den Führungskräften im Wirtschaftsbereich bekannter wird, empfahlen die Wissenschaftler der Stadtverwaltung, diese Themen noch stärker in persönlichen Kontakten zu kommunizieren. Der ausführliche Berichtsband ist Ende Juni beim Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Postfach 10 55 20, 69045 Heidelberg, erhältlich. (neu)

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Stand: 1. Juni 1999