Thema der Woche

Ausgabe Nr. 21 · 26. Mai 1999

"Mythos und Leben": 4. Heidelberger Literaturtage vom 2. bis 5. Juni mit namhaften Autoren

Literatur live im Spiegelzelt

Alice Schwarzer muss man nicht mehr vorstellen. Galsan Tschinag vielleicht schon. Der Schamane, Schriftsteller und Stammesfürst aus der Mongolei ist ebenso zu Gast bei den 4. Heidelberger Literaturtagen wie die Feministin und "Emma"-Chefredakteurin. Was die beiden gemein haben? Ein Motto: "Mythos und Leben". Denn bei den Literaturtagen í99 dreht sich alles um Biographien.

Literatur live, die vierte. Vom 2. bis 5. Juni treffen sich in Heidelberg wieder Literaturschaffende und - interessierte in mittlerweile schon gewohnter Kulisse: dem Jugendstil-Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz, das nicht nur Insidern als Lesezelt der Frankfurter Buchmesse bekannt ist. Hier präsentieren sich von morgens bis spät abends neben den Veranstaltern der Literaturtage - Institut Français, Kulturamt der Stadt Heidelberg, Montpellier-Haus, Stadtbücherei, Wunderhorn-Verlag sowie die Universitätsbuchhandlungen Braun und Weiss - viele andere Kulturschaffende der Stadt...und: namhafte Autorinnen und Autoren aus aller Welt.

Den Auftakt macht am Mittwoch, 2. Juni, die niederländische Autorin Margriet de Moor. Ihr Roman "Erst grau dann weiß dann blau" kletterte Mitte der 90er-Jahre ganz nach oben in den deutschen Bestseller-Listen. In Heidelberg stellt sie ihren neuesten Roman "Herzog von Ägypten", die Liebesgeschichte zwischen einer Pferdezüchterin und einem Zigeuner vor, die auch vom Leidensweg der europäischen Zigeuner in der Zeit des Nationalsozialismus erzählt.

Weiter gehtís am Donnerstag, 3. Juni, mit der südfranzösischen Autorin Marie Rouanet, die aus ihrem Roman "Quatre temps du silence" lesen wird. Großen Spaß für Kinder versprechen die Lesungen von Stefan Slupetzky am Donnerstag und Freitag. Der Wiener Kinderbuchautor präsentiert die utopische Friedensfabel "Das musikalische Nashorn" und die Liebesgeschichte "Herr Novak und die Mausfrau". In der Reihe "Erlebte Geschichte ó erzählt" unterhält sich Michael Buselmeier mit Marianne Meyer-Krahmer, der Tochter des Hitler-Widerstandskämpfers Carl Goerdeler. Die junge Schriftstellerin, Malerin und Dramaturgin Barbara Honigmann stellt in Heidelberg "Damals, dann und danach" vor, eine leise und beiläufige Erzählung von der Macht des Alltags und seinen Widersprüchen, in der die Autorin die zwei Seiten ihres Lebens erkundet: das bewegende Bild jüdischen Lebens ihrer Familie und ihren Straßburger Alltag zwischen den Kulturen. Der schweizer Romancier Urs Widmer liest aus "Vor uns die Sintflut" und "Im Kongo", der Geschichte des Altenpflegers Kuno und dessen abenteuerlicher Reise in die eigenen Abgründe.

Galsan Tschinag, gebürtiger Mongole, ehemaliger Leipziger Germanistik-Student, Schamane, Stammesfürst und charismatischer Erzähler präsentiert am Freitag, 4. Juni, seinen jüngsten Roman "Die graue Erde". Inhaltlich knüpft er darin an sein Buch "Der blaue Himmel" an, in dem er von seiner Kindheit in der mongolischen Steppe berichtet. In Heidelberg spielt Thomas Meineckes umstrittener Roman "Tomboy". Zur Lesung des Pop-Literaten werden die DJs Sad Rockets und Sugar Shock Musik im Spiegelzelt auflegen.

Eine Großstadtstory mit Musik für Kinder ab zwölf bringt der Mecklenburger Musiker und Autor Sigurd Pruetz am Samstag, 5. Juni, mit nach Heidelberg: "Cornelius oder Weil man dann etwas anderes findet". Als Ersatz für den erkrankten Serge Doubrovsky hat sich der französische Schriftsteller und Journalist Angelo Rinaldi mit seinem neuen Roman "Dernières nouvelles de la nuit" angekündigt. Bruce Chatwins ehemalige Lektorin und Nachlassverwalterin Susannah Clapp wird die Biographie "Mit Chatwin" vorstellen. Und last but not least will Verlegerin und "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer den Mythos Romy Schneider beleuchten. (eu)
     
 

4. Heidelberger Literaturtage

  Mittwoch, 2. Juni
 

20.00 Uhr

Eröffnung mit Oberbürgermeisterin Beate Weber
 

20.30 Uhr

Margriet de Moor: "Herzog von Ägypten"
  Donnerstag, 3. Juni
 

11.00 Uhr

Marie Rouanet: "Quatre temps du silence"
 

14.00 Uhr

Stefan Slupetzky: "Das musikalische Nashorn" (für Kinder ab 5)
 

16.00 Uhr

"Erlebte Geschichte ñ erzählt": Michael Buselmeier im Gespräch mit Dr. Marianne Meyer-Kramer
 

18.30 Uhr

Barbara Honigmann: "Damals, dann und danach"
 

21.00 Uhr

Urs Widmer: "Vor uns die Sintflut", "Im Kongo"
  Freitag, 4. Juni
 

15.00 Uhr

Stefan Slupetzky: "Herr Novak und die Mausfrau" (für Kinder ab 10 und Erwachsene)
 

18.00 Uhr

Galsan Tschinag ñ Schamane, Schriftsteller und Stammesfürst
 

20.00 Uhr

Thomas Meinecke: "Tomboy" & DJs Sad Rockets und Sugar Shock
  Samstag, 5. Juni
 

14.00 Uhr

Sigurd Pruetz: "Cornelius oder Weil man dann etwas anderes findet"
 

16.00 Uhr

Angelo Rinaldi: "Dernières nouvelles de la nuit"
 

18.00 Uhr

Susannah Clapp: "Mit Chatwin"
 

21. 00 Uhr

Alice Schwarzer: "Romy Schneider"
 

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Veranstaltungsort

Spiegelzelt (Universitätsplatz)
 

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Zeltöffnungszeiten

Mittwoch ab 19 Uhr;
Donnerstag ab 10 Uhr;
Freitag ab 14 Uhr;
Samstag ab 11 Uhr
 

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Vorverkauf

Weissísche Universitätsbuchhandlung, Universitätsplatz 8, Telefon 2 21 60
Universitätsbuchhandlung Braun, Sofienstraße 3,
Telefon 1 47 20
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  Eintritt
 

Kinderveranstaltungen

frei;
 

Thomas Meinecke/Alice Schwarzer

16 DM (erm. 12 DM)
 

alle anderen Lesungen

12 DM (erm. 8 DM)
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Infos

Arbeitsgemeinschaft
Heidelberger Literaturtage,
c/o Kulturamt der Stadt
Heidelberg, Bauamtsgasse 5, Telefon 58 33 00

  Zur Inhaltsangabe STADTBLATT

  Gefragt: Manfred Metzner zu den Heidelberger Literaturtagen
 

"Literaturfest mit Anspruch"

Er ist ein Mann der ersten Stunde. Der Heidelberger Verleger Manfred Metzner hat 1994 die ersten Heidelberger Literaturtage initiiert. Wieís 1999 um das Literaturfestival steht, wollte das STADTBLATT von ihm wissen...

Stadtblatt: Herr Metzner, die Literaturtage í99 treten unter dem Titel "Mythos und Leben" an. Was darf man sich konkret darunter vorstellen?

Metzner: Unsere Idee war, in diesem Jahr das Programm mit Autorinnen und Autoren zu gestalten, die einerseits durch ihre eigenen Biographien, andererseits durch die von ihnen verfassten Biographien den Spagat zwischen Mythos und Leben füllen konnten. Von Romy Schneider über den Gentleman-Reisenden Bruce Chatwin zu den jüdischen Lebenswelten von Barbara Honigmann oder dem Nomadenleben in der mongolischen Steppe von Galsan Tschinag ist es ja doch ein aufregender, spannender und weiter Weg.

Stadtblatt: Sie waren 1994 Initiator der ersten Heidelberger Literaturtage. Was hat sich seither verändert?

Metzner: Der Wunsch aller in der Arbeitsgemeinschaft Heidelberger Literaturtage zusammengeschlossener Veranstalter, die Literaturtage zu etablieren, hat sicherlich entschieden dazu beigetragen, dass in relativ kurzer Zeit ein respektables, überregional beachtetes Literaturfest entstanden ist, das seinen guten Ruf aus seinem literarischen Anspruch und aus der Mischung von national und international bekannten Autor/innen bezieht. Beim ersten Mal war das ein Experiment mit unsicherem Ausgang. Aber gerade das große Publikumsinteresse zeigte uns, dass wir den richtigen Schritt getan hatten. Und dass die wilde Mischung der Veranstalter das ihre dazu beigetragen hatte. Das Spiegelzelt als besonderer Veranstaltungsort und die damit verbundene Möglichkeit, parallel zu den Veranstaltungen, im Zelt eine Mini-Buchmesse zu präsentieren, gewährleisten eine besondere Form.

Stadtblatt: Zum zweiten Mal präsentiert sich die Veranstaltung im Frühsommer. Wirkt sich die inhaltliche Abkopplung von der Frankfurter Buchmesse im Oktober nicht nachteilig auf das Publikumsinteresse aus?

Metzner: Wir haben die Literaturtage von Oktober auf Mai/Juni verlegt, um nicht in ständiger Konkurrenz zum Filmfestival zu stehen. Auf lange Sicht erwarten wir ein gesteigertes Publikumsinteresse, da die Menschen nicht mehr zwischen Literatur und Film entscheiden müssen. Wir schöpfen ja aus einem ähnlichen Publikum.

Stadtblatt: Mal ganz persönlich gefragt: Auf welche Autorin oder welchen Autor freuen Sie sich 1999 am meisten?

Metzner: In diesem Jahr bin ich besonders auf Thomas Meinecke und die Heidelberger DJs Sad Rockets und Sugar Shock gespannt. Dieser Crossover zwischen Literatur und Musik spiegelt ja eine ganz aktuelle Entwicklung wider und ich wünsche mir, dass sich dies auch im Publikum wiederfindet. (eu)

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Stand: 25. Mai 1999