Thema der Woche

Ausgabe Nr. 20 · 17. Mai 2000



Zwischen zwei Lesungen - eine Momentaufnahme der Literaturtage 1998 von Barbara Hohenadl.

Magie der Sprache erleben

5. Heidelberger Literaturtage vom 18. bis 21. Mai im Spiegelzelt


Zum fünften Mal wird das Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz zum Treffpunkt für Literaturfreunde. In dem mobilen Salon aus dem Jahre 1908 - eben erst von einem Theaterfestival aus Neuseeland hier eingetroffen - werden prominente Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Spanien, den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz ihre Werke vorstellen.

Mit den Heidelberger Literaturtagen ist der Wunsch verbunden, nicht nur Klassiker und Bestseller zu präsentieren, sondern auch weniger bekannten aber nach Meinung der Macher ebenso bedeutenden Autoren, ein Forum zu bieten. So manchen Geheimtipp hält die Arbeitsgemeinschaft bereit, die alljährlich die Organisation übernimmt. Sie besteht aus dem Deutsch-Amerikanischen Institut, dem Institut Français, dem Montpellier-Haus, der Stadtbücherei, dem Kulturamt der Stadt, den Universitätsbuchhandlungen Braun und Weiss sowie dem Verlag "Das Wunderhorn". Die Literaturtage bieten ein dementsprechend breit gefächertes Programm.

Zum Auftakt am 18. Mai um 20.30 Uhr liest Jean-Marie G. Le Clézio aus seinem Buch "Ein Ort fernab der Welt". Le Clézio gilt in Frankreich als moderner Klassiker, dessen Magie der Sprache gepriesen wird.

Weiter geht es am Freitag, 19. Mai, um 16 Uhr mit Zoë Jenny, die nach ihrem Debüt "Das Blütenstaubzimmer" teilweise als Popstar gefeiert wurde. Die 24-jährige Autorin wird ihr neues Buch "Der Ruf des Muschelhorns" vorstellen.

Peter Kurzeck, als wunderbarer Vorleser bekannt und von den Kritikern wegen seines großen erzählerischen Talentes gelobt, liest am Freitag, 19. Mai, um 18 Uhr aus dem zweiten Teil seines neues Buches "Übers Eis", in dem er sich auf die Suche nach der eigenen Kindheit begibt.

Auf eine Phantasiereise können Kinder ab 6 Jahren am Samstag, 20 Mai, um 14 Uhr mit Martin Auer gehen. Der Schriftsteller, Schauspieler und Zauberer begeistert seine Leser und Zuhörer mit Sprachwitz, kuriosen Einfällen und Poesie. Der Eintritt bei dieser Veranstaltung ist frei.

Am selben Abend um 20 Uhr verzaubern El Houssaine Kili und Rani Krija ihre Zuhörer mit mystischen Klängen aus Marokko, afrikanischen Rhythmen sowie Elementen aus Rock, Pop und Jazz. Alle weiteren Programmpunkte sind dem Terminkalender zu entnehmen. (doh)

  Zum Seitenanfang

Staatsminister
Dr. Michael Naumann

"Eine Demokratie braucht ihre Dichter"

STADTBLATT-Interview mit Staatsminister Dr. Michael Naumann


Zur Eröffnung der 5. Heidelberger Literaturtage kommt Staatsminister Dr. Michael Naumann nach Heidelberg, Bundesbeauftragter für Angelegenheiten der Kultur und der Medien im Bundeskanzleramt. Im STADTBLATT-Interview äußert er sich über die Zukunft des Buches im Zeitalter der elektronischen Medien und über die soziale Bedeutung von Literatur für eine freiheitliche Gesellschaft.

STADTBLATT: Herr Minister Dr. Naumann, was hat Sie bewogen nach Heidelberg zur Eröffnung der 5. Heidelberger Literaturtage zu kommen?

Dr. Naumann: Ich komme gern nach Heidelberg, um gemeinsam mit Manfred Metzner, den ich seit vielen Jahren kenne und dessen verlegerische Arbeit ich schätze, die 5. Heidelberger Literaturtage zu eröffnen.

STADTBLATT: Die Förderung von Film, Musik und Museen hat bei der Bundesregierung einen hohen Stellenwert. Welche Möglichkeiten sehen Sie als ehemaliger Verleger für verstärkte Literatur- und Leseförderung?

Dr. Naumann: Die Literatur- und Leseförderung ist im Vergleich zu Musik, Theater und bildender Kunst in viel geringerem Maße an kostenträchtige Institutionen gebunden. Dichtung braucht zu ihrer "Performance" keine Darsteller, keine Instrumente, keine Hallen. Auch ist der Literaturmarkt in ungleich höherem Maße als die anderen Kulturmärkte privatwirtschaftlich organisiert, so dass für eine staatliche Förderung nur ein relativ geringer Bedarf bleibt, der zudem in erster Linie von Ländern und Kommunen zu decken ist. Damit sind der Literaturförderung des Bundes im Vergleich zur Musikförderung oder zur Förderung der bildenden Kunst enge Grenzen gesetzt. Diese loten wir aus, um trotz der Haushaltszwänge die Literaturförderung zu verbessern. Ich denke da insbesondere an das in Zusammenarbeit mit dem P.E.N.- Zentrum Deutschland ins Leben gerufene Unterstützungsprogramm "Writers in Exile", durch das sechs in Deutschland im Exil lebende Autoren frei leben und arbeiten können. Im übrigen setze ich mich für die urheberrechtlichen und steuerrechtlichen Belange des Verlagsbuchhandels ein. Der "Börsenverein" meint - "mit Erfolg".

STADTBLATT: Glauben Sie, dass die Buchpreisbindung langfristig zu halten ist?

Dr. Naumann: Ganz sicher. Die Europäische Kommission hat im Januar diesen Jahres die beiden Partner der geplanten grenzüberschreitenden Buchpreisbindung, Deutschland und Österreich, wieder auf die nationale Preisbindung verwiesen und die Zulässigkeit der bestehenden deutschen und einer gesetzlich geregelten österreichischen Buchpreisbindung anerkannt. Die Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag werden in Kürze einen Gesetzentwurf einbringen, der noch einmal klarstellt, dass die nationale Preisbindung nicht durch gezielte Reimporte von Büchern unterlaufen werden darf.
"Das gedruckte Buch und die gedruckte Zeitung verschwinden nicht.
Das Fernsehen hat das Radio auch nicht verdrängt."
Grundsätzlich wird die nationale Preisbindung in Deutschland bestehen bleiben. Sie wird auch nicht durch das Internet beeinträchtigt. Ich begrüße es, dass die Verbraucher die elektronischen Medien zum Bestellen von Büchern nutzen und dadurch z.B. viele fremdsprachige Bücher in Deutschland zum gleichen Preis wie in ihrem Ursprungsland einkaufen können.

Soweit es um deutschsprachige Bücher geht, müssen sich aber auch die Internetbetreiber an den gebundenen Ladenpreis halten, und sie tun dies auch. Abgesehen davon macht der Internet-Buchhandel am Gesamtumsatz des deutschen Buchhandels derzeit ein Volumen von 1,2 Prozent aus; und dieser Anteil wird sich auch in den kommenden Jahren nach Schätzungen der Experten nur langsam erhöhen.

STADTBLATT: Wie sehen Sie die Zukunft des Buches im Zeitalter der elektronischen Medien? Werden diese das Buch verdrängen?

Dr. Naumann: Der tiefgreifende Wandel der Kommunikationsstrukturen geht natürlich an der Verlagsbranche nicht vorbei. Verlage und der Buchhandel arbeiten ja bereits mit den elektronischen Medien. Ich bin davon überzeugt, dass viele Produkte der Verlage in Zukunft elektronisch publiziert werden. Allerdings beträgt der Anteil des elektronischen Publizierens im deutschen Buchhandel im Offline-Bereich entgegen der Prognosen, die bei 20 Prozent lagen, derzeit erst zwei bis drei Prozent.
"Große Literatur hilft uns, unser Gespür für Vernunft und Menschlichkeit zu sensibilisieren."
Es wird nach meiner Überzeugung zu einem Nebeneinander zwischen digitalen Reproduktions- und Printtechniken kommen, wobei es in verschiedenen Bereichen sicher auch Überschneidungen geben kann. Das gedruckte Buch und die gedruckte Zeitung verschwinden aber nicht, ganz im Gegenteil. Das Fernsehen hat das Radio auch nicht verdrängt.

STADTBLATT: Welche Bedeutung hat ihrer Meinung nach heute die Literatur für die Gesellschaft?

Dr. Naumann: Der Literatur kommt auch heute noch eine große soziale Bedeutung zu. Bereits ein Blick in die Geschichte zeigt uns, welchen Einfluss das geschriebene Wort hat: Diktatoren verbrennen zuerst Bücher, sperren Dichter ein und bringen Sänger zum Verstummen: Weil sie den freiheitlichen Geist fürchten, der sich im Wesentlichen aller Dichtung entfaltet - in der Phantasie und Vorstellungskraft der Autoren und ihrer Leser.

Eine Demokratie braucht ihre Dichter. Die Vielfalt ihrer Stimmen bildet eine wichtige Quelle für unsere Phantasie, für Toleranz und Innovationsfreude. Große Literatur hilft uns, unser Gespür für Vernunft und Menschlichkeit zu sensibilisieren.

Demokratie lebt aber auch von Differenz - und Bücher vermitteln ihren Lesern diese und andere Erfahrungen ganz spielerisch. Durch die Beschäftigung mit Literatur kommen wir aus unserem gewohnten Umfeld heraus, wir stellen unsere eigenen Lebensumstände in Frage, unsere Sehnsüchte werden geweckt, wir werden aber auch provoziert. Ich freue mich jedenfalls sehr auf die Begegnung mit den Dichterinnen und Dichtern, die bei den 5. Literaturtagen in Heidelberg zu Gast sein werden.

  Zum Seitenanfang
  Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



Copyright © Stadt Heidelberg 1999, All Rights Reserved
Stand: 16. Mai 2000