Kinder und Kultur

Ausgabe Nr. 19 · 7. Mai 2003

Andreas Maier

"Man kennt nur seinen eigenen Kopf..."

Andreas Maier erhält am 12. Mai den Clemens Brentano Preis 2003


Für seinen Roman "Klausen" erhält Andreas Maier den mit 10.000 Euro dotierten Clemens Brentano Preis 2003. Den Literaturförderpreis vergibt die Stadt Heidelberg alljährlich in Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Seminar der Universität.

Andreas Maier wurde 1967 in Bad Nauheim geboren. Er studierte in Frankfurt am Main und lebt heute in Brixen (Südtirol). Die Jury würdigt in ihrer Begründung die sprachliche und thematische Geschlossenheit seines Romans. Das südtiroler Städtchen Klausen wird zur Kulisse einer mysteriösen Explosion an einem Autobahn-Viadukt. Zwischen Zeitungskolportage, Hörensagen und brodelnder Gerüchteküche geht die Wahrheit über die Ereignisse verloren. In seinem Buch (2002 im Suhrkamp Verlag erschienen) entwirft Maier das Bild einer auf Mutmaßungen und Gerüchten gründenden provinziellen Gesellschaft. Inga Pokora, diesjähriges Jurymitglied, führte ein Gespräch mit dem Preisträger:

Inga Pokora: Das Erste, was mich interessieren würde, wäre, wie Sie zum Schreiben gekommen sind?

Andreas Maier: Ich kann mich nicht daran erinnern. Es gab keinen Anlass, es gab nichts, was ich irgendwem erzählen wollte. (...) Ich glaube, das Entscheidende beim Schreiben war, dass ich es irgendwann ausprobiert habe und gescheitert bin.

Inga Pokora: Gescheitert?

Maier: Weil ich großen Mist geschrieben habe. Und das dann wohl nach einer Seite wieder weggeworfen habe. So ging das dann wahrscheinlich erst mal eine ganze Zeit, anders ist es ja nicht denkbar. Also offensichtlich hat das andauernde Scheitern mich angestachelt, das irgendwann mal besser zu können...

Inga Pokora: Und wie kam es zu Ihrem Thema und Ihrem Stil? Sind die auch erarbeitet? Ihre Romane zeugen ja von einem ausgeprägten Stil.

Maier: Mit der Zeit kam das schon, aber nicht im Sinne von Vorlieben für einen gewissen Stil, ein gewisses Thema, sondern eher durch die Schwierigkeiten, die ich beim Schreiben hatte. (...) Allerdings sehe ich sie heute nicht mehr als Schwierigkeiten, sondern als etwas, was offensichtlich zu mir dazugehört, als eine Art Grundform. Ich erzähle ja weder auktorial (aus der Sicht des Autors) noch habe ich einen Ich-Erzähler zur Verfügung. (...) Und mit der Zeit musste ich einfach damit umgehen, dass das bei mir der Fall ist. Das hat dazu geführt, dass in den Romanen immer mehr Handlung durch die Reden, die die einzelnen Figuren führen, übernommen wurde. Gesprächsromane könnte man das nennen. Das war nie so angestrebt, aber es war etwas, was sich wohl notwendigerweise bei mir ergeben hat, eben aus jener Grundform heraus, die zu mir gehört. Und dann bin ich natürlich dabei geblieben.

Inga Pokora: Haben Sie vor, irgendwann einen Roman in Ich-Form zu schreiben?

Maier: Vorsätze habe ich gar keine. Inzwischen nicht mehr. Inzwischen weiß ich, dass jeder Text, den man schreibt, die Beantwortung oder Wiederaufnahme des vorherigen Textes ist, und ich verlasse mich darauf, dass sich sowieso immer irgendetwas verändert.

Inga Pokora: Bemerkenswert sind auch Ihre riesigen Figurenkataloge. Wachsen die mit der Geschichte oder sind die von irgendwoher inspiriert?

Maier: Das wird mit der Art und Weise zu tun haben, wie ich selbst die Personen in meiner Umwelt wahrnehme. In "Klausen" wird keine der Figuren im normalen romanhaften Sinn lebendig, keine wird sozusagen aus der Innenperspektive erzählt, sondern der Leser und der Betrachter bleiben immer außen vor. Ganz ähnlich, wie man bei sämtlichen Personen, denen man begegnet, immer außen vorbleibt. Man kann sich der Person annähern, zum Beispiel auch wenn man mit Dritten über die Person spricht, aber man kommt nie in den Kopf hinein. Ich kenne nur meinen eigenen Kopf, sonst gar keinen. Und die Literatur macht uns oftmals vor, dass man viel genauer in einen anderen Kopf hineingucken kann, als man es normalerweise macht. (...) Offenbar habe ich Schwierigkeiten damit, wenn die Literatur voraussetzt, dass sie etwas über ihre Figuren sagen könnte. Ich kann immer nur ganz einfache Dinge über die Figuren sagen; alles andere müssen die Figuren selbst sagen...

Inga Pokora: Wie schreiben Sie?

Maier: Eigentlich immer auf dieselbe Weise. Am Anfang muss der Titel da sein und dann eine Art Hauptfigur. Dann fange ich an, den ersten Satz zu schreiben, und dann geht das so weiter. Irgendwann beginnt sich die Geschichte aus dem heraus zu entwickeln, was ich bislang auf dem Papier habe. Die Figuren sind vorher nie geplant. Allerdings ist der Schluss des Buches, also das Ziel, am Anfang schon immer im Kopf. Ich muss wissen, wo das Buch hinführen soll. Aber ich muss beim Schreiben jede Seite des Buches neu erfinden. Ich weiß vorher nicht, was darauf stehen wird, vorher ist das Papier ja weiß. Wenn ich mir vorher ausmale, was auf dem weißen Papier stehen soll, und schreibe es dann auf, gefällt es mir anschließend natürlich überhaupt nicht. Ich muss alles tatsächlich immer im Augenblick des Schreibens erfinden. Nur dann wird es lebendig.

Inga Pokora: Gibt es schon ein neues Projekt?

Maier: Ja, aber wenn man darüber spricht, legt man sich furchtbar fest. Das kann mitunter eher hinderlich sein. Ich habe in den letzten Wochen wohl ein bisschen zu oft über den neuen Roman gesprochen. Also schweige ich lieber. Ich kann nur die Sachen sagen, die wirklich unabdingbar feststehen. Der Roman wird "Kirillov" heißen, das ist ein russischer Name, er spielt in Frankfurt, es kommen ein paar Russen vor, und es wird wohl einen Selbstmord geben.

Das vollständige Interview ist in der Broschüre zum Brentano Preis 2003 nachzulesen. Sie ist erhältlich bei der Preisverleihung und im Kulturamt, Haspelgasse 12.
   
 

Preisverleihung und Lesung

  Der Clemens Brentano Preis wird am Montag, 12. Mai, um 20 Uhr von Oberbürgermeisterin Beate Weber im Spiegelsaal des Prinz Carl, Kornmarkt 1, verliehen. Dr. Ulrich Greiner von der ZEIT wird die Laudatio auf den Preisträger halten. In der traditionell öffentlichen Lesung am Tag nach der Preisverleihung am Dienstag, 13. Mai, um 19.30 Uhr stellt Andreas Maier seinen Roman "Klausen" in der Stadtbücherei, Poststraße 15, vor. Der Eintritt ist frei.

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Stand: 6. Mai 2003