Kultur

Ausgabe Nr. 18 · 2. Mai 2002



Doron Rabinovici

Leben zwischen den Sprachen und Kulturen

Doron Rabinovici erhält am 7. Mai den Clemens Brentano Preis 2002


Für seinen Essayband "Credo und Credit" erhält Doron Rabinovici den mit 10.000 Euro dotierten Clemens Brentano Preis 2002. Den Literatur-Förderpreis vergibt die Stadt Heidelberg alljährlich in Zusammenarbeit mit dem Germanistischem Seminar der Universität. Doron Rabinovici wurde 1961 in Tel Aviv geboren und kam 1964 mit seiner Familie nach Wien. Vielseitig, wie das Studium der Medizin, Psychologie, Ethnologie und der Geschichte, ist auch sein literarisches Schaffen als Schriftsteller, Historiker, Publizist und politischer Aktivist.

In seiner Essay-Sammlung "Credo und Credit" untersucht Doron Rabinovici die Bedingungen, unter denen Juden im heutigen Mitteleuropa leben und zeichnet das komplexe Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Geschichte und Gegenwart nach. Alexandra Eberhard, Mitarbeiterin des Kulturamtes, führte ein Gespräch mit dem Preisträger.

Alexandra Eberhard: In Ihrem Essay "Die Bücher der Eltern" erzählen Sie von Ihrer literarischen Biografie als junger Leser. Gleichermaßen interessiert Ihre literarische Biografie als Autor. Wie kamen Sie zum Schreiben?

Doron Rabinovici: Ich schrieb bereits früh Gedichte, und zwar statt für die Schule zu lernen. Im Bankfach, während des Unterrichts, arbeitete ich an meinem ersten Theaterstück. Zum Leidwesen der Mitschüler, denen ich in der Pause meine neuesten Texte vorlas.

Eberhard: Sie "denken, zählen und erzählen in Deutsch", "Adoptivdeutsch" wie Sie schreiben. Ihre Muttersprache ist Hebräisch. In welcher Sprache sind Sie zu Hause?

Rabinovici: Dem Deutschen bin ich seit meiner Kindheit verschrieben und in dieser Sprache fühle ich mich zu Hause. Die ersten Wörter, die ich hörte, die ich bereits verstand, ehe ich wusste, was sie bedeuteten, waren jedoch hebräisch. Deswegen verbinde ich meine frühesten Erinnerungen und Empfindungen mit Hebräisch.

Eberhard: Sie kamen 1964 von Tel Aviv nach Wien. Ein Leben zwischen zwei Sprachen, Kulturen und Kontinenten. Wie hat das Ihren Lebensweg geprägt?

Rabinovici: Ich bin ein nationaler Doppler, ein hochprozentiges Gemisch, ein Kind der Migration. Meine Identität ist eine Melange, und das bringt mich dazu, in mir immer auch einen anderen zu erkennen. Meine Mutter stammt aus Wilna. Sie überlebte die Vernichtung. Mein Vater kommt aus Rumänien. Er erreichte auf einem Flüchtlingsschiff Palästina. Mein Bruder arbeitet als Arzt in Israel. Seine Studien und Vorträge verfasst er in Englisch, Hebräisch oder Deutsch. Ich glaube, er erzählte mir einst, er träume jeweils in der Sprache, die er kurz vor dem Einschlafen noch hörte. Meine Freundin versteht außer ihrer deutschen Muttersprache Englisch und Singhala, studiert Französisch und weiß sich gar in Lingala zu helfen. Alle mir nächsten Menschen leben zwischen den Sprachen, Kulturen und Kontinenten.

Eberhard: Wie entscheiden Sie, ob Sie eine bestimmte Thematik wissenschaftlich oder literarisch abhandeln wollen?

Rabinovici: Wenn ich nach einer eindeutigen Antwort suche, dann bietet sich die wissenschaftliche Methode eher an. Wenn es um die Ermittlung der Fragen geht, wenn es darum geht, Neues zur Sprache zu bringen, wähle ich die literarische Auseinandersetzung. In der Literatur will ich nicht aufzeigen, wie es war, sondern was wohl geschehen sein wird.

Eberhard: Sie haben bereits 1999 vor einem Österreich gewarnt, in dem mit Ressentiments und Ausgrenzung Politik gemacht wird. Wie waren die Reaktionen darauf?

Rabinovici: Die Kritik wurde von vielen als Hysterie abgetan. Manche wollten auch nicht sehen, dass ich meine Warnungen vor rassistischem Populismus nicht erst seit der Bildung der Koalition mit den Freiheitlichen äußerte, sondern bereits unter der vorherigen Regierung gegen eine Politik des Ressentiments protestierte. Leider werde ich durch die Entwicklungen bestätigt, ja in meinen Voraussagen gar übertroffen. Und wo blieb der "Demokratisierungsschub", den jene versprachen, die vor einem Jahr vom ganz normalen Regierungswechsel plauschten? Wir erleben derzeit in Österreich, und zudem in Italien, eine Aushöhlung und Entwertung der Demokratie.

Eberhard: Wie erleben Sie die Auseinandersetzung zu diesem Thema heute? Und wie erleben Sie sich selbst in dieser Auseinandersetzung?

Rabinovici: Ich beteilige mich an den hiesigen politischen Auseinandersetzungen, aber in den Augen der heimischen Mehrheit bin ich kein echter Österreicher und werde es nie sein. Als Citoyen und Individuum habe ich mich jedoch zu entscheiden, ob ich gegen die Politik des Ressentiments auftrete oder nicht. Antirassismus wird nicht genetisch vererbt, wie etwa Sommersprossen. Was bedeutet es, dass einer, der Flüchtlingen hilft, der Enkel eines Kriegsverbrechers ist? Wesentlicher ist, ob sich jemand für Opfer von Diskriminierung einsetzt oder gegen sie, und das ist eine Frage, die jeder für sich alleine bloß klären kann.




Das vollständige Interview ist in der Broschüre zum Brentano Preis 2002 nachzulesen. Sie ist erhältlich bei der Preisverleihung sowie im Kulturamt, Haspelgasse 12.
   
 

Preisverleihung und Lesung

  Der Clemens Brentano Preis wird am Dienstag, 7. Mai, um 20 Uhr von Oberbürgermeisterin Beate Weber im Spiegelsaal des Prinz Carl, Kornmarkt 1, verliehen. In der traditionell öffentlichen Lesung am Tag nach der Preisverleihung Mittwoch, 8. Mai um 19.30 Uhr, stellt Doron Rabinovici sein prämiertes Buch in der Stadtbücherei vor. Der Eintritt ist frei.

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Stand: 30. April 2002