Kultur

Ausgabe Nr. 14 · 3. April 2002



Eine Aufnahme von Christa Mayer aus dem Jahre 1986

Momente der Irritation

"Ins Gesicht sehen" - eine Fotoausstellung im Museum Sammlung Prinzhorn


Die zweite Ausstellung des neuen Museums in der Voßstraße 2 stellt zwei konträre fotografische Sichtweisen auf Patientinnen von psychiatrischen Einrichtungen gegenüber. Anonyme Fotografien aus der Anstalt Weilmünster aus der Zeit von 1905 bis 1914 begegnen fotografischen Porträts von Langzeitpatient/innen, die Christa Mayer ab 1982 aufgenommen hat.

Dem rein wissenschaftlichen, auf Diagnose fixierten Blick zu Beginn des vorigen Jahrhunderts steht in der Ausstellung eine künstlerische Position der Gegenwart gegenüber. Die Psychologin Christa Mayer hat in den 80er und 90er Jahren mit teilnehmendem Blick Patientinnen einer Berliner Psychiatrischen Klinik porträtiert, in der sie selbst tätig ist.

Im Vergleich der Aufnahmen zeigt sich die gewandelte Sicht auf psychische Erkrankungen. Während die älteren Fotografien zur Systematisierung und Katalogisierung von Krankheitsbildern für die Fortbildung des Klinikpersonals aufgenommen wurden - zum Teil mit Gewalt und gegen den Willen der Patienten - sieht Christa Mayer ihrem jeweiligen Gegenüber aufgeschlossen ins Gesicht. War es vor 100 Jahren das Ziel, den Geistes- und Gemütszustand der Abgelichteten in ihrer äußeren Erscheinung festzuhalten, so dominiert bei Mayer nicht das Absonderliche oder Krankhafte. Vielmehr wecken ihre Lichtbilder Interesse an der spezifischen Wirklichkeitserfahrung der abgebildeten Personen und provozieren beim Betrachter Vergleiche mit der eigenen Weltsicht. "Die Ausstellung will der Frage nachgehen, welches Bild wir von psychisch kranken Menschen haben", erläuterte Dr. Bettina Brand-Claussen, Kustodin der Sammlung Prinzhorn, bei der Ausstellungseröffnung. Deshalb sei auch der doppeldeutige Titel "Ins Gesicht sehen" gewählt worden, der einerseits die Suche der Betrachter im Gesicht der Abgebildeten nach Auffälligkeiten und Anzeichen einer psychischen Erkrankung meint, andererseits mit den eigenen Vorstellungen konfrontiert. Trotzdem wird es für manche/n Besucher/in Momente der Irritation und der Verunsicherung geben. Das ist durchaus im Sinne der Ausstellungsmacher. (doh)
   
  Die Ausstellung "Ins Gesicht sehen" wird bis zum 2. Juni im Museum Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, gezeigt: dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr und mittwochs bis 20 Uhr. Führungen durch die Ausstellung werden jeden Mittwoch um 18 Uhr und Sonntag und 14 Uhr angeboten.

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Stand: 2. April 2002