Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach zur Zukunft Heidelbergs als Biotechnologie-Cluster
Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach, Chef der Firma Lion Bioscience AG, hat beim
Abschied aus dem Gemeinderat in einer Rede wichtige Aspekte der Zukunft Heidelbergs
als Biotechnologie-Cluster beleuchtet (ein Cluster ist eine thematisch ausgerichtete
Ansammlung von wissenschaftlichen Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen auf engem
Raum mit hoher Anziehungskraft auf Dritte). Hier die Rede in gekürzter Fassung:
Standort- und Bildungspolitik, öffentliche Förderung, Hochschulwesen, Steuerpolitik,
Unternehmensrecht, öffentliches Bewusstsein, intellektuelle Führerschaft
und Sachlichkeit der Diskussion liegen meist nicht im Verantwortungsbereich der Gemeinden.
Einige Punkte aber doch: die Standort- und die Infrastrukturpolitik. Und da begeht
man in Deutschland nach wie vor Fehler.
Eine Studie der Boston Consulting Group ("Positionierung deutscher Biotechnologie-Cluster
im internationalen Vergleich") nennt die Versäumnisse am Standort Deutschland.
Lassen Sie mich deren Kernaussagen zusammenfassen und auf die Heidelberger Situation
projizieren:
- Die Biotechnologie wird sich weiter global entwickeln und sich als Schlüsseltechnologie
und Motor für zahlreiche Anwendungsbranchen etablieren.
- Keimzellen für Forschung, Entwicklung und Anwendung von Biotechnologien
sind die Biotechnologie-Cluster.
- Langfristig werden nur solche Cluster überleben, die eine kritische Größe
innerhalb ihrer Themenkreise erreichen.
- Weltweit führen die Bay Area und Boston in den USA mit großem Abstand
vor den Clustern in Großbritannien und diese vor Deutschland.
- Die wettbewerbsfähige Etablierung eines Biotechnologie-Clusters benötigt
verschiedene Voraussetzungen:
- Errichtung und gezielte Förderung kompakter Wissenszentren. Hierzu gehören
Standortattraktivität und Interdisziplinarität.
- Know-how-Transfer von der Wissenschaft zur Wirtschaft.
- Bereitstellung von Wagniskapital für Entwicklung und Vermarktung der Forschungsergebnisse.
- Bereitstellung der Infrastruktur wie Nutzflächen, Verkehrsanbindung, Kultur-,
Freizeit- und Dienstleistungsangebote in Nähe der Arbeitsplätze.
- Hoch qualifizierte, unternehmerisch orientierte, akademische und nichtakademische
Arbeitskräfte in ausreichender Zahl.
Die Marktbewertung oder Marktkapitalisierung, ist ein Indikator für den Erfolg
eines Clusters. In München gibt es derzeit vier börsennotierte Unternehmen
mit einem kumulierten Marktwert von ca. 2 Mrd. Dollar. Im Rheinland sind es drei
Unternehmen, in Berlin und im Rhein-Neckar-Raum jeweils nur eins. Dagegen hat die
Bay Area 41 Unternehmen mit einem Marktwert von ca. 100 Mrd. Dollar und Boston 38
Unternehmen mit ca. 60 Mrd. Dollar.
Wesentlich für den Erfolg amerikanischer Cluster sind intensive Forschung, Interdisziplinarität
und Kompetitivität an Hochschulen und Instituten. In der Region Boston beschäftigen
sich ca. 1.200 Arbeitsgruppen mit biotechnologischen Themen. In deutschen Bioregionen
forschen daran durchschnittlich 300 bis 400 Gruppen.
Heidelberg ist nicht untätig. Aber Maßstab kann nicht Baden-Württemberg
oder Deutschland, sondern nur die Spitze sein: die amerikanischen Cluster. Aus meiner
Sicht könnte einiges sofort verbessert werden:
- Heidelberg hat im biomedizinischen Bereich die Voraussetzungen, ein international
führender Cluster zu sein. Hinderlich ist die Entfernung zu den Betriebswissenschaften
(Mannheim) und den Informationswissenschaften (Mannheim, Karlsruhe). Die Intensivierung
naturwissenschaftlicher Informationswissenschaften am Ort könnte dem teilweise
abhelfen, ebenso ein Hochgeschwindigkeitstransportmittel zur schnellen Überwindung
der räumlichen Distanz.
- Stärker als bisher müssen Nutz- und Freizeitflächen für die
Förderung des hiesigen Clusters benannt und erschlossen werden. Das Neuenheimer
Feld bietet sich an; andere Standorte im Raum Heidelberg sind möglich, sofern
Bereitschaft zur Errichtung der notwendigen Infrastruktur besteht.
- Die Technologiepark GmbH muss auf eine breitere Plattform gestellt werden. Das
betrifft die verfügbaren Ressourcen (Mitarbeiter, Geld) und die Struktur der
GmbH.
- Statt mühselig Fördergelder für die Teilfinanzierung der Cluster-Infrastruktur
zu gewinnen, sollte versucht werden, die Mittel in eine Fonds ähnliche Struktur
zu überführen, um sie durch die Technologiepark GmbH schnell und bedarfsgerecht
einzusetzen.
- Stadt und Region sollen klare Ziele der infrastrukturellen Maßnahmen zur
Stärkung des Clusters kommunizieren und deren Auswirkung auf die internationale
Wettbewerbsfähigkeit verdeutlichen.
- Inhalte und Ziele der Biotechnologie sowie die Rolle des Clusters Heidelberg müssen
den Bürgern erläutert werden. Sachliche Diskussionen sind nur durch Erklären,
Lernen, Verstehen zu erreichen. Ein guter Ansatz ist die vom Technologiepark unterstützte
Life-Science-Lab-Initiative.
- Schaffung einer Expertenrunde aus Wissenschaftlern, Juristen, Betriebswirten, Mitarbeitern,
Studenten und Politikern, die internationale Trends frühzeitig erkennt. Die
Runde sollte Szenarien und Empfehlungen für den Standort Heidelberg entwickeln,
die der Gemeinderat berät und beschließt.
Als Unternehmer im Bereich der Biotechnologie glaube ich, diese Punkte gesellschaftlich
und politisch bewusst machen zu müssen.
Weil es mir, wie Ihnen allen, um die Zukunft des Standortes Heidelberg geht - hier
lebe ich, hier arbeite ich, und beides gerne - möchte ich auch in Zukunft zur
Verfügung stehen, um der Stadt zu helfen, ihre Position zu definieren und ihre
Ziele umzusetzen.
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