Arbeit und Wirtschaft

Ausgabe Nr. 7 · 28. Februar 2001

Engagierter Unternehmer
im Biotechnologie-
Bereich: Dr. Friedrich
von Bohlen und Halbach

Maßstab kann nur die Spitze sein

Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach zur Zukunft Heidelbergs als Biotechnologie-Cluster


Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach, Chef der Firma Lion Bioscience AG, hat beim Abschied aus dem Gemeinderat in einer Rede wichtige Aspekte der Zukunft Heidelbergs als Biotechnologie-Cluster beleuchtet (ein Cluster ist eine thematisch ausgerichtete Ansammlung von wissenschaftlichen Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen auf engem Raum mit hoher Anziehungskraft auf Dritte). Hier die Rede in gekürzter Fassung:

Standort- und Bildungspolitik, öffentliche Förderung, Hochschulwesen, Steuerpolitik, Unternehmensrecht, öffentliches Bewusstsein, intellektuelle Führerschaft und Sachlichkeit der Diskussion liegen meist nicht im Verantwortungsbereich der Gemeinden. Einige Punkte aber doch: die Standort- und die Infrastrukturpolitik. Und da begeht man in Deutschland nach wie vor Fehler.

Eine Studie der Boston Consulting Group ("Positionierung deutscher Biotechnologie-Cluster im internationalen Vergleich") nennt die Versäumnisse am Standort Deutschland.

Lassen Sie mich deren Kernaussagen zusammenfassen und auf die Heidelberger Situation projizieren:

  1. Die Biotechnologie wird sich weiter global entwickeln und sich als Schlüsseltechnologie und Motor für zahlreiche Anwendungsbranchen etablieren.

  2. Keimzellen für Forschung, Entwicklung und Anwendung von Biotechnologien sind die Biotechnologie-Cluster.

  3. Langfristig werden nur solche Cluster überleben, die eine kritische Größe innerhalb ihrer Themenkreise erreichen.

  4. Weltweit führen die Bay Area und Boston in den USA mit großem Abstand vor den Clustern in Großbritannien und diese vor Deutschland.

  5. Die wettbewerbsfähige Etablierung eines Biotechnologie-Clusters benötigt verschiedene Voraussetzungen:
  • Errichtung und gezielte Förderung kompakter Wissenszentren. Hierzu gehören Standortattraktivität und Interdisziplinarität.

  • Know-how-Transfer von der Wissenschaft zur Wirtschaft.

  • Bereitstellung von Wagniskapital für Entwicklung und Vermarktung der Forschungsergebnisse.

  • Bereitstellung der Infrastruktur wie Nutzflächen, Verkehrsanbindung, Kultur-, Freizeit- und Dienstleistungsangebote in Nähe der Arbeitsplätze.

  • Hoch qualifizierte, unternehmerisch orientierte, akademische und nichtakademische Arbeitskräfte in ausreichender Zahl.


Die Marktbewertung oder Marktkapitalisierung, ist ein Indikator für den Erfolg eines Clusters. In München gibt es derzeit vier börsennotierte Unternehmen mit einem kumulierten Marktwert von ca. 2 Mrd. Dollar. Im Rheinland sind es drei Unternehmen, in Berlin und im Rhein-Neckar-Raum jeweils nur eins. Dagegen hat die Bay Area 41 Unternehmen mit einem Marktwert von ca. 100 Mrd. Dollar und Boston 38 Unternehmen mit ca. 60 Mrd. Dollar.

Wesentlich für den Erfolg amerikanischer Cluster sind intensive Forschung, Interdisziplinarität und Kompetitivität an Hochschulen und Instituten. In der Region Boston beschäftigen sich ca. 1.200 Arbeitsgruppen mit biotechnologischen Themen. In deutschen Bioregionen forschen daran durchschnittlich 300 bis 400 Gruppen.

Heidelberg ist nicht untätig. Aber Maßstab kann nicht Baden-Württemberg oder Deutschland, sondern nur die Spitze sein: die amerikanischen Cluster. Aus meiner Sicht könnte einiges sofort verbessert werden:

- Heidelberg hat im biomedizinischen Bereich die Voraussetzungen, ein international führender Cluster zu sein. Hinderlich ist die Entfernung zu den Betriebswissenschaften (Mannheim) und den Informationswissenschaften (Mannheim, Karlsruhe). Die Intensivierung naturwissenschaftlicher Informationswissenschaften am Ort könnte dem teilweise abhelfen, ebenso ein Hochgeschwindigkeitstransportmittel zur schnellen Überwindung der räumlichen Distanz.

- Stärker als bisher müssen Nutz- und Freizeitflächen für die Förderung des hiesigen Clusters benannt und erschlossen werden. Das Neuenheimer Feld bietet sich an; andere Standorte im Raum Heidelberg sind möglich, sofern Bereitschaft zur Errichtung der notwendigen Infrastruktur besteht.

- Die Technologiepark GmbH muss auf eine breitere Plattform gestellt werden. Das betrifft die verfügbaren Ressourcen (Mitarbeiter, Geld) und die Struktur der GmbH.

- Statt mühselig Fördergelder für die Teilfinanzierung der Cluster-Infrastruktur zu gewinnen, sollte versucht werden, die Mittel in eine Fonds ähnliche Struktur zu überführen, um sie durch die Technologiepark GmbH schnell und bedarfsgerecht einzusetzen.

- Stadt und Region sollen klare Ziele der infrastrukturellen Maßnahmen zur Stärkung des Clusters kommunizieren und deren Auswirkung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit verdeutlichen.

- Inhalte und Ziele der Biotechnologie sowie die Rolle des Clusters Heidelberg müssen den Bürgern erläutert werden. Sachliche Diskussionen sind nur durch Erklären, Lernen, Verstehen zu erreichen. Ein guter Ansatz ist die vom Technologiepark unterstützte Life-Science-Lab-Initiative.

- Schaffung einer Expertenrunde aus Wissenschaftlern, Juristen, Betriebswirten, Mitarbeitern, Studenten und Politikern, die internationale Trends frühzeitig erkennt. Die Runde sollte Szenarien und Empfehlungen für den Standort Heidelberg entwickeln, die der Gemeinderat berät und beschließt.

Als Unternehmer im Bereich der Biotechnologie glaube ich, diese Punkte gesellschaftlich und politisch bewusst machen zu müssen.

Weil es mir, wie Ihnen allen, um die Zukunft des Standortes Heidelberg geht - hier lebe ich, hier arbeite ich, und beides gerne - möchte ich auch in Zukunft zur Verfügung stehen, um der Stadt zu helfen, ihre Position zu definieren und ihre Ziele umzusetzen.


  Zum Seitenanfang
Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



Copyright © Stadt Heidelberg 1999, All Rights Reserved
Stand: 27. Februar 2001