Kultur

Ausgabe Nr. 9 · 1. März 2000



"Cosima reitet auf Nietzsche und Wagner", choreographische Skizze von Johann Kresnik für seine Inszenierung von "Nietzsche" im Jahr 1994 in Bremen.

Blut ist der rote Faden

Heidelberger Kunstverein zeigt Zeichnungen von Johann Kresnik

Durch ein Meer von ramponiertem Feldgeschirr aus dem 2. Weltkrieg müssen die Besucher waten, wenn sie die choreographischen Zeichnungen und Skizzen von Johann Kresnik sehen wollen, die der Heidelberger Kunstverein derzeit ausstellt. Und es wird ihnen nicht gelingen, sich lautlos durch die Räume zu bewegen. Immer wieder löst ein unbedachter Schritt ohrenbetäubenden Lärm aus.


Nicht schönes und erbauliches Theater will Kresnik bieten, sondern aufrütteln und zu politischem Denken aufrufen", mit diesen Worten eröffnete Hans Gercke, Direktor des Kunstvereins, die Ausstellung. Dass von dem eigenwilligen Regisseur und Choreographen ein bemerkenswertes zeichnerisches Werk existiert, war bis vor kurzem völlig unbekannt. Den eigenständigen Wert seiner zahllosen Skizzen, die er seit den 70-er Jahren zu fast allen Stücken anfertigte, erkannte die Bremer Kunsthistorikerin Dr. Ulrike Lehmann. Sie sichtete die Zeichnungen und macht sie zum 60. Geburtstag Kresniks an den wichtigsten Stationen seines Schaffens für die Öffentlichkeit zugänglich.

"In seiner Arbeit geht Kresnik stark von Bildvorstellungen und der Kraft der Bildwirkung aus", erläutert die Kunsthistorikerin. Die Zeichnungen entstehen vor und während der Proben. Sie sind zu verstehen als gezeichnete Ideen, die ihm als Arbeitsmaterial dienen. Es sind Bilder, die verstören, die Einblicke in soziale und psychische Strukturen gewähren.

Als "Demokraten, Pazifisten und Kommunisten" bezeichnete sich der Künstler selbst bei der Ausstellungseröffnung und erklärte, dass er zum Nachdenken über Gewalt- und Umweltfragen in Europa anregen wolle. Das Blut sei ein roter Faden in seiner Arbeit. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Österreich und Deutschland rief der gebürtige Kärntner Kollegen wie Elfriede Jelinek dazu auf, nicht auszuwandern, sondern Widerstand zu leisten: "Theater muss wieder politischer werden."

Von 1979 bis 1989 war Kresnik in Heidelberg Leiter des Tanztheaters. Seine Inszenierungen von "Familiendialog", "Hamletmaschine", "Arturo Ui", "Mörder Woyzeck", "Macbeth", "Oedipus", "Germania Tod in Berlin" und "König Ubu" lösten heftige Diskussionen aus.

Bewusst überschreitet er die Schwelle des guten Geschmacks, um aufzurütteln und das wohl geordnete Weltbild zu erschüttern. Er problematisiert den sorglosen Umgang mit Macht und mit Geschichte. Brachial und überbordend zeigt er Gewalt, um vor Gewalt zu warnen. Kresnik fasziniert und schockiert sein Publikum gleichermaßen und bringt seine Tänzer an die Grenzen des Machbaren.

In Kärnten, Köln, Bremen, Heidelberg und Berlin, den wichtigsten Stationen in Kresniks tänzerischer und choreographischer Arbeit, werden die Skizzen und Zeichnungen gezeigt. Bevor die Ausstellung weiter nach Berlin geht, ist sie noch bis zum 19. März in Heidelberg zu sehen. Der Kunstverein ist dienstags bis sonntags geöffnet von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 11 bis 20 Uhr. Führungen durch die Ausstellung werden am Sonntag, 5. und 12. März um 11 Uhr angeboten. (doh)

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Stand: 29. Februar 2000