Kultur

Ausgabe Nr. 8 · 23. Februar 2000



Günter Grass und Oberbürgermeisterin Beate Weber bei ihrem Besuch in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. (Foto: Pfeifer)

Günter Grass und unser Jahrhundert

Lesung von Günter Grass in der Stadthalle und Besuch in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte

In der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte traf Grass mit Oberbürgermeisterin Beate Weber zusammen, die ihn aufs herzlichste in Heidelberg willkommen hieß. Wie schon am Vorabend bei seiner Lesung in der Stadthalle wurde der Nobelpreisträger umlagert von Journalisten, Verehrerinnen und Verehrern. "Sie sehen, dass Heidelberg sich auf Sie und über Sie freut", kommentierte die Oberbürgermeisterin den Ansturm.


Sie würdigte den Schriftsteller und die "unnachahmliche Weise, mit der er aus seinem vielstimmigen Buch" vorgetragen habe. Grass hatte am Abend zuvor die Zuhörer in seinen Bann gezogen, indem er Mundart und Tonfall der Protagonisten seiner Geschichten so lebendig und überzeugend traf, dass man sie nicht nur förmlich vor Augen hatte, sondern mit ihnen fühlte und schmunzelte und auch seine eigene Geschichte entdecken konnte.

Die verschiedenen Menschen, die Grass in "Mein Jahrhundert" zu Wort kommen lässt, sind Männer und Frauen aus allen Schichten, alte und junge, linke und rechte, konservative und fortschrittliche. "Das Buch enthält Geschichten von Menschen, die nicht Geschichte gemacht haben, sondern denen Geschichte widerfahren ist, die sie zu Tätern, Opfern und Mitläufern gemacht hat", erläuterte der Autor sein jüngstes Werk.

Die Lesung von Günter Grass war ursprünglich im Rahmen der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Jubiläum der Büchergilde Gutenberg geplant, zeitgleich mit der Eröffnung der Ausstellung seiner Aquarelle zu dem Buch "Mein Jahrhundert" in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. Die Literatur-Nobelpreisverleihung im Jahr 1999 kam dazwischen.

Bevor Beate Weber und Günter Grass einen gemeinsamen Rundgang durch die Dauerausstellung der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte unternahmen, nutzte die Oberbürgermeisterin ebenso wie zahlreiche Gäste die Gelegenheit, sich ihr Exemplar von "Mein Jahrhundert" vom Autor signieren zu lassen.

Die Aquarelle von Günter Grass sind noch bis zum 27. Februar in den Räumen der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, täglich außer montags, von 11 bis 17 Uhr zu sehen. (doh)

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Rechtsanwalt Dr. Jobst
Wellensiek bei "Erlebte
Geschichte - erzählt"
(Foto: Rothe)

Der Traum vom Torwandschießen

Rechtsanwalt Dr. Jobst Wellensiek bei "Erlebte Geschichte - erzählt"

Jobst Wellensiek - der Mann, "der immer dann, wenn ein Unternehmen ganz tief in den Sand gesetzt worden ist, schauen muss, was davon noch zu retten ist". Mit diesen Worte stellte Kulturamtsleiter Hans-Martin Mumm als Gastgeber der Veranstaltungsreihe "Erlebte Geschichte - erzählt" den Gesprächspartner von Michael Buselmeier vor.


Wellensiek, bundesweit bekannt geworden als Retter in der Not bei Mega-Pleiten, war der erste Jurist in bisher dreißig Veranstaltungen und "der erste Sportmensch", wie Buselmeier betonte. Geboren 1931 als Sohn eines Zigarrenfabrikanten (nicht "Zigarettenfabrikanten", wie in der Einladung stand, eine Korrektur, auf die Wellensiek Wert legt) ist er Heidelberg fast immer treu geblieben. Die ursprünglich aus Bünde in Westfalen stammende Familie bezog, als die Firma nach Speyer verlegt wurde, ein Haus in der Scheffelstraße, "zwischen Alter Brücke und Stauwehr, im schönsten Gebiet Heidelbergs".

Wellensiek besuchte die Mönchhofschule ("zu den feinen Kindern" statt in die "Sandgassenschule" schickte ihn die Mutter), anschließend das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium und begann 1952 mit dem Jurastudium. 1960 übernahm er die Anwaltskanzlei seines Stiefvaters Eugen Moufang (einer der legendären vier Moufang-Brüder). Jura fand Wellensiek zunächst "todlangweilig": "Während des Studiums habe ich sehr viel Tennis gespielt, das stand im Vordergrund. Die Juristerei hat mir ab dem Zeitpunkt Spaß gemacht, als die Praxis begann."

Das erste Insolvenzverfahren, so Wellensiek, "bekam ich aufgeschwatzt". Insolvenzverfahren "hat man damals nicht gemacht, da war man sich zu schade". 1967, mit 35 Jahren, "war das der Durchbruch, da hat sich der Umsatz in einem Jahr verdreifacht". Mehr als 350 mal war er seither als Liquidator und Konkursverwalter im Einsatz (Neff, Klöckner, Bremer Vulkan ...). Sein schönster Fall war 1987 die Rettung des Oberpfälzer Stahlwerks Maxhütte. Das Geheimnis des Erfolgs: "Diese Mischung aus Geschäftsführer auf Zeit und Anwalt liegt mir - Geduld haben, auf die Leute zugehen, wissen, wie Sie mit einem Direktor, einem Arbeiter umgehen müssen."

Ein Lebensmittelpunkt Wellensieks ist der 1890 gegründete Heidelberger Tennis-Club (HTC), dem er seit 1946 als Spieler und Funktionär angehört. Unter seiner Ägide wurde die Damenmannschaft, zeitweise mit Steffi Graf und Anke Huber, zehnmal Deutscher Meister und neunmal Vizemeister.

Daneben gehört seine Liebe dem Fußball. Seinem Wunschtraum - einmal Torwandschießen im "Aktuellen Sportstudio" - wähnte er sich bereits ganz nahe, erzählt er. Die Sekretärin habe ihm mitgeteilt, das "Sportstudio" hätte angerufen, aber sie habe abgesagt: "Sie haben doch einen Termin in Budapest." Wellensiek: "Ich bin ausgeflippt." Ein sanfter Hinweis aufs Datum klärt alles auf: "Der härteste Aprilscherz meines Lebens." (rie)

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Stand: 22. Februar 2000