Thema der Woche

Ausgabe Nr. 7 · 14. Februar 2001



Enthüllung der Gedenktafel für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in der Wandelhalle des Gerichts durch den Vorsitzenden des Anwaltsvereins, Rechtsanwalt Dr. Jobst Wellensiek (l.), und den Präsidenten des Landgerichts, Dr. Hans-Gerd von Dücker. (Foto: Rothe)





Rechtsanwalt Dr. Michel Friedman, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Bundestagsabgeordneter, bei seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Anwalt ohne Recht" (Foto: Rothe)





Die am 29. Januar 2001 im Landgericht Heidelberg enthüllte Gedenktafel trägt obigen Wortlaut.

Ausgrenzung, Vertreibung und Mord

Landgericht zeigt Ausstellung "Anwalt ohne Recht - Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933" - Gedenktafel enthüllt


Anfang 1933 gab es in Deutschland nahezu 20.000 Rechtsanwälte. Rund ein Fünftel von ihnen galt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als jüdisch. In vielen Städten Deutschlands wurden im März 1933 Gerichtsgebäude von SA-Trupps gestürmt. Anwälte, die als Juden galten, waren fortan von Diskriminierung betroffen. Sie wurden gezwungen, den Beruf aufzugeben, mussten fliehen, viele von ihnen verloren das Leben.

Einem großen Teil der als jüdisch geltenden Rechtanwälte wurde bereits 1933 die Zulassung entzogen. Mit Ausnahmeregelungen durften die Übrigen noch weiterarbeiten, doch zumeist entzog man ihnen das Notariat. Im November 1938 erließ das Hitler-Regime ein allgemeines Berufsverbot. Vielen jüdischen Anwälten gelang die Flucht ins Ausland, aber eine erhebliche Anzahl blieb in Deutschland, wo sie - schrittweise immer weiter entrechtet - ab 1941 der Tötungsmaschinerie ausgeliefert wurden.

Eine sehr beachtenswerte Wanderausstellung zu diesem Thema ist zurzeit im Heidelberger Landgericht zu sehen. Die Ausstellung, die der Deutsche Juristentag und die Bundesrechtsanwaltskammer unter Mitwirkung des Anwaltsvereins Heidelberg und des Richtervereins Heidelberg veranstalten, zeigt auf zwanzig Tafeln, ergänzt um zahlreiche Originalexponate, das Schicksal von Anwälten jüdischen Glaubens. Die Ausstellung macht den Verlust, den Ausgrenzung, Vertreibung und Mord durch die Nationalsozialisten bewirkt haben, beklemmend deutlich.

An die in Heidelberg von nationalsozialistischer Verfolgung betroffenen Richter und Anwälte erinnert eine Tafel in der Wandelhalle des Gerichtsgebäudes, die im Rahmen der Ausstellungseröffnung am 29. Januar in Gegenwart des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Rechtsanwalt Dr. Michel Friedman, feierlich enthüllt wurde.

"Nach wie vor ist die Verdrängung stärker als die Aufarbeitung", betonte Friedman, der dem Gericht für die Anbringung der Gedenktafel seine Anerkennung aussprach, nicht ohne daran zu erinnern, dass so etwas "nach wie vor die Ausnahme" ist. Denn eine "Stunde Null" habe es in der Justiz nicht gegeben, Nazi-Juristen seien "problemlos über Nacht" wieder Richter und Staatsanwälte geworden. Der Umgang mit der eigenen Vergangenheit sei jahrzehntelang von "Verdecken und Verstecken" gekennzeichnet gewesen.

Auf den gegenwärtigen Rechtsradikalismus und die Ausländerfeindlichkeit bezogen sieht Friedman einen Mangel an Ernsthaftigkeit in der Bekämpfung: "So entstand der Eindruck, dass es sich um Jugendsünden oder Kavaliersdelikte handelt, wenn man Ausländer auf der Straße schlägt." Friedman hält nicht nur den "Aufstand der Anständigen" für geboten, sondern ebenso den "Aufstand der Zuständigen".

Dr. Jobst Wellensiek, 1. Vorsitzender des Anwaltsvereins Heidelberg und Präsident der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe, erinnerte daran, dass seit den siebziger und achtziger Jahren in Heidelberg Gemeinderat und Stadtspitze bestrebt sind, "die Schatten und Schrecknisse der Nazizeit aufzuarbeiten". Wellensiek zeichnete Lebenswege verfolgter Heidelberger nach. "Ja, wir haben moralisch gefehlt, auch in Heidelberg", so Wellensieks Bekenntnis.

"Aus dieser Situation gibt es genau nur zwei bescheidene Auswege, die Anerkennung der Schuld und den Versuch der Wiedergutmachung." Mit der Ausstellung und der Gedenktafel wolle die Anwaltschaft "einen Beitrag dazu leisten, dass der Kategorische Imperativ, den Adorno 1966 in seiner Rede "Erziehung nach Auschwitz" setzte, "dass Auschwitz sich nicht wiederhole" in Zukunft gesellschaftliches und individuelles Handeln leiten soll", so Wellensiek.

Dr. Hans-Gerd von Dücker, Präsident des Landgerichts Heidelberg, in dessen Räumen die Ausstellung gezeigt wird, sprach von einem "dies ater", einem Tag der Trauer, der Betroffenheit und des Gedenkens, einem Tag der Scham und der Mahnung. Stellvertretend für viele erinnerte er an das Schicksal von Landgerichtsdirektor Jakob Geißmar, der 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde. Von München, wo das Ehepaar Geißmar nach der Pensionierung lebte, wurden sie in das Konzentrationslager Theresienstadt transportiert. Jakob Geißmar starb dort 1944, seine Frau wurde in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. (rie)
   
 

Die Wanderausstellung

  "Anwalt ohne Recht - Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933" im Landgericht ist bis zum 8. März montags bis freitags von 8 bis 16.30 geöffnet. Für Schulklassen werden Führungen angeboten. Informationen unter der Telefonnummer 59-1271 (Frau Jäger) und 59-1321 (Frau Kaufmann-Granda).

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"Diabolisches Vorgehen"

Auszüge aus der Rede von Rechtsanwalt Dr. Jobst Wellensiek


"Exemplarisch für viele Kolleginnen und Kollegen erinnere ich hier an das Schicksal von Herrn Rechtsanwalt Dr. Hermann Müller, das das diabolische Vorgehen in dieser Zeit eindrücklich aufzeigt.

Hermann Müller wurde 1893 im badischen Müllheim geboren, studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg und Würzburg, leistete Kriegsdienst von 1914 bis 1918, wofür er mit fünf Kriegsauszeichnungen dekoriert wurde, wurde 1924 zum Regierungsrat ernannt und war bei der Heidelberger Polizeidirektion beschäftigt. 1927 verließ Müller auf eigenen Wunsch den Staatsdienst und ließ sich in Heidelberg als Rechtsanwalt nieder. Er war Vorstandsmitglied der Heidelberger Gemeinde und zeitweise stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde.

Was sich in jener Zeit abspielte, kann niemand besser berichten, als Dr. Hermann Müller selbst. "In der Frühe des 10. November 1938, etwa um sechs Uhr morgens, wurde ich [...] benachrichtigt, dass die Synagoge brenne. [...] Als ich zum Brandplatz kam, stand die Synagoge in Flammen. Gegen acht Uhr kehrte ich nach Hause zurück. [...] Kaum in meinem Büro angelangt, erschien ein SA-Kommando mit Beilen und im Griff feststehenden Messern bewaffnet und begann mit der Demolierung der Einrichtung. [...] Noch am Abend des gleichen Tages wurden wir mit einem Sammeltransport, der aus Juden der Stadt und des Amtsbezirks Heidelberg bestand, nach dem Konzentrationslager Dachau verbracht."

Der Familie von Hermann Müller gelingt dank guter Freunde in Heidelberg und der Hilfe amerikanischer Verwandter die Flucht in die USA. [...] Die geglückte Flucht war seinerzeit leider nur die Ausnahme. Die Mehrheit der deportierten jüdischen Männer, Frauen und Kinder wurden von den Nazischergen auf grausamste Weise gefoltert und ermordet. Sie haben die Vernichtungslager wie Dachau, Gurs, Majdanek, Treblinka nicht überlebt."

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Stand: 13. Februar 2001