|
|
Ausgabe Nr. 3 · 17. Januar 2001 |
|
Die Dudelsackspieler der "Heidelberg and District Pipes and Drums" und ein Quartett des Philharmonischen Orchesters sorgten für die musikalische Note beim Neujahrsempfang der Stadt. (Foto: Rothe) |
"Heidelberg ist eine Stadt des toleranten Miteinanders" |
Neujahrsempfang der Stadt - Die Ansprachen der Oberbürgermeisterin und des Gastredners
Professor Dr. Jan Assmann Das Zusammenleben von Menschen, die auf Grund kultureller Unterschiede oder einer leidvollen Vergangenheit Trennendes überwinden und Gemeinsames suchen müssen, um das Miteinander zu ermöglichen, stand im Mittelpunkt der beiden Ansprachen beim diesjährigen Neujahrsempfang der Stadt Heidelberg in der Stadthalle am vergangenen Sonntag. Die Rede von Oberbürgermeisterin Beate Weber und die Neujahrsansprache des Überraschungsgastes Prof. Dr. Jan Assmann, Direktor des Ägyptologischen Instituts der Universität Heidelberg, hörten rund 800 geladene Gäste. Zu dem diesjährigen Neujahrsempfang waren besonders die nichtdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Gastwissenschaftler der zahlreichen Forschungseinrichtungen in Heidelberg geladen. Die musikalische Umrahmung des Empfangs übernahmen zehn Dudelsackspieler der "Heidelberg and District Pipes and Drums" und ein Quartett des Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg. Nachfolgend die Rede der Oberbürgermeisterin und von Prof. Assmann (in Auszügen): |
|
Oberbürgermeisterin |
" (...) Zu diesem Neujahrsempfang sind alle nichtdeutschen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter bzw. Gastwissenschaftler/innen unserer großen Forschungseinrichtungen
... und der Universität sowie die ausländischen Mitglieder der Jüdischen
Kultusgemeinde eingeladen worden... Damit soll dieser Neujahrsempfang der Stadt Heidelberg ein Zeichen setzen: Heidelberg ist eine Stadt des toleranten Miteinander, will und muss es bleiben. Hier haben 15 Prozent der Einwohner/innen einen ausländischen Pass (das sind fast 19.000 Männer und Frauen), da ist es mir als Oberbürgermeisterin besonders wichtig, die gute Nachbarschaft zwischen allen, die hier wohnen und leben, zu bewahren und zu verbessern. (...) "Ohne Angst und ohne Träumereien: gemeinsam in Deutschland leben": Diese Forderung des Bundespräsidenten möchte ich gerne in Heidelberg verwirklicht sehen. Doch ich weiß ebenso gut wie der Bundespräsident: "Integration braucht einen langen Atem". Integration statt Gleichmacherei Jede Gesellschaft, die Wert auf inneren Frieden legt, muss auf Integration, weder auf Gleichmacherei noch auf beziehungsloses Nebeneinander von Kulturen setzen... Die Zukunftskommission "Gesellschaft 2000" der baden-württembergischen Landesregierung empfiehlt den politisch Verantwortlichen sehr eindringlich, "eine Politik der Integration von Menschen unterschiedlicher Sprache, Herkunft, Religion und Kultur in Deutschland zu entwickeln und auf ein solches Konzept viel mehr Energie, politische Phantasie, Nachdenken und Ausdauer zu verwenden als bisher..." (...) Bereits 1989 ... hat der Gemeinderat der Errichtung eines Ausländerrates zugestimmt: "Die Stadt Heidelberg will durch die Bildung des Ausländerrates ein gleichberechtigtes Zusammenleben zwischen ausländischen und deutschen Einwohnern fördern und die aktive Teilnahme des Ausländer am kommunalen Geschehen anregen." Dies hat der Ausländerrat seitdem mit Erfolg betrieben... (...) Natürlich fördern wir auch die Arbeit mit ausländischen Jugendlichen, unterstützen die Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher, ermöglichen ihnen kulturelle Aktivitäten und verbessern ihre Chancen in der Schule. Aus den 21 Anträgen, die beim Kinder- und Jugendamt eingereicht wurden, hat der Gemeinderat 16 Projekte für förderungswürdig gehalten... Unser Ziel ist es, die Lebenschancen vor allem für die Kinder zu verbessern und dies unabhängig davon, ob sie lange oder kurz bleiben oder in ihre Heimat zurückkehren. Das heißt, alle Kinder sollen zur Schule gehen... (...) Ich bin sehr skeptisch, ob der neue Gesetzesvorschlag der Landesregierung zur "Förderung der Integration von auf Dauer bleibeberechtigten Ausländern" tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen wird. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin für alle Maßnahmen, die die Integration erleichtern. Ich bin dafür, dass alle Betroffenen konsequent dazu angehalten werden, die deutsche Sprache zu lernen. Aber die Betroffenen sollten nicht durch Sanktionen abgeschreckt, sondern durch Anreize ermuntert werden! (...) Auf der anderen Seite müssen viele deutsche Kinder besser auf das Zusammenleben mit Zugewanderten vorbereitet werden. "Tief beunruhigend ist die Abwehr gegenüber Fremden, die negativen Einstellungen zu Ausländern und die Vorurteile (insbesondere) gegenüber Türken und Kindern türkischer Herkunft, wie sie von einem beträchtlichen Teil der deutschen Kinder schon im Kindesalter geäußert werden." Dieses Zitat aus dem 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung macht deutlich, dass wir von dem Ziel, das Miteinander als Gestaltungsaufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte zu begreifen, noch ein großes Stück entfernt sind... Beteiligung und Mitarbeit Eine tolerante, eine solidarische und eine zukunftsfähige Stadt ist nur als gemeinsame Leistung aller Bürgerinnen und Bürger möglich. Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder daran erinnert und Ihre Beteiligung und Mitarbeit erbeten beziehungsweise sogar eingefordert. Sie, die Bürgerinnen und Bürger, sind dieser Einladung und Aufforderung gefolgt: als Teilnehmer/innen von Gesprächsrunden, Arbeitskreisen, Foren oder Runden Tischen, als Mitglied eines Bezirksbeirates, des Jugendrates oder des Ausländerrates. Sie haben bei Umfragen mitgemacht und sich eingemischt. Einige haben sich sogar in den Gemeinderat wählen lassen. (...) Nun ist das Jahr 2001 von der UNO zum "Internationalen Jahr der Freiwilligen" ausgerufen worden. 123 Länder überall auf dieser Erde beteiligen sich, wollen Ehrenämter fördern und für eine größere Anerkennung werben, eine effektive Vernetzung erreichen und stärkere Unterstützung durch die Gesellschaft und die Politik einfordern. Ich habe auch deshalb die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamtes zu einem Schwerpunkt der Stadtverwaltung für dieses Jahr gemacht... (...) Wir möchten sehr gerne das Potenzial des Bürgerschaftlichen Engagements in Heidelberg durch eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ermitteln lassen... Damit wären wir in der Lage, gezielt Menschen einzubinden, die gerne etwas Sinnvolles tun möchten... Neben der "Freiwilligenbörse" als Geschäftsstelle für alle geplanten Aktivitäten ist der Aufbau eines "Freiwilligencafes" als regelmäßiger, informeller Treffpunkt vorgesehen. Ein "Sprachenfest" im Frühjahr soll die multikulturelle Begegnung ermöglichen und fördern. Im Sommer werden wir allen Vereinen, Organisationen und Initiativen aus Heidelberg die Gelegenheit geben, sich an einem Wochenende auf dem Universitätsplatz zu präsentieren und ihre ehrenamtliche Arbeit vorzustellen. Wir wollen eine breit angelegte "Bürgerstiftung" einrichten, die die "Aktion Bürgersinn" ablösen soll... Haushalt 2001 Der Haushalt der Stadt Heidelberg für das Jahr 2001 wurde am 21. Dezember vom Gemeinderat einstimmig (auch ohne eine Enthaltung) beschlossen. Niemand wusste noch, wann dies zum letzten Mal der Fall war. Natürlich habe ich mich sehr über dieses "Weihnachtsgeschenk" gefreut. Wichtiger aber noch ist, dass damit der Weg frei ist zur Umsetzung der Schwerpunkte, die ich in meiner Haushaltsrede genannt habe. Die Investitionen in die Ausbildungsorte unserer Kinder ... gehören zu den wichtigsten, die eine Kommune zu leisten hat. Aus diesem Grund haben wir die Mittel für Baumaßnahmen um 4,7 Mio. Mark auf 19,5 Mio. Mark deutlich erhöht. Der Schwerpunkt liegt in Kirchheim: Neubau einer Realschule und Ausbau der Geschwister-Scholl-Schule zu einer Ganztagesschule... (...) Wir werden - wie in den letzten Jahren - im Bereich der Jugendhilfe die soziale Infrastruktur konsequent und kontinuierlich flächendeckend ausbauen, insbesondere bei den Tagesbetreuungseinrichtungen für Kinder. Selbstverständlich bleiben die Jugendlichen im Blick. Wenn wir für eine unabdingbar notwendige Sanierung einer Kindertagesstätte schnell 100 Kinder unterbringen müssen, dann erwarte ich vor allem Solidarität und Kreativität bei den dann auftretenden Unterbringungsproblemen und keine Befürchtungen oder sogar bösartigen Unterstellungen! Das Haus der Jugend wird weiter eine zentrale Rolle in der Jugendarbeit spielen. (...)Die Partnerschaft mit Montpellier, der Hauptstadt der südlichsten, französischen Region Languedoc-Roussillon, besteht seit 1961, sie ist damit die älteste und wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Wir werden dieses Jubiläum würdig begehen... Ich wünsche Ihnen, dass ... Sie wissen, wo Sie stehen, wo Sie hin wollen und welcher der richtige Weg ist, dass Sie - wie die Mehrheit der Deutschen - zuversichtlich ins Neue Jahr gehen - und alles erdenklich Gute für 2001! |
Wer die ungekürzte Rede lesen möchte kann die Rede als Word-rtf-Format (45K) downloaden. | |
Prof. Dr. Jan Assmann |
"Das kulturelle Gedächtnis" |
Auszüge aus der Neujahrsrede von Prof. Dr. Jan Assmann "Sie werden sich mit Recht fragen, was ausgerechnet ein so kleines und abgelegenes Fach wie die Ägyptologie zu den Fragen beizutragen hat, die uns heute bedrängen", begann Prof. Dr. Jan Assmann, Direktor des Ägyptologischen Instituts der Universität Heidelberg seine Neujahrserde. Den "Wert geschichtlicher Rückschau" erläuterte Prof. Assmann, in dem er ein Zitat Goethes aus dem Westöstlichen Diwan aufgriff, "der mitten hinein führt in das Thema, über das ich heute sprechen will: das Thema des kulturellen Gedächtnisses: "Es geht um den Horizont unserer eigenen geschichtlichen Welt, um unsere Vergangenheit... Es geht um einen Akt der Selbsterkenntnis. Genau das aber nennen wir Erinnerung: sich Rechenschaft geben können über die eigene Vergangenheit, sich über sich selbst klar werden können aus dem Wissen, wie man geworden ist, wer man ist. Durch Erinnerung wird Vergangenheit zur Erfahrung. Es geht nicht um mehr Wissen, sondern um eine höhere Form von Bewusstheit..." Für die Deutschen bedeute dies "von 12 Jahren Rechenschaft zu geben". Dabei gehe es "nicht um die Bildung des einzelnen, sondern um die Humanität einer Gesellschaft, die ... sich Rechenschaft gibt, und zwar nicht von den Höhepunkten der deutschen Kultur..., sondern von den 12 dunklen Jahren des Hitlerdiktatur...Daran müssen wir uns erinnern, davon müssen wir uns Rechenschaft geben... "Es gehört zur Humanität einer Gesellschaft, dass sie mit ihren Toten lebt und sie mit hinein nimmt in die fortschreitende Gegenwart", sagte Prof Assmann. Diese Erinnerung, "die sich nicht von den Toten lossagen will und kann, sondern sie mit nimmt ins Dritte Jahrtausend", sei nicht nur Sache von oben. Diese Erinnerung "sehen viele als die stärkste Gegenkraft gegen aufkeimende Anzeichen von Fremdenhass und Antisemitismus". Dem Ruf nach dem berühmten Schlussstrich stellt Prof. Assmann die Forderung entgegen "die Erinnerung der anderen anzuerkennen und eine gemeinsame Vergangenheit auszuhandeln, in der auch die Leiden der anderen Seite ihren Platz finden". "Vielleicht wird das dritte Jahrtausend eine Zeit der Erkenntnis sein für das, wofür das zweite mit Blindheit geschlagen war", sagte Prof. Assmann. Mit Blick auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch bei anderen Völkern sieht er in "Akten der Anerkennung von Leid, das anderen ohne Verschulden zugefügt wurde, ... die Umrisse eines neuartigen Menschheitsgedächtnisses, das auf gewisse Grundnormen der Menschenwürde verpflichtet". "Mit diesem Wissen gehen wir in das dritte Jahrtausend und nur die Erinnerung, die dieses Wissen als unaufgebbare, prägende Erfahrung festhält, kann uns vor dem Schrecken des Möglichen retten", schloss Prof. Assmann seinen Vortrag. |
|
|
|
Zum Seitenanfang | |
Zur Inhaltsangabe STADTBLATT | |
Copyright © Stadt Heidelberg 1999, All Rights Reserved Stand: 16. Januar 2001 |