Kultur

Ausgabe Nr. 3 · 19. Januar 2000



Ute Richter, Leiterin des Zimmertheaters und Mitbegründer Jochen Ballin können stolz auf ein halbes Jahrhundert Theatergeschichte zurückblicken. (Foto: Rothe)

"Die Zuschauer atmen mit den Schauspielern"

Das Heidelberger Zimmertheater feiert seinen 50. Geburtstag


Den Alltag vergessen und abtauchen in die Welt des Theaters kann man seit inzwischen 50 Jahren im Heidelberger Zimmertheater. Das kleine Theater hat sich auf ganz unmittelbare und sinnliche Weise in die Herzen des Publikums gespielt - weit über die Grenzen Heidelbergs hinaus.

Im zweitältesten Privattheater Deutschlands (nach Hamburg) gelten andere Gesetze als in den großen Spielstätten, in denen Orchestergraben, Rampe und Vorhang die Schauspieler vom Publikum trennen. Auf engem Raum mit nur 93 Plätzen ist das Publikum mittendrin im Geschehen und hautnah dran an den Geschichten. "Die Zuschauer atmen mit den Schauspielern", schwärmt Ute Richter, Leiterin des Hauses und zugleich Regisseurin und Dramaturgin: "So hat sich Helmut Gmelin, der das erste Theater im Zimmer in Hamburg gründete, lebendiges Theater vorgestellt, abseits der immer größer und teurer werdenden Theatertempel".

Und heute, im multimedialen Zeitalter, in dem zahllose virtuelle Welten um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen, gewinnt das "Theater im Zimmer" neu an Bedeutung, als Ort unmittelbarer Erfahrung und eindringlicher Echtheit.

Den Grundstein für das traditionsreiche Theater legte Karl-Heinz Walther zusammen mit Jochen Ballin, Helga Schmidtle, Brigitte Zepf, Rudi Riegler und Annemarie Miltenberger vor fünfzig Jahren in der Häusserstraße. Doch schon nach einem Jahr zog das Zimmertheater in die Räume eines ehemaligen Fotoateliers in der Hauptstraße 118. Gillis von Rappard fand im Zimmertheater seine Herausforderung, übernahm die Intendanz und prägte den heutigen Charakter des Hauses. "Ich hatte das Glück bei ihm lernen zu können", berichtet Ute Richter. Seit 30 Jahren ist sie dabei und inzwischen 15 Jahre lang Leiterin des Hauses.

Bei mehr als 300 Aufführungen jährlich ist das Zimmertheater nahezu jeden Abend ausverkauft. Auf die Frage nach dem Erfolgsrezept antwortet Ute Richter: "Theater muss packend und unterhaltsam sein. Langeweile ist das Schlimmste." Kraft ihrer Stücke will sie die Zuschauer aus ihrem alltäglichen Leben heraustreten und die Dinge mit anderen Augen sehen lassen. Den elementaren Themen menschlicher Existenz, Liebe und Lüge und der quälenden Frage nach der Wahrheit ist auch das aktuelle Stück "Enigma" gewidmet. Der französische Dramatiker und Philosoph Eric-Emmanuel Schmitt wirft mit seinem Zwei-Mann-Psychothriller mehr tiefgründige Fragen auf, als an einem Abend beantwortet werden können.

Doch in die Freude über ein halbes Jahrhundert Theatergeschichte in Heidelberg mischt sich Sorge um die Zukunft des Zimmertheaters, denn der Mietvertrag läuft im Jahre 2005 aus. Bisher hat die Erbin des Hauses keine Verlängerung des Vertrages in Aussicht gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass bis dahin eine Einigung gefunden werden kann. Doch zunächst: Herzlichen Glückwunsch und weiterhin viel Erfolg! (doh)

  Zum Seitenanfang

 

Am Friesenberg gereifte Frucht

Original-Manuskript von Ricarda Huch in der Universitätsbibliothek entdeckt


Zurzeit wird der Nachlass der Sozialpolitikerin und Universitätslehrerin Marie Baum (1874-1964) neu erschlossen. Diese Arbeit wird durch die Stiftung der Stadt Heidelberg finanziert und in Zusammenarbeit von Universitätsbibliothek und Universitätsarchiv durchgeführt. Die Historikerin Petra Schaffrodt stieß jetzt auf das Manuskript von Ricarda Huchs (1864-1947) bedeutendem historischen Werk "Römisches Reich Deutscher Nation" - ein wertvoller Fund für die Wissenschaft.

Das in einem unscheinbaren Papierumschlag eingewickelte Manuskript im Umfang von 435 Blättern zeigt weder Datierung noch enthält es Angaben zur Verfasserin. Schriftvergleiche lassen aber keine Zweifel daran, dass es sich um die eigenhändig von Ricarda Huch als Druckvorlage geschriebene Fassung handelt. Das wurde der Universitätsbibliothek auch vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach bestätigt.

Das "Römische Reich Deutscher Nation" erschien 1934 im Berliner Atlantis-Verlag als Band 1 der Trilogie "Deutsche Geschichte". Wie auch der Neufund erkennen lässt, schrieb Ricarda Huch nach vorherigen Studien ihre Werke druckfertig ohne größere Korrekturen nieder, sodass es sich hier um das einzige Manuskript handeln dürfte.

Das Auffinden des Manuskripts im Nachlass von Marie Baum ist einerseits erklärlich: Die Dichterin verfasste den Text zu einer Zeit, als sie bei ihrer Freundin Marie Baum wohnte. Andererseits ist es überraschend, denn Marie Baum hat alle in ihrem Besitz befindlichen schriftlichen Zeugnisse ihrer Freundin dem von ihr mitbegründete Ricarda-Huch-Archiv im Marbacher Deutschen Literaturarchiv übergegeben. Nur die übrigen Teile des Nachlasses von Marie Baum gelangten testamentarisch an die Universitätsbibliothek Heidelberg.

Marie Baum lebte seit 1928 in Heidelberg. Eine fünfzigjährige enge Freundschaft verband sie mit Ricarda Huch. Marie Baum begleitete die Dichterin durch alle Stationen ihres bewegten Lebens. Zeitweise lebten die beiden Frauen zusammen, so von Herbst 1932 bis Herbst 1934 in Marie Baums Heidelberger Wohnung am Friesenberg 1. Die handschriftliche Widmung Ricarda Huchs in der Druckfassung von "Römisches Reich Deutscher Nation" an ihre Freundin nimmt Bezug auf den Ort der Entstehung:
Am Friesenberg gereifte Frucht/
dankbar die schöne Heimat sucht.
Ricarda Huch war Dichterin, Philosophin und Historikerin. Thomas Mann bezeichnete sie anlässlich ihres sechzigsten Geburtstags als "die erste Frau Deutschlands"; sie wurde als eine große Intellektuelle gefeiert. Ricarda Huch gilt heute als die Vertreterin der neu-romantischen Literatur in Lyrik und Prosa. Ihr besonderes Interesse war auf die Geschichtsschreibung gerichtet.

Das "Römische Reich Deutscher Nation" gehört zum Spätwerk der Autorin. In 48 Kapiteln behandelt das Buch die Umstände, die zum Aufschwung und Höhepunkt des Reiches führten. Huchs Sprache ist poetisch; kunstvoll verbindet sie Personen und Ideen miteinander. Ihr Bemühen, geistige und politische Kräfte des Mittelalters für die Gegenwart zu erschließen, machten dieses Werk zu einem unzeitgemäßen Buch. Die kritischen Züge des "Römischen Reiches" erkennend, schrieb eine Rezensentin in den "Nationalsozialistischen Monatsheften": "Im Deutschland Adolf Hitlers ist für Magierinnen dieser Art kein Platz mehr."

Band 2 der "Deutschen Geschichte" ("Das Zeitalter der Glaubensspaltung") konnte zwar 1937 noch publiziert werden. Die Veröffentlichung von Band 3 ("Der Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation") sowie eine Neuauflage des ersten Bandes waren jedoch nicht mehr möglich. Heute ist Ricarda Huchs "Römisches Reich Deutscher Nation" in der dritten, 1996 im Züricher Manesse-Verlag erschienenen Auflage greifbar.

  Zum Seitenanfang
  Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



Copyright © Stadt Heidelberg 1999, All Rights Reserved
Stand: 18. Januar 2000