Thema der Woche

Ausgabe Nr. 2 · 12. Januar 2000



Erster Bürgermeister Prof. Dr. Joachim B. Schultis. (Foto: Gärtner)





Dörfliches Idyll mit kleinen Schönheitsfehlern. Dachflächenfenster sind untypisch für den Baustil und verändern das Aussehen der Dachlandschaft, deren Charakter auch durch die Wahl des traditionell verwendeten Ziegeltyps gewahrt werden sollte. (Foto: Rothe)





"Das Haus muss ein Gesicht haben", so Prof. Dr. Schultis im STADTBLATT-Gespräch. Sprossenfenster und Klappläden gehören zum ortstypischen Baustil. (Foto: Rothe)

"Fehlentwicklungen verhindern"

Erhaltungssatzungen sollen den Charakter der alten Ortskerne von Handschuhsheim, Wieblingen, Rohrbach und Kirchheim schützen


Der Gemeinderat hat am 25. November vergangenen Jahres beschlossen, für den Stadtteil Handschuhsheim eine Erhaltungssatzung aufzustellen und der Entwurfsfassung zugestimmt. Es folgt nun eine Phase der öffentlichen Diskussion, bevor die Satzung zur Beschlussfassung erneut dem Gemeinderat vorgelegt wird. Gleichzeitig soll eine Gestaltungsatzung mit inhaltlichen Vorgaben für Architekten, Bauherren und die Verwaltung erarbeitet werden. Ein Beirat, wie er bereits für die "Satzung zum Schutz der Altstadt als Gesamtanlage" besteht, wird auch in Handschuhsheim beratend zu Seite stehen.

Am 16. Dezember hat der Gemeinderat darüber hinaus die Verwaltung beauftragt, auch für die Stadtteile Wieblingen, Rohrbach und Kirchheim Erhaltungssatzungen zu erarbeiten. Erster Bürgermeister und Baudezernent Prof. Dr. Joachim B. Schultis erläuterte im Gespräch mit STADTBLATT-Redakteur Dr. Bert-Olaf Rieck die Hintergründe.

STADTBLATT: "Käseglocke", "Bauverhinderungspolitik" - ist das das Ziel von Erhaltungssatzungen?

Prof. Dr. Schultis: Das muss ich klar verneinen. Das sind plakative Begriffe, die sich natürlich ganz toll anhören. Eine Stadt und ihre Stadtteile sind dynamische "Lebewesen" und unterliegen ständigen Veränderungen. Nur ist man aus der Vergangenheit klug geworden und betreibt nicht mehr die Politik der Abrissbirne, sondern geht behutsam an die Dinge heran. Es gibt genügend positive Beispiele des sorgsamen Umgehens mit der vorhandenen Bausubstanz. Man darf sich nicht scheuen, auch mal was abzureißen. Aber was man neu baut, sollte eine hohe Qualität haben. Erhaltungssatzungen haben das Ziel, die Wahrung eines Gebietscharakters sicherzustellen. Es ist unzweifelhaft, dass die alten Ortskerne von
Handschuhsheim, Wieblingen, Rohrbach und Kirchheim eine besondere Qualität haben, die es zu erhalten gilt, und deswegen ist der schnellste und sicherste Weg, hier die Paragraphen 172ff. des Baugesetzbuches anzuwenden und Erhaltungssatzungen zu beschließen.

STADTBLATT: Darüber, das die Ortsteile schützenswert sind, besteht weitgehend Einigkeit, nicht aber über das richtige Instrument - Bebauungsplan oder Erhaltungsatzung. Was spricht für das eine, was für das andere?

Prof. Dr. Schultis: Eine Erhaltungssatzung kann relativ rasch in Kraft treten. Es ist ein Geltungsbereich festzulegen, innerhalb dessen Vorhaben wie Rückbau, Änderung, Nutzungsänderung der Genehmigung bedürfen, um sicherzustellen, dass in diesem Bereich keine Fehlentwicklungen eintreten. Der Unterschied zum Bebauungsplan besteht darin, dass dieser für solch große Gebiete, wie es die Ortskerne sind, äußerst detaillierte Festsetzungen nach Art und Maß der Nutzung treffen müsste. Das ist ein langwieriges Verfahren, während die Erhaltungssatzung einfach früher greift. Es wäre natürlich schön, wir hätten für die Ortskerne Bebauungspläne, aber das bedarf einer aufwändigen Arbeit.

STADTBLATT:
Gibt der Gemeinderat mit der Erhaltungssatzung die Kompetenz aus der Hand?

Prof. Dr. Schultis: Der stärkste Vorbehalt gegenüber der Erhaltungssatzung scheint tatsächlich zu sein, dass man befürchtet, es werde dann nicht der Gemeinderat primär regeln, sondern die Verwaltung. Das ist aber nicht unbedingt richtig, denn der Gemeinderat kann natürlich Gestaltungsziele vorgeben, die die Verwaltung zu beachten hat. Deshalb ist es sicher opportun, parallel zur Aufstellung der Erhaltungssatzungen auch Gestaltungssatzungen zu entwickeln, sodass dann die Verwaltung weiß, was der Gemeinderat will.

STADTBLATT: Was regelt die Erhaltungs-, was die Gestaltungssatzung?

Prof. Dr. Schultis: Die Erhaltungssatzung definiert in erster Linie eine Abgrenzung. Die Gestaltungssatzung gibt ortstypische Gestaltungsmerkmale vor, die bei Neubauvorhaben und Renovierungen zu berücksichtigen sind, damit bestimmte Dinge nicht zerstört werden. Wenn die Gestaltungssatzung beispielsweise sagt, es sind Sprossenfenster einzubauen oder zu erhalten, dann darf man eben keine anderen Fenster nehmen. Oder es gibt diese "berühmten" Haustüren, die man auf Baumessen bekommt, aus Alu oder anderen obskuren Materialien. Wenn die ortstypische Tür aus profiliertem Holz ist, dann sollte das beachtet werden. Sprossenfenster, Klappläden - das Haus muss ein Gesicht haben. Die individuelle Erscheinungsform war früher der Stolz der Eigentümer.
Dass die Maßstäblichkeit erhalten bleibt, ist weiterer wichtiger Grundsatz. Das Beeindruckende an der Amselgasse, die ja ein wichtiger Streitpunkt in Handschuhsheim ist, ist dieser besondere Detaillierungsgrad der bestehenden Bebauung. Wenn man abreißt und neu baut, dann muss man, um es ortstypisch zu machen, diesen Detaillierungsgrad wieder einbringen. Daran sieht man auch, dass so etwas über einen Bebauungsplan schwierig zu fixieren ist, während man über die Gestaltungssatzung regeln kann, dass wieder im vorherigen Rahmen gebaut werden muss.

STADTBLATT: Betrifft das auch die viel zitierten Türgriffe?

Prof. Dr. Schultis: Die sind mit Sicherheit nicht enthalten. Aber nehmen wir einmal an, jemand hat sehr alte Türen mit handgeschmiedeten Beschlägen und wollte sie durch moderne ersetzen. Dann würde man sagen, das passt nicht. Deswegen wird man einen Passus aufnehmen etwa derart, dass Originalteile nach Möglichkeit zu verwenden sind. Aber wie weit man ins Detail geht, das muss auch eine Frage der Diskussion sein. Deshalb unterwerfen wir es ja einem öffentlichen Prozess.

STADTBLATT: Welches sind die weiteren Schritte?

Prof. Dr. Schultis: Für Handschuhsheim hat der Gemeinderat das Verfahren bereits eingeleitet. Der nächste Schritt ist eine Bürgerinformation, das Gespräch mit den Bürgern, mit dem Stadtteilverein. Parallel dazu wird die Gestaltungssatzung ausgearbeitet, um da schon die Elemente diskutieren zu können. Das Weitere ist dann eine Offenlage und am Ende der Satzungsbeschluss.

STADTBLATT: Wenn jetzt jemand an seinem Haus in Handschuhsheim im vorgesehenen Geltungsbereich der Satzung etwas verändern möchte?

Prof. Dr. Schultis: Dieses Baugesuch kann um ein Jahr zurückgestellt werden. Der Aufstellungsbeschluss für die Erhaltungssatzung gibt die Rechtsgrundlage, das Sicherungsinstrumentarium des Baugesetzbuches anzuwenden. Nur die, die zum Zeitpunkt der Aufstellung bereits ihre Baugesuche eingereicht hatten, sind davon nicht betroffen. Es ist natürlich auch kein Problem bei den Projekten, die konform gehen mit den bisherigen Vorstellungen.

STADTBLATT: Und wenn das Jahr vorbei ist?

Prof. Dr. Schultis: Dann muss der Gemeinderat bereits die weiter gehenden Beschlüsse gefasst haben.

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Stand: 11. Januar 2000