Stadt & Leute

„Mein Arbeitsplatz war die Welt“

Professor Dr. Hartmut Soell zu Gast bei „Erlebte Geschichte – erzählt“

Michael Buselmeier stellte ihn als Vertreter einer aussterbenden Gattung des „gelehrten Politikers“ vor, die es heute kaum noch gibt. Professor Dr. Hartmut Soell – Hochschullehrer, Politiker und Autor – nahm’s gelassen.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Foto: Rothe)
Prof. Dr. Hartmut Soell (Foto: Rothe)

Die Hälfte seines beruflichen Lebens hat Dr. Hartmut Soell in der Politik verbracht. „Wie hält man das eigentlich aus?“ wollte Michael Buselmeier wissen. „Ich interessiere mich für Menschen – in der Politik und für ihr Verhalten in den Institutionen“, lautete die Antwort. Genau genommen war aber sein Engagement in der Politik bereits in der Familie angelegt. Schon der Großvater war Sozialdemokrat und Soell erinnert sich gerne an die Gespräche mit dem Familienoberhaupt.

Ein anderer Grund liege in seiner Generation, die einfach Glück gehabt habe. Er musste nicht zur Hitlerjugend, nicht an die Front, die Hungerjahre nach dem Krieg hat er als kurz in Erinnerung, er konnte studieren und reisen wie keine andere Generation zuvor: „Davon wollte ich auch ein wenig zurückgeben“, sagte Soell.

1939 in Kehl geboren wuchs er in Konstanz auf, wo er 1958 Abitur machte. Er studierte in Heidelberg Geschichte, Politische Wissenschaften und Völkerrecht: „Im ersten Semester las ich die Bibliothek des Amerika-Hauses leer, weil die Anforderungen nicht sehr hoch waren“, erinnert er sich heute. Er promovierte 1963 bei Werner Conze und ging anschließend für 18 Monate zur Bundeswehr: „So wie ich war, wollte ich natürlich auch die Bundeswehr kennen lernen!“ Dort dozierte er Völkerrecht, aber die Kameraden schliefen nach den harten Übungen bei seinen Vorträgen meist ein.

Referent von Helmut Schmidt

Ab 1965 war Hartmut Soell Assistent der Bundestagsfraktion der SPD und persönlicher Referent von Helmut Schmidt. Den schildert er als fair und als jemanden, mit dem man gut streiten konnte. Langfristig wollte er aber eine unabhängige Stelle. 1968 kehrte er an die Universität Heidelberg zurück und wurde Assistent von Werner Conze, bei dem er sich 1974 habilitierte (mit einer zweibändigen Biographie von Fritz Erler). „In dieses Feld hinein, wo alle möglichen Chaoten herumschwirrten?“, fragte Buselmeier ironisch. Die hätten ihn nicht aus der Fassung bringen können, entgegnete Soell. Ab 1977 (bis 2004) lehrte er als Professor für Neuere Geschichte in Heidelberg und Berlin.

1980 gelang ihm erstmals der Einzug in den Bundestag, wo er zunächst im Haushaltsausschuss, dann als Delegierter im Europarat war. „Mein Arbeitsplatz war die Welt – so nannten wir etwas spöttisch unser Tun im Auswärtigen Ausschuss.“ Erst nach vier Legislaturperioden nahm Soell 1994 seine Lehrtätigkeit an der Universität Heidelberg wieder in vollem Umfang auf.

Zwischenzeitlich schrieb er an einer über 600 Seiten starken Biographie des jungen Herbert Wehner, die 1991 in der Deutschen Verlags-Anstalt erschien. 2003 folgte der erste Band einer umfangreichen Biographie Helmut Schmidts, an dessen zweitem Teil er noch arbeitet. (doh)