Kultur

Ausgabe Nr. 44 · 2. November 2000

Marie Marcks

Nur nicht vorschnell lachen

Karikaturen von Marie Marcks im Kurpfälzischen Museum


"Wie oft haben wir uns von Marie Marcks verstanden, aber auch ertappt gefühlt!" meinte Dr. Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, in ihrer Laudatio bei der Ausstellungseröffnung. Bei den Zeichnungen und Karikaturen von Marie Marcks muss man auf Doppelbödigkeit gefasst sein. Nicht nur den Patriarchen hat sie gern karikiert. Ihre Arbeiten enthalten immer auch Spitzen gegen das weibliche Geschlecht.

In einer umfassenden Werkschau präsentiert das Kurpfälzische Museum das gesamte Spektrum ihrer über 50-jährigen künstlerischen Tätigkeit: Zeichnungen, Plakate, Siebdrucke und Karikaturen von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart, sowie Bücher und Filme von und über Marie Marcks zeigen sie als Chronistin unserer Republik.

1922 in Berlin geboren, kam sie 1948 nach Heidelberg. Eine Generation vor der etablierten Frauenbewegung erlebt die Mutter von fünf Kindern selbst den Spagat zwischen Familienarbeit und Künstlerinnendasein. So fließen Themen wie die Doppelbelastung der Frau und das Geschlechterverhältnis ebenso in ihr zeichnerisches Werk ein wie das politische Wechselspiel der Kräfte seit dem deutschen "Wirtschaftswunder" unter Ludwig Erhard.

Die Ausstellung, die nach einer vierteiligen Bildergeschichte den Titel "...und darum müssen wir Deutschen aussterben" trägt, zeigt, wie Marie Marcks die Themen Umwelt, Aufrüstung, Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Innen- und Außenpolitik, Wissenschaft, Forschung, Familie, Jugend und Erziehung nicht nur kritisch und satirisch, sondern auch zutiefst menschlich bearbeitet.

Filme
Im Rahmen der Ausstellung sind täglich um 11, 13 und 15 Uhr die Zeichentrickfilme von Marie Marcks "City Live" (1968) und "Genie und Vogel. Ein erfülltes Forscherleben" (1969) zu sehen. Der Filmbericht "Frauengeschichten" mit dem Untertitel "Marie Marcks - Kinder, Küche, Karikaturen" aus dem Jahre 1981 zeichnet ein Porträt der Heidelberger Künstlerin.

Vorträge
Begleitend zur Ausstellung wird im Badensaal des Kurpfälzischen Museums in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule eine Vortragsreihe angeboten, die sich den verschiedenen Aspekten der Karikatur widmet. Zum Auftakt am Mittwoch, 8. November, um 19.30 Uhr spricht F. W. Bernstein über "Papiertheater - Die Karikatur als Inszenierung". (doh)
   
 

Katalog

  Die Heidelberger Ausstellung wurde als Wanderausstellung konzipiert und ist bis zum 7. Januar dienstags bis sonntags von 10 bis 20 Uhr und mittwochs von 10 bis 21 Uhr zu sehen. Anschließend wird sie in Konstanz, Basel und Berlin gezeigt. Der Katalog mit umfangreichem Text- und Bildmaterial ist zum Preis von 58 Mark im Kurpfälzischen Museum erhältlich.

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Egon Hassbecker (Foto: Rothe)

"Ausgezogen, um Kunst zu finden"

Egon Hassbecker zu Gast bei "Erlebte Geschichte - erzählt"


"Dass er einmal in einem der schönsten Heidelberger Barockhäuser, das schon Börne und Lenau aufgesucht haben, eine Buchhandlung betreiben und ein Museum für Primitive Malerei leiten würde, hätte der junge Egon Hassbecker nicht zu träumen gewagt", so Michael Buselmeier zur Einleitung der Veranstaltung im Prinz Carl. In dem zweistündigen Gespräch gewährte Egon Hassbecker vielfältige Einblicke in seinen ebenso spannenden wie schweren Lebensweg.

In Leipzig 1924 geboren, wuchs er als uneheliches Kind im Haus der Großeltern auf, erhielt Geigenunterricht vom Großvater, besuchte die Volksschule und "wusste eigentlich nicht, was er mal werden sollte." So absolvierte er eine Ausbildung als Versicherungskaufmann. 1942 wurde er zum Arbeitsdienst und ein Jahr später an die Ostfront eingezogen, wo er als Melder oftmals unter feindlichem Beschuss unterwegs war.

Während des Krieges las er, um zu überleben. Nicht nur der Hölderlin-Band, in dem ein Granatsplitter stecken blieb, rettete ihm das Leben, auch Heinrich Heine und Maxim Gorki, die er nachts im Schützengraben bei Kerzenlicht las. Fünf Jahre verbrachte er in russischer Gefangenschaft, die er fast als Erholung empfand, denn "es wurde nicht mehr geschossen". In der Lagerbibliothek gab es deutschsprachige Bücher und er versorgte sich mit "geistiger Nahrung".

1949 aus der Gefangenschaft entlassen, schlug er sich als ambulanter Illustrierten-Verkäufer und dann als Vertreter für den Bertelsmann-Lesering durch. Später verkaufte er Kinderbücher an die Landbevölkerung. Er heiratete 1959 und wurde Vater von zwei Söhnen. Ab 1960 begleitete er als fliegender Händler Friedensdemonstrationen und Kongresse der Atomwaffengegner mit Büchertischen.

1965 eröffnete Egon Hassbecker in Eberbach eine winzige "(Hinter-) Hofbuchhandlung", in der er ab 1967 auch kleine Kunstausstellungen organisierte. Per Zufall wurde er auf Bilder von Minna Enulat aufmerksam und entdeckte damit seine Begeisterung für Primitive Kunst, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Es sind die "Authentizität, Inbrunst und Frömmigkeit dieser Bilder", die ihn bis heute in ihren Bann ziehen. Egon Hassbecker begann diese Werke zu sammeln und unternahm weite Reisen, um zu diesen Malerinnen und Malern zu gelangen. Sie alle sind Autodidakten, oft Außenseiter und Analphabeten, die keine Berührung mit Moderner Kunst hatten. Was sie hervorbringen sind "Urbilder, wie wir sie alle in uns tragen", so Hassbecker.

1980 übersiedelte Hassbecker auf Vermittlung des damaligen Leiters des Amts für Stadterneuerung und Liegenschaften Wolfgang Wagner nach Heidelberg und richtete im Haus Cajeth seine Buchhandlung ein. Zwei Jahre später konnte er dort in der Haspelgasse 12 das "Museum für Primitive Malerei im 20. Jahrhundert" eröffnen.

Die ideale Nachbarschaft mit der Prinzhorn-Sammlung und dem Völkerkundemuseum nannte Michael Buselmeier "einen Glücksfall für Heidelberg". Hassbecker machte jedoch auf den Unterschied aufmerksam: "Prinzhorn sammelte Zeichnungen von Geisteskranken - darunter sind auch Künstler. Ich bin ausgezogen, um Kunst zu finden und darunter sind auch Verrückte." (doh)

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Stand: 31. Oktober 2000