Kultur

Ausgabe Nr. 36 · 4. September 2002



Schriftstellerin Elisabeth Alexander

Provokativ, eigenwillig und unterhaltsam

Ein STADTBLATT-Gespräch mit der Schriftstellerin Elisabeth Alexander anlässlich ihres 80. Geburtstags


Seit 56 Jahren lebt und arbeitet die gebürtige Rheinländerin Elisabeth Alexander in Heidelberg. Sie studierte an der Hochschule für Musik und Theater, war Mitarbeiterin beim Feuilleton des Heidelberger Tageblatts und Lehrbeauftragte am Germanistischen Seminar der Universität Mannheim. Provokativ, eigenwillig und unterhaltsam ist ihr schriftstellerisches Werk: Zahlreiche ihrer Romane, Erzählungen, Essays, Gedichte und Kinderbücher wurden ins Englische übersetzt. Lese- und Vortragsreisen führten sie in die Niederlande, nach Belgien, Italien, Frankreich, Kanada und die USA. 1996 war sie Ehrengast der Villa Massimo in Rom.

STADTBLATT: Sie sind als zweitältestes von neun Kindern in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Inwiefern war Ihre Kindheit prägend für Ihr späteres Leben?

Elisabeth Alexander: Die Natur und der Ritus in der katholischen Kirche waren meine Medien. Wenn man kein Radio hat, das können sich die Menschen heute nicht mehr vorstellen. Ich bin praktisch ohne Kultur aufgewachsen. Kein Radio, kein Fernsehen, keine Literatur, nichts, nur Gebetbücher und die Bibel. Durch die Kirche kam auch meine Opposition, das ist klar. Aber ohne meinen Katholizismus wäre ich nie zum Schreiben gekommen.

STADTBLATT: Sie haben einmal gesagt "Neugier" sei schon immer Ihre Haupttugend gewesen!

Alexander: Ja, denn ich habe festgestellt, dass ohne die Neugierde, ohne die naive Neugierde, kein Interesse möglich ist. Die Gefahr, das ich mir dadurch auch geschadet habe, habe ich erst viel später erkannt. Manche Leute glaubten, dass meine Naivität gespielt sei, oder sie hielten mich für dumm. Aber ich ließ mich nicht beirren, ich bin heute noch genau so neugierig wie eh und je.

STADTBLATT: Sie beobachten genau und ziehen oftmals unbequeme Schlüsse, damit haben sie sich nicht nur Freunde gemacht?

Alexander: Am Anfang habe ich mich nur von der Intuition leiten lassen. Ich sagte meine Beobachtungen, ohne darüber nachzudenken, dass es auf mich zurückfällt. Aber der Mensch neigt zu Vorurteilen, er hört etwas und urteilt sofort. So kam ich in diese und jene Schublade.... Und als ich gemerkt habe, ich werde eh nicht für voll genommen, habe ich auch gerne provoziert.

STADTBLATT: Sie haben auch eine Vorliebe für unkonventionelle Formen der Literaturvermittlung und haben z.B. mit einem Bauchladen Ihre Bücher verkauft?

Alexander: Das ist falsch. Auf der Buchmesse war ich eine "Sandwich-Lady" vom Merlin-Verlag. Ich trug keinen Bauchladen, sondern vorn und hinten ein Plakat mit meinem Gedicht "Ich hänge mich ans schwarze Brett". Aber ich habe gerne Lesungen in der S-Bahn in Stuttgart gemacht und im Bücherbus in allen Heidelberger Stadtteilen. Dann war da die Lesung im Anatomiegarten. Ich war eben neugierig wie das abläuft. Da hingen 48 Plakate mit meinem Gedicht "Leck mich am Arsch". Das war ein Oppositionsgedicht, denn plötzlich wurde der "Hintern" oder der "Arsch" "Po" genannt, das waren die neuen Wörter der Sex und Pornowelle. Und deshalb habe ich dieses Gedicht geschrieben.

STADTBLATT: Sie sagten einmal, Sie möchten mit Ihrer Dichtung Vorbild und Beispiel sein, was ein Mensch alles aus sich machen kann, hat er nur das kontinuierliche Wollen!

Alexander: Ich war lange im Vorstand vom Schriftstellerverband Baden-Württemberg und auf vielen Kongressen. Dort habe ich immer unterschieden zwischen Schreib-Schriftstellern und Sprech-Schriftstellern, die nur schwätzen. Ich wollte nie eine "Großkopferte" sein. Zum Schreiben gehört zum Beispiel ein globaler Wortschatz, eine Glaubwürdigkeit der Empfindungen, Beharrlichkeit und vor allem ein "Wollen". Mit dem "Wollen" kann man alles erreichen. Am Anfang habe ich gesagt: "Ich habe einen Größenwahn" und dann begriff ich, dass man auch etwas tun muss, um diesen Größenwahn zu rechtfertigen. Das hab ich gesteigert in einen "gesunden Größenwahn" und später hatte ich einen "kerngesunden Größenwahn". - Wissen Sie, in den USA sind viele meiner Geschichten ins Englische übersetzt worden, sogar für die Schulbücher. Dort zählt nur die Arbeit und nicht, ob man irgendeinen prominenten Namen hat.
   
  Festlesung
Aus Anlass des 80. Geburtstags der Schriftstellerin Elisabeth Alexander lädt die Stadtbücherei, Poststraße 15, am Dienstag, 10. September, um 19.30 Uhr zu einer öffentlichen Festlesung ein. Die Autoren Imre Török, Ulrich Zimmermann und Gudrun Reinboth lesen aus den Werken von Elisabeth Alexander, die außerdem ihren neuen Roman "Die sieben Häute der Hanna Winter" vorstellen wird. Oberbürgermeisterin Beate Weber überbringt die Glückwünsche der Stadt. Der Eintritt ist frei.

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Stand: 3. September 2002