Thema der Woche

Ausgabe Nr. 33 · 13. August 2003



Die zwei Schröpfköpfe aus dem Grab der römischen Ärztin. (Foto: Kurpfälzisches Museum (Kemmet)




Dieses Weihrelief aus Athen zeigt Arztbesteck, eingerahmt von zwei Schröpfköpfen, die den Heidelberger Fundstücken sehr ähneln. (Foto: Deutsches Archäologisches Institut)

Eine römische Ärztin aus Neuenheim

Das Kurpfälzische Museum wertet zurzeit das römische Gräberfeld im Neuenheimer Feld aus


Die Schachtel mit der Nummer 64/81 aus dem Magazin des Kurpfälzischen Museums barg auf den ersten Blick überdurchschnittlich viele, aber dennoch gewöhnliche Beigaben: Unter anderem Tafelgeschirr aus gebranntem Ton, Döschen aus Tierknochen, Scherben von Glas, drei Henkelkrüge, Amphorenscherben, zwei Tonlampen und eine im Jahre 99 nach Christus geprägte Münze aus der Regierungszeit des römischen Kaisers Trajan.

Ein genauerer Blick auf die Fundstücke in dem 1964 freigelegten römischen Grab aus dem Neuenheimer Feld mit der laufenden Nummer 81 ließ vermuten, dass hier möglicherweise ein Arzt begraben sein musste: So fand sich eine Toilettenschere, mit der man Haare schneiden, aber auch medizinische Schnitte machen konnte. Als weiteres Arztbesteck konnte eine Spatelsonde identifiziert werden sowie bronzene Stiele und Schäfte von medizinischen Untersuchungsgeräten.

Etwas Kopfzerbrechen bereiteten Dr. Renate Ludwig, der Leiterin der Archäologischen Abteilung im Museum, und ihrem Mitarbeiter Dr. Andreas Hensen zwei stark zerfallene Objekte aus Bronze. Unter den behutsamen Händen der Museums-Restauratorin Barbara Cüppers gewannen sie ihre ursprüngliche Form wieder: Zwei gefäßartige Objekte kamen zum Vorschein, deren Form allerdings überhaupt keine Ähnlichkeit mit anderen Gefäßen aus damaliger Zeit aufwies. Erst als Dr. Hensen sie umdrehte, wurde ihm klar, dass es sich auch bei diesen "Gefäßen" um medizinisches Gerät handelte: Es waren ungewöhnlich große Schröpfköpfe, wie ein Vergleich mit einem Weihrelief aus Athen alsbald belegte.

Doch die Schachtel mit der Nummer 64/81 hielt noch eine Überraschung für die Archäologen parat. Die sterblichen Überreste des, wie damals üblich, feuerbestatteten Arztes erhielt der Anthropologe des Landesdenkmalamtes in Konstanz zur genaueren Untersuchung. Diese wird in vielen Fällen mit den menschlichen Überresten aus dem Neuenheimer Gräberfeld durchgeführt, um mehr über Alter, Geschlecht, Ernährungsgewohnheiten oder Krankheiten der damals hier lebenden Römer zu erfahren. Der Befund aus Konstanz verblüffte alle, die beim Projekt "Das römische Gräberfeld von Heidelberg-Neuenheim" der Deutschen Forschungsgemeinschaft mitarbeiten: Der verstorbene Arzt war eine etwa 30-jährige Frau.

Damit war ein weiterer Beweis gefunden worden, dass es im Römischen Reich auch Ärztinnen gab. "Frauen haben in der antiken Heilkunde eine bedeutende Rolle gespielt, nicht nur als Hebammen, sondern auch als Chirurgen oder Zahnärzte", erklärt Dr. Andreas Hensen. Ein Kollege aus Mainz habe das aufgrund typisch weiblicher Grabbeigaben und Inschriften stark vermutet, der Fund in Neuenheim, Ausgrabungen im Hunsrück und in der Schweiz hätten nun die Existenz weiblicher Ärzte endgültig bestätigt.

Die Schröpfköpfe spielten in der damaligen so genannten Humoralmedizin eine bedeutende Rolle. Nach dem Verständnis antiker Mediziner besteht im Körper ein harmonisches Verhältnis der vier Säfte gelbe und schwarze Galle, Blut und Schleim. Ist diese Mischung nicht mehr im Gleichgewicht, musste die schuldige Materie durch Erbrechen, Abführen, Schwitzen, Aderlass und künstliche Wunden ausgeleitet werden.

Im Neuenheimer Feld wurden unter den knapp 1.400 Gräbern weitere entdeckt, die kosmetische oder medizinische Instrumente enthielten. In den meisten befanden sich allerdings keine Grabbeigaben, die Rückschlüsse auf den Beruf oder die Persönlichkeit des Verstorbenen erlauben. Sehr häufig sind Öllämpchen. Allein 630 wurden bisher gezählt, zum Teil ungebraucht: Das Licht sollte den Toten den Weg in Jenseits erhellen. Zahlreich sind auch Linsen, die als Totenspeisung dienten. Hie und da hatte man auch Hunde oder Pferde bei ihrem Besitzer begraben. Teilweise waren die Gräber mit wertvollen Beigaben versehen, in anderen Fällen mussten zweite Wahl oder auch Fehlbrennungen bei der Töpferware genügen. Mit einer Keramikanalyse, die an der TU Berlin durchgeführt wird, lässt sich feststellen, woher sie stammt und ob sich Produkte aus Heidelberger Ton darunter befinden.

Der Friedhof wurde in der Zeit zwischen 80 und 190 nach Christus benutzt, als am Neckar, östlich der heutigen Ernst-Walz-Brücke, ein römisches Militärkastell stand. In seiner Nähe entstand ein Dorf, das erst 260 nach Christus verlassen wurde. Das Gräberfeld lag außerhalb des Dorfes entlang der großen Fernstraße nach Ladenburg. Dass noch so viele Grabbeigaben erhalten blieben, liegt daran, dass das Neuenheimer Feld über Jahrhunderte hinweg als Acker- und Gartenland diente und eine etwa 50 Zentimeter dicke Humusschicht Zerstörungen durch tief ziehende Pflüge verhinderte. (neu)
   
 

Gräberfeld

  Immer wieder sind im Neuenheimer Feld Gärtner und Bauern auf Relikte aus der Römerzeit gestoßen. Auch beim Ausbau der heutigen Berliner Straße und dem Neubau von Universitätsgebäuden seit Anfang der 50er Jahre wurden Gräber frei gelegt. Der damalige Archäologiestudent Berndmark Heukemes rettete unter schwierigen Bedingungen die von Bagger und Schaufel bedrohten Gräber. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass er begonnen hatte, eines der größten römischen Gräberfelder Mitteleuropas freizulegen. Bis 1969 war Heukemes mit der Bergung der rund 1.400 Grabstätten beschäftigt.

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Forschungsauftrag fürs Museum

Seit 1999 wertet das Kurpfälzische Museum die Funde des Neuenheimer Gräberfelds aus

1999 wurden die Archäologen aus dem Kurpfälzischen Museum gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft beauftragt, das Neuenheimer Gräberfeld auszuwerten. Eine Million Mark stellte die Einrichtung damals dafür zur Verfügung.

Das sei schon ungewöhnlich, dass ein städtisches Museum mit einem solchen Forschungsauftrag bedacht werde, sagt Dr. Renate Ludwig, Leiterin der Archäologischen Abteilung, nicht ohne Stolz. Sie vollendet gemeinsam mit Dr. Andreas Hensen, den Restauratoren und vielen freiwilligen Helfern das Werk von Berndmark Heukemes. Der spätere Leiter des Kurpfälzischen Museums hat zwischen 1951 und 1969 die Inhalte von rund 1.400 römischen Gräbern geborgen. Aus den anfänglichen Notbergungen, zu denen unter anderem die Neubauten der Universität zwangen, entwickelte sich eine sachgerechte Sicherung und Dokumentation mit Hilfe der Stadt Heidelberg und dem damaligen Staatlichen Amt für Denkmalpflege Karlsruhe.

Seit der Auftragsvergabe werden Grabinventare und Befunde ausgewertet, Beigaben restauriert und Zeichnungen erstellt. Das Landesdenkmalamt lässt die menschlichen Überreste untersuchen, botanische Analysen durchführen und unterstützt das Museum bei der Zeichenarbeit. "Die verschiedenen wissenschaftlichen Analysen und Untersuchungen versetzen uns in die Lage, viel mehr als bisher über das Leben der Römer in Heidelberg zu erfahren", ist Dr. Renate Ludwig überzeugt. So lasse sich feststellen, wie viele Menschen zwischen 80 und 190 nach Christus in Heidelberg lebten, als hier das römische Kastell stand, was sie aßen, welche Krankheiten sie hatten, wie alt sie wurden. Die Grabbeigaben machen Aussagen darüber, welchen Totenkult und welche Bestattungsriten die Römer pflegten und welche sie vielleicht von Einheimischen übernahmen - oder umgekehrt. Sie können aber auch etwas über die soziale Stellung der Bestatteten sagen oder über ihren Beruf.

Während die Archäologen früher besonders nach "vitrinenfähigen" Ausstellungsstücken mit Prestigewert suchten, werde heute mehr auch nicht ausstellungsfähiges Material gewürdigt, so Dr. Ludwig. Was in den Gräbern gefunden wird, hat oft keinen hohen materiellen oder Prestigewert. Es hat aber durch die sich ergänzenden Untersuchungen, die der Forschungsauftrag erst ermöglichte, einen hohen Aussagewert über das Leben der Menschen in Heidelberg im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus. (neu)
   
 

Schaustücke

  Trotz der laufenden Bearbeitung kann man einen Teil der Funde anschauen. Eine Auswahl besonders aussagefähiger Fundstücke wird in der Dauerausstellung des Kurpfälzischen Museums, Hauptstraße 97, präsentiert. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.

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Stand: 12. August 2003