Kultur

Ausgabe Nr. 26 · 26. Juni 2002



Rudolf Heinrichshofen illustrierte auf satirische Weise seine Lebensgeschichte und den Alltag in Psychiatrischen Kliniken.

Wunderhülsen & Willenskurven

Die dritte Ausstellung im Museum Sammlung Prinzhorn

Beklemmende Einblicke in das Leben und Leiden von Patienten in Psychiatrischen Anstalten gibt die neue Sonderausstellung im Museum Sammlung Prinzhorn. Selbstgefertigte Bücher, Kalendarien und Hefte, Tagebücher, Bilderbibeln und schwarze Kladden werden erstmals in ihrer Vielfalt vorgestellt.


Es sind Objekte von brüchiger, oft schäbiger Intensität. Abgegriffene Seiten zeugen von der Bedeutung, die die Werke für die Patienten hatten. Mit großer Sorgfalt sind Schrift, Bildelemente und Zahlen zusammengefügt, aus Materialien, die den Patienten zur Verfügung standen. Kombiniert mit Niederschriften aller Art, geheimen wissenschaftlichen Abhandlungen, Notizen, Andachten oder Reflexionen über die Krankheit sowie Kritik am Anstaltsalltag offenbaren sie ein Stück Lebensgeschichte.

"Wenn Patienten Bücher herstellen, versuchen sie teilzuhaben an der bürgerlichen Gesellschaft, die sie ausgesondert hat", erläutert Dr. Bettina Brand-Claussen, kommissarische Leiterin des Hauses. Sie macht darauf aufmerksam, dass die Patienten nicht in luftleerem Raum gearbeitet haben, immer sind auch Diskurse zur Zeitgeschichte erkennbar.

Ihren Namen verdankt die Ausstellung dem ungewöhnlichen Vorhaben von Hyacinth von Wieser, ehemals Jurist, der von der Vorstellung geleitet war, die menschliche Willenskraft in "Willenskurven" abzubilden, um sie damit auf andere Personen übertragbar zu machen. Auch hinter den "Wunderhülsen" von Heinrich Hermann Mebes verbirgt sich ein reicher Kosmos mit eigenwilligen Begriffen.

Werke von rund 40 Künstlerinnen und Künstlern aus der Sammlung Prinzhorn sind in der Ausstellung zu sehen, darunter so namhafte wie Adolf Wölfli, Else Blankenhorn, Peter Meyer (Moog), Hermann Mebes, Heinrich Grebing und Hyacinth von Wieser (Welz). Die gebundenen Werke sind um Einzelblätter ergänzt, die vor langer Zeit herausgelöst wurden.

Die Ausstellung "Wunderhülsen & Willenskurven" und der gleichnamige Katalog, der für 20 Euro angeboten wird, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Jena. Bevor die Ausstellung nach Jena wechselt, ist sie bis zum 8. September in Heidelberg zu sehen: dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 11 bis 20 Uhr. Führungen werden jeweils mittwochs um 18 Uhr und sonntags um 14 Uhr angeboten. (doh)

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Hubert Habig

Kinder zu fordern, war immer mein Prinzip

Ein STADTBLATT-Gespräch mit Hubert Habig, dem langjährigen Leiter des Zwinger 3


Mit dem Ende der Spielzeit verabschiedet sich das Leitungsteam vom Heidelberger Kinder- und Jugendtheater, Zwinger3. An Stücke wie "Alice im Spiegelland", "Katzelmacher", "Das war der Hirbel", "Andorra", "Antigone", "Krücke" oder "Draußen (vor der Tür)" werden viele gerne zurückdenken. Zum Abschied gibt es am Samstag, 29. Juni, ab 21 Uhr ein großes Fest im Zwinger3 und ein STADTBLATT-Interview mit dem bisherigen Leiter des Hauses, Hubert Habig.

STADTBLATT: Sie waren 12 Jahre lang Leiter des Zwinger3. Wenn Sie zurückblicken, an welches Stück erinnern Sie am liebsten?

Hubert Habig: Da gibt es mehrere. In jeder Spielzeit gab es ein Stück, das mir besonders am Herzen lag. Das waren nicht immer die Erfolgreichsten, manchmal sogar Stücke, die es sehr schwer hatten. Ich nenne jetzt mal "Graffiti-Metro". Das haben wir schwer durchsetzen müssen, mit dem Ergebnis, das noch zwei, drei Jahre später Leute fragten: "Warum spielt ihr das nicht mehr? Das fand ich außergewöhnlich!" Aber genauso gut "Antigone" oder "Krücke", ich könnte jetzt einige aufzählen.

STADTBLATT: Ursprünglich sollten Sie ja die väterliche Schmiede übernehmen. Haben Sie Ihren Entschluss ans Theater zu gehen irgendwann einmal bereut?

Habig: Ja, man bereut ihn immer mal, das ist klar, aber grundsätzlich nicht. Schauen Sie meine Hände an, mit solchen Händen kann man nicht Schmied werden.

STADTBLATT: Sie sind außerdem ein gefragter Autor von Bühnenstücken und Hörspielen. Wie finden Sie den Stoff, der Kinder- und Jugendliche anspricht?

Habig: Also erst mal muss es mich ansprechen. Ich kann nur das erzählen, inszenieren oder schreiben, was mich selber interessiert. Dann ist da natürlich die Frage, wen könnte es noch interessieren. Ich habe ja auch Stücke für Erwachsene geschrieben. Diese Zielgruppenfrage steht eigentlich erst an dritter Stelle.

STADTBLATT: Hat sich Ihr Publikum in den letzten Jahrzehnten verändert, etwa durch Computerspiele oder das Fernsehen?

Habig: Ja. Was die emotionale und intellektuelle Verfassung der Kinder angeht, sind sie auf jeden Fall wacher und sensibler geworden. Was nicht unbedingt nur positiv zu sehen ist. Sie kriegen einfach viel mehr mit. Sehr viele Lebensbereiche, die Kindern früher verschlossen waren, sind heute offen für Kinder. Das fängt bei Pornographie im Fernsehen an und geht bis zu Auseinandersetzungen in der Familie, die offen vor Kindern ausgetragen werden. Nachrichten, Unfälle, Katastrophen weltweit kriegen die Kinder mit. Also, sie werden wahnsinnig überschwemmt mit Eindrücken und Informationen, die natürlich auf ihren emotionalen Haushalt und ihr intellektuelles Verhalten großen Einfluss haben. Darum haben sie es heute schwerer, sich zu konzentrieren. Das andere sind die Trainingsmethoden des Fernsehens, immer kleine Häppchen zu liefern. Das macht es fürs Theater schwieriger.

STADTBLATT: Was hat das für Konsequenzen?

Habig: Die Konsequenz von mir war immer, dem entgegen zu arbeiten. Obwohl das sicher ein Kampf von Don Quijote gegen Windmühlenflügel ist, weil man mit den wenigen Theaterbesuchen, die ein Kind im Jahr macht, natürlich nicht alles auffangen kann. Aber so weit wie möglich eine ganz konservative ästhetische Haltung einzunehmen und die Kinder zu fordern, das war immer mein Prinzip, auch wenn es manchmal schwierig ist. Und ich bin dankbar, dass ich da von vielen Lehrern und Eltern in Heidelberg unterstützt worden bin.

STADTBLATT: Haben Sie Zukunftspläne?

Habig: Also, ich bleibe in Heidelberg mit meiner Familie. Ich werde jetzt frei arbeiten als Regisseur und Autor und möchte mich grundsätzlicher mit Theater beschäftigen. Ich finde es wichtig, dass man nach 12 Jahren auch mal eine Auszeit nimmt, um zu reflektieren, was man macht, wie Theater überhaupt funktionieren kann, funktionieren könnte, in der heutigen Zeit ...

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Stand: 25. Juni 2002