Thema der Woche

Ausgabe Nr. 15 · 12. April 2000



Diskutierten über den Pflegestandard in Heidelberger Pflegeheimen (v. li.): Erich Auerbach, Heimleiter vom St. Anna/Wilhelm Frommel Heim, Marliese Khoury, Tochter eines pflegebedürftigen Vaters, Hermann Bühler vom Amt für soziale Angelegenheiten und Altenarbeit, Will Stütz, Heimleiter des Altenpflegeheims St. Michael, Elfriede Huber, Bewohnerin des Mathilde-Vogt-Hauses und Jörn Fuchs, Heimleiter des Mathilde-Vogt-Hauses. (Foto: Rothe)

"Was ist uns die Pflege wert?"

Diskussion mit Leitern von Heidelberger Pflegeheimen über Pflegeanspruch und Pflegewirklichkeit


Wie sieht es in den Heidelberger Pflegeheimen aus? Kann man als Angehöriger einen pflegebedürftigen Menschen guten Gewissens in einem Heim unterbringen? Was hat es mit den Skandalen auf sich, die immer wieder in der Presse zu lesen sind?

Das waren die Fragen, denen sich drei Leiter Heidelberger Pflegeheime in einer Diskussion vergangene Woche in der Stadtbücherei stellten. Unter Leitung von Hermann Bühler vom städtischen Amt für soziale Angelegenheiten und Altenarbeit diskutierten sie mit einer Angehörigen eines pflegebedürftigen Bewohners und einer Heimbeirätin sowie zahlreichen Zuhörern über die Qualität der Heimpflege in Heidelberg.

Sind Heime wirklich so schreckliche Orte, wie man überall hört, wollte Hermann Bühler von den Heimleitern wissen. Jörn Fuchs vom Mathilde-Vogt-Haus nannte die in den Medien veröffentlichten Skandale in Pflegeheimen "Auswüchse". Der allergrößte Teil der Pflegekräfte bemühe sich sehr um die Pflegebedürftigen. Erich Auerbach vom St. Anna/Wilhelm Frommel Heim regte eine Beschwerdekultur an: Bewohner der Heime und Angehörige sollten dazu aufgefordert werden sich zu äußern, wenn sie Missstände entdeckten.

Marliese Khourys pflegebedürftiger Vater wohnt im St. Anna Heim. Sie habe bisher nicht das Gefühl gehabt, dass es ihm an Pflege fehlen würde, sagte sie. Allerdings sei ihr Vater auch in der Pflegestufe I und damit noch relativ selbständig. Auch Elfriede Huber hat bisher keine massiven Klagen gehört. Sie wohnt seit 10 Jahren im Mathilde-Vogt-Haus und ist dort Heimbeirätin: an sie können sich die Bewohnerinnen und Bewohner wenden, wenn sie Klagen haben: "Die meisten Leute sind zufrieden", sagt sie, geklagt werde allenfalls über das Essen.

Willi Stütz, Leiter des Altenpflegeheims St. Michael, wies auf die hohe Arbeitsbelastung der Altenpfleger hin. Die Heimbewohner seien meist über 85 Jahre alt, die Altersverwirrtheit nehme immer mehr zu, die Pflegekräfte seien mit den verschiedensten Krankheiten konfrontiert, ein Drittel der Neuzugänge stirbt innerhalb eines Jahres. Trotz der Belastungen sei die Pflege gewährleistet, würden in den Stationen jederzeit Fachkräfte im Einsatz sein. Geld verdienen lässt sich damit nicht: "St. Michael schreibt keine schwarzen Zahlen."

Birgt die hohe Arbeits- und psychische Belastung der Pflegekräfte nicht die Gefahr, der Gewaltanwendung, vor allem bei Heimbewohnern, die stark pflegebedürftig seien, wollte Hermann Bühler wissen. Erich Auerbach bestätigte, dass bei ihm im Heim schon der Verdacht aufkam, dass Gewalt ausgeübt wurde, ab er es habe sich herausgestellt, dass "alle Vorfälle weit von böswilliger Gewaltanwendung entfernt gewesen sind". Auch Jörn Fuchs räumte ein, dass manchmal Mitarbeiter überfordert sein können, konkrete Fälle von Gewaltanwendung seien ihm aber nicht bekannt. Willi Stütz setzt der Gefahr heiminterne Mechanismen entgegen: "Ich erwarte eine lückenlose Dokumentation der Pflege, wenn beispielsweise Blutergüsse auftauchen", sagte er.

"Ich habe über die hier vertretenen Heime Lob und Klagen gehört. Ich bin aber der Auffassung, man kann Vertrauen in die Pflege der Heidelberger Heime haben", sagte Hermann Bühler. Dennoch müsse man über die Erwartungen an die Heime nachdenken: "Was ist uns die Pflege im Heim wert?", fragte er. Wer heute sein Auto reparieren lasse, sei bereit, dafür weit über 100 Mark für die Stunde zu bezahlen. Die Pflege eines Pflegebedürftigen der Stufe II in einem Heim koste etwa 155 Mark pro Tag. "Sind wir bereit, für das Anrecht eines Pflegebedürftigen, menschlich gepflegt zu werden, tiefer in die Tasche zu greifen?", fragte Hermann Bühler alle an diesem Abend Anwesende.

Deutlich wurde in der Diskussion, dass die Pflegeheime nur einen Teil dazu beitragen können, dass bei Pflegebedürftigen am Ende ihre Lebens die "Würde des Individuums" gewahrt bleibt. Er habe feststellen müssen, dass nur sehr wenige Angehörige die Heimbewohner besuchten, stellte ein Teilnehmer der Diskussion fest. Mehr Anteilnahme, auch von ehrenamtlichen Betreuern und Mitarbeitern, sei ebenfalls ein Zeichen für die Qualität der Pflege, war man sich einig. Und das würde nicht einmal mehr kosten. (neu)
   
 

Landespflegewoche

  Die Diskussion in der Stadtbücherei war der Beitrag Heidelbergs zur Landespflegewoche 2000 vom 3.bis 9. April, um für Vertrauen in die Pflege zu werben.

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Quelle: Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Heidelberg 2000

Zahl der Pflegefälle nimmt zu

Pflegeplan soll ausreichend Pflegeplätze in Heidelberg sichern


Die Zahl der Älteren nimmt zu. Dr. Arthur Tischer und Prof. Hans Georg Gadamer sind prominente Heidelberger, die die steigende Lebenserwartung eindrucksvoll belegen. Beide sind über 100 Jahre alt.

In Heidelberg lebten 1975 drei Hundertjährige. Heute sind es 17. 80 Jahre und älter sind in Heidelberg über 5.500 Personen. Etwa ein Viertel von ihnen sind pflegebedürftig.

Um die Pflege zu sichern, hat der Heidelberger Gemeinderat 1997 einen kommunalen Pflegeplan beschlossen, der mittelfristig vorsieht, 1200 Dauerpflegeplätze, 40 Kurzzeitpflegeplätze und 60 Tagespflegeplätze bereitzustellen. In acht Altenpflege- und Seniorenheimen stehen derzeit 1072 Dauerpflegeplätze zur Verfügung.

Um auch die Qualität in der Pflege zu sichern, hat die Verwaltung 1997 gemeinsam mit den Heimen eine Verpflichtungserklärung erarbeitet, die Voraussetzung für die Aufnahme in das Pflegeverzeichnis und damit auch für die finanzielle Förderung durch Land und Kommune ist. Neben dem Bau- und Raumkonzept werden darin unter anderem Verpflichtungen hinsichtlich des Standortes, des Versorgungskonzeptes, der Kundenorientierung und allgemeiner planerischer Voraussetzungen vereinbart. So sollen die Heidelberger Heime unter anderem über geeignete Räume für Therapie, Rehabilitation und tagesstrukturierende Maßnahmen verfügen, eine gute Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr haben, zur Aufnahme aller Pflegestufen bereit sein, Zusatzleistungen zur freien Wahl stellen, barrierefrei zugänglich sein, bürgerschaftliches Engagement fördern, sich verpflichten, vorrangig Heidelberger Bürger/innen aufzunehmen, aber auch bereit sein, Menschen aus anderen Kulturkreisen aufzunehmen.

Wolfgang Reinhard, Leiter des Amtes für Soziale Angelegenheiten und Altenarbeit: "Die freiwillige Verpflichtung aller Heime in Heidelberg ist etwas Besonderes in Baden Württemberg, das gibt es nur selten. Ich denke, dass die Heidelberger Vertrauen in die Qualität der Heime in unserer Stadt haben können."

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Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



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Stand: 11. April 2000