Kultur

Ausgabe Nr. 15 · 12. April 2000



Das Motiv "Fenster" wurde als Symbol für die Ausstellung gewählt, weil es auf der Schwelle zwischen Innen und Aussen steht. In ihrer privaten Nutzung scheinen die Bildpostkarten auch ein Fenster in die "kleine" Welt des Alltags zu eröffnen.

Bilder wirken unbewusst

Judenfeindliche Postkarten im Kurpfälzischen Museum

"Abgestempelt" ist der Titel der aktuellen Ausstellung im Kurpfälzischen Museum, die antisemitische Stereotypen am Beispiel von judenfeindlichen Postkarten zeigt und analysiert. Der Titel fasst das Phänomen "Vorurteil" unter einen treffenden Begriff, der zugleich die Willkür ausdrückt, mit der die gängigen Klischees der jüdischen Bevölkerung übergestülpt wurden.


Judenfeindliche Propaganda setzte in Europa nicht erst mit dem Nationalsozialismus ein, sondern stützte sich auf eine lange Tradition. Antisemitische Karikaturen, deren Bandbreite vom vermeintlich harmlosen Spott bis hin zu eindeutiger Hetze reichte, festigten das Bild vom "gerissenen" und "gefährlichen" Juden über die Jahrhunderte und dienten schließlich der Rechtfertigung von Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung.

Im Zuge der Industrialisierung, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, wurde die "Bildpostkarte" als neuartiger Bild- und Informationsträger schlagartig und quer durch alle sozialen Schichten zum beliebten Medium. Millionenfach versandt, repräsentierten sie nicht nur ein Stück Alltagskultur, sondern spiegelten ebenso deutlich politisches, ideologisches und moralisches Gedankengut ihrer Zeit wider.

Die scheinbar harmlosen "Judenspottkarten" als Teil des alltäglichen Antisemitismus sind Forschungsgegenstand dieser Ausstellung. Schon die frühen Postkarten offenbaren Vertreibungsphantasien. Ferienorte wie die Insel Borkum oder Karlsbad warben damit, dass sie keine Juden zulassen. Das Urlaubsparadies funktionierte nur, wenn man unter sich war.

Der Münzensammler Wolfgang Haney wurde per Zufall auf die so genannten "Judenspottkarten" aufmerksam. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm, an die 1000 Stück zu erwerben, um sie dem Jüdischen Museum in Frankfurt zur wissenschaftlichen Bearbeitung zur Verfügung zu stellen. In Zusammenarbeit mit dem Post-Museum in Frankfurt entstand eine Ausstellung, die den Blick schärft für rassistische Vorurteile und judenfeindliche Stereotypen.

Auf die Frage, ob es nicht gefährlich sei, diese Bilder wieder in Erinnerung zu rufen, antwortete Fritz Backhaus vom Jüdischen Museum: "Antisemitismus ist eine Vorstellungswelt, die nicht einfach verschwindet, sie ist unterschwellig vorhanden." Er ist überzeugt: "Wir müssen dieses Material analysieren, um zu wissen, wie diese Bilder ihre Wirkung entfalten."

"Der Hausierer und Händler, der Schnorrer und Schlemihl, die Presse, der Ostjude, der Wucherer und Bankier", das sind die antisemitischen Judentypen, die Klischees, die sich auf den Postkarten variantenreich wiederholen. "Das Bild - als Träger antisemitischen Gedankengutes - ist ein Medium, dass vor allem durch Wiederholung suggestiv wirkt und Vorstellungen langfristig prägt", erläutert Backhaus: "Bilder führen uns in Schichten menschlichen Bewusstseins, die normal nicht zugänglich sind".

Die Grundaussage dieser Bildpostkarten lautet: "Juden werden durch Betrug reich und nicht durch ihrer Hände Arbeit". Ihrem Erscheinungsbild wurden eindeutig negative Merkmale verpasst. Diffamierung und Ausgrenzung einer Bevölkerungsgruppe bereiteten dem Nationalsozialismus den Weg.

Erster Bürgermeister Prof. Dr. Joachim Schultis äußerte bei der Eröffnung der Ausstellung die Hoffnung, dass sie zur Offenheit, zur Toleranz und zum Verständnis unter den Menschen und Kulturen beitragen möge. Die Ausstellung "Abgestempelt" ist bis zum 12. Juni im Kurpfälzischen Museum zu sehen. (doh)

  Zum Seitenanfang
  Zur Inhaltsangabe STADTBLATT



Copyright © Stadt Heidelberg 1999, All Rights Reserved
Stand: 11. April 2000